(48:09; Boxset (4LP Lathe-Cut Vinyl), Vinyl (2LP), CD+Blu-ray, Digital; Hopeful Tragedy Records (Eigenveröffentlichung), 16.05.2025)
Es gibt Veröffentlichungen, die man mehr mit dem Herzen als mit den Ohren hört. „A Nightfall Ritual“, der Mitschnitt des letzten Konzerts (>> Livebericht) der Europatournee von Alex Henry Foster & The Long Shadows im Juli 2024, ist so ein Dokument. Ursprünglich sollte dieses Abschlusskonzert unter freiem Himmel auf dem Freideck der Kantine in Köln-Niehl stattfinden – letztlich wurde es wetterbedingt aber in den großen Saal verlegt. Das tat der Atmosphäre keinen Abbruch, im Gegenteil: Diese Platte fängt ein besonderes Ereignis ein – für Alex Henry Foster, der wider allen medizinischen Prognosen wieder auf der Bühne stehen konnte, für seine Fans, für die der Eintritt an diesem Abend als Dankeschön für ihre Unterstützung kostenlos war und für den Rezensent, der an diesem Abend seine kleine Tochter im Schlepptau hatte und so dem Großteil des Konzerts nur aus dem Nebenraum beiwohnen konnte.
„A Nightfall Ritual“ refers to every moment with which we define the nature of our faith and hopelessness in the colors of mornings to come.
Die Veröffentlichung umfasst die ersten vier Songs des Konzerts, nicht mehr, aber eben auch nicht weniger. Und wie bei Foster üblich, ist auch das ein Statement: Man bekommt nicht das Ganze, sondern das, was für den Künstler rückblickend zählt. Die Frage nach dem Warum – warum nur vier Stücke, warum gerade diese – bleibt zunächst offen. Vielleicht beantwortet sie Alex irgendwann selbst. Vielleicht aber auch nicht. Wer seine eigenwillige Veröffentlichungspolitik kennt, wird nicht überrascht sein.
Was zunächst auffällt: Obwohl Alex Henry Foster mit „A Measure Of Shape And Sounds“ und „Kimiyo“ zuletzt zwei neue Studioalben veröffentlicht hatte, tauchte an diesem Abend, genauso wenig wie bei allen anderen Konzerten dieser Tournee, nicht ein einziger Song daraus auf. Stattdessen gab es gleich zu Beginn zwei brandneue, bislang unveröffentlichte Kompositionen – ‚Up Till Dawn‘ und ‚I Am Afraid‘ auf die Ohren. Zwei Songs, die beide in die typische AHF-Kerbe des 2018er Debütalbums „Windows In The Sky“ schlugen: existenziell, wuchtig, verletzlich und mit Texten, die einen tiefen Einblick in die Seele Fosters gewährten und bei denen neben Foster v.a. Miss Isabell an Flöte, Trompete, aber insbesondere mit ihrem Begleitgesang überzeugen kann.
Time, oh time
You don’t know til it’s gone
Time, oh time
You woke up left undone
– aus ‚I Am Afraid‘
Die Mischung aus Post Rock, Spoken Words, Post-Hardcore-Elementen und hymnischer Weite entfaltete sich live zu einem ergreifenden Ritual mit fast sektenhafter Sogkraft, mit Foster als Prediger, der nach überstandener lebensbedrohlicher Notoperation noch leidenschaftlicher, noch authentischer und noch transparenter sein Innerstes nach außen kehrte ,um ausschließlich den Moment zu genießen.
Nothing to look after
no dreams no faithlessness
Only the way we’re holding
Onto every new morning dawn
– aus ‚Up Till Dawn‘
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Mit ‚Son Of Hannah‘ folgte ein Stück‘, das schon viele Jahre auf dem Buckel hat und erstmals auf dem 2021er-Album „Standing Under Bright Lights • Live From Festival International De Jazz De Montréal“ veröffentlicht wurde und von dem bisher keine Studioaufnahme existiert Ob es eine solche Studiofassung des Liedes je geben wird? Fraglich. Und vielleicht gar nicht notwendig – denn Fosters Songs sind sich ständig weiterentwickelnde Lebewesen und keine abgeschlossenen Werke. Bei dieser Aufnahme etwa wirkt Fosters Stimme wie die eines Besessenen. So stellt jede Aufnahme ein temporäres Zeugnis dar und keine endgültige Wahrheit. Weshalb es bei Fosters Stücken auch durchaus Sinn macht, dass immer wieder neue Liveaufnahmen veröffentlicht werden.
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So geht die Reise, die Foster mit diesem Album beschreibt, mit dem vierten und abschließenden Track noch einen Schritt weiter – weiter in die Vergangenheit, hin zu dem Stück, mit dem alles begann. Denn ‚The Pain That Bonds (The Beginning Is the End)‘ war der Opening Track seines Debütalbums. Es ist ein Stück, das seit seiner Veröffentlichung fester Bestandteil der Live-Sets von Alex Henry Foster & The Long Shadows und dessen Text in seiner Aussagekraft noch immer so kraftvoll ist wie eh und je.
I don’t know how to cover the rues at my feet
Mercy’s hidden like a lonesome treasure
And sorrow’s evil, sorrow’s evil
But when it’s all you’ve got
It’s a dear friend holding your crestfallen woes
A dear friend, a dear friend The beginning, the beginning is the end
The beginning
– aus ‚The Pain That Bonds (The Beginning Is the End)‘
Auf dieser Platte wirkt das Lied wie ein spiritueller Epilog, der Sänger, Band und Publikum tatsächlich miteinander verbindet. Auch in dieser Performance klingt es anders als auf dem Studioalbum – die Liveenergie, das kollektive Empfinden im Raum, die pulsierende Unmittelbarkeit: All das transportiert die Aufnahme mit bemerkenswerter Klarheit.
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Besonders hervorzuheben ist dabei auch die begleitende Videofassung. Sie wurde nicht bloß als Mitschnitt von der Bühne aus gedacht, sondern immer wieder durch die Augen des Publikums gefilmt. Das ist keine bloße Perspektivspielerei, sondern ein Mittel, um das Kollektive, das verbindende Moment seiner Konzerte einzufangen. Wer schon einmal dabei war, erkennt diesen Sog, diese intime Wucht sofort wieder. Wer noch nicht dabei war, bekommt hier zumindest einen lebendigen Eindruck davon.
„A Nightfall Ritual“ ist kein typisches Livealbum. Kein Best Of, kein Abschlussbericht. Eher ein Tor – ein Einstieg in ein größeres Ganzes, das immer im Wandel bleibt. Vielleicht ist es sogar Alex Henry Fosters persönlichster Release der letzten Jahre. Für alle, die dabei waren, ein Erinnerungsstück. Für alle anderen: eine Einladung, sich auf die Reise einzulassen. Vielleicht sogar im Nebenraum – wie der Rezensent mit seiner Tochter. Und dann – irgendwann – mittendrin.
Bewertung: 12/15 Punkten
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Diskografie (Studioalben):
„Windows In The Sky“ (2018/2020)
„Kimyio“ (2024)
„A Measure Of Shape And Sounds“ (2024)
Surftipps zu Alex Henry Foster:
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Rezensionen:
„A Whispering Moment“ (EP) (2025)
„A Measure Of Shape And Sounds“ (2024)
„Kimiyo“ (2024)
„Standing Under Bright Lights • Live From Festival International De Jazz De Montréal“ (2021)
„Windows In The Sky“ (2018/2020)
Liveberichte:
27.07.24, Köln, Die Kantine
16.06.22, Köln, Yard Club
26.10.21, Mainz, Kulturzentrum
12.02.20, Köln, Stadtgarten
Alle Abbildungen wurden uns freundlicherweise von Alex Henry Foster zur Verfügung gestellt.