Public Service Broadcasting – Bright Magic

0

Public Service Broadcasting – Bright Magic ([PIAS], 24.09.21)(45:36, Vinyl/CD/Digital, [PIAS], 2021)
Wie vertont man eine Stadt und bleibt dabei dennoch seinem ureigenen Stil treu? Diese Frage muss sich wohl J. Willgoose, Esq. gestellt haben, als er sich daran machte, das Konzept für das neue Album von Public Service Broadcasting zu entwickeln. Denn bei “Bright Magic”, dem vierten Album der Londoner Band, handelt es sich um ein Konzeptalbum rund um die deutsche Hauptstadt.

Public Service Broadcasting, als kleine Erinnerung, erweckten erstes breiteres Interesse in der Prog-Szene, als sie mit dem Stück ‘Gagarin’ im Jahre 2015 bei den Progressive Music Awards den Preis als ‘Anthem of the Year’ einheimsten. Auch bei “The Race For Space”, dem Album, von dem ‘Gagarin’ stammte, handelte es sich bereits um ein Konzeptwerk, auf dem sich die Band nicht nur mit einem ganz konkreten Thema beschäftigte, sondern bei dem Public Service Broadcasting auch ihre Soundästhetik an das übergeordnete Thema anpassten.
Und so ist das Berlin-zentrierte “Bright Magic”, nach “The Race For Space” und dem den Aufstieg und Niedergang der süd-walisischen Steinkohleindustrie thematisierenden “Every Valley” (2017) bereits das dritte Album der Engländer, bei dem die Musik einem Konzept unterworfen wird.
Und man kann es vorwegnehmen: Es ist unmissverständlich, welche Stadt hier vertont worden ist. “Bright Magic” klingt durch und durch nach Berlin. Public Service Broadcasting schaffen es dabei, sich selbst ganz treu zu bleiben, obwohl “Bright Magic” die musikalische DNA Berlins beinhaltet: Marlene Dietrich, Einstürzende Neubauten und der Techno der 90er genauso, wie Referenzen zu U2, David Bowie und Depeche Mode, die alle in den West-Berliner Hansa Studios aufgenommen haben.

Apropos Hansa Studios. Genau die waren es auch, die J. Willgoose, Esq. für das Komponieren von “Bright Magic” auswählte, denn der Klang der Studios war neben den Romanen und Kurzgeschichten Alfred Döblins und der existenzialistischen Klarheit von Einstürzende Neubauten eine der Hauptinspirationsquellen für das Album. Und so kam es, dass der Bandkopf im Jahre 2019 nach Berlin zog, um die Ästhetik der Stadt am eigenen Leibe zu erfahren. Erst als der Corona-Lockdown im Frühjahr 2020 über die Stadt hereinbrach, beendete er seinen Aufenthalt.

Und so nutzte Willgoose die Zeit nicht nur dafür, mit einem elektromagnetischen Breitbandempfänger die Leipziger Straße abzulaufen, – den Ort mit der ersten elektrischen Straßenlampe Deutschlands – um deren Energie einzusammeln. Sondern auch dafür, lokale Musiker für Gastbeiträge auf dem neuen Album zu gewinnen. Und so findet sich auf “Bright Magic” nicht nur eine Kooperation mit Musikerlegende Blixa Bargeld, sondern genauso mit lokalen Größen wie der norwegischen Wahl-Berlinerin EERA aka Anna Lena Bruland oder Andreya Casablanca, der Sängerin des Indie-Duos Gurr sowie mit Schauspielerin Nina Hoss.

Es sind Musiker, die mit Bedacht so ausgewählt worden sind, dass ihr musikalischer Background, ihre Aura und vor allem ihre Intonation, Akzent und Klangfarbe zu den lyrischen Themen und Musikstilen der einzelnen Songs passen. Themen, die vom Berlin der 20er Jahre als Stadt der Moderne, über das West-Berlin der 80er Jahr bis hin in die heutige Zeit reichen. Marlene Dietrich und Fritz Langs visionäres filmisches Meisterwerk “Metropolis” kommen dabei genauso vor, wie ein von Nina Hoss gelesenen Gedicht von Kurt Tucholsky (‘Ich und die Stadt’).

Während ‘Blue Heaven’, die von Andreya Casablanca performte Hommage an die Dietrich nur in Ansätzen überzeugen kann, ist es vor allem das vom Neubauten-Sänger und The Bad Seeds-Gründungsmitglied Blixa Bargeld eingesungene ‘Der Rhythmus der Maschinen’, das bleibenden Eindruck hinterlässt. Ein Stück, dass in ein Soundgewand aus Industrial, Kraftwerk-Anleihen und und frühem Techno gekleidet ist und den Text, welcher den neuen Menschen und die mechanisierte Über-Stadt der Zukunft erträumt, musikalisch perfekt umsetzt.

Über-Stück der Platte, wenn man in diesem Sprachgebrauch bleiben möchte, ist jedoch das dreiteilige, fast viertelstündige ‘Lichtspiel’, das Art Rock, Krautrock und Electronica zu einem Gesamtkunstwerk verbindet. Musik die wie geschaffen dafür erscheint, auf den Dächern der ehemaligen Mietskasernen Berlins dem Morgen entgegenzufiebern und der Sonne beim Aufstehen zuzuschauen.
Bewertung: 11/15 Punkte (FF 11, KR 11)

Credit: Alex Lake

Tracklist:
1. ‘Der Sumpf (Sinfonie der Großstadt)’ (2:35)
2. ‘Im Licht’ (4:04)
3. ‘Der Rhythmus der Maschinen’ [ft. Blixa Bargeld] (3:54)
4. ‘People, Let’s Dance’ [ft. EERA] (5:31)
5. ‘Blue Heaven’ [ft. Andreya Casablanca] (4:17)
6. ‘Gib mir das Licht’ [ft. EERA] (4:24)
7. ‘The Visitor’ (3:13)
8. ‘Lichtspiel I: Opus (5:43)
9. ‘Lichtspiel II: Schwarz Weiss Grau’ (4:05)
10. ‘Lichtspiel III: Symphonie Diagonale’ (3:56)
11. ‘Ich und die Stadt’ [ft. Nina Hoss] (3:54)

Besetzung:
J. Willgoose, Esq.
Wrigglesworth
JF Abraham
Mr B.

Gastmusiker:
Blixa Bargeld (Gesang – Track 3)
EERA (Gesang – Track 4 & &)
Andreya Casablanca (Gesang – Track 5)
Nina Hoss (Gesang – Track 11)

Surftipps zu Public Service Broadcasting:
Homepage
Facebook
Instagram
Twitter
Bandcamp
Soundcloud
YouTube
Discogs
Wikipedia

Abbildungen: Alle Abbildungen wurden uns freundlicherweise von [PIAS] zur Verfügung gestellt.

image_pdfArtikel als PDF herunterladenimage_printArtikel drucken
Teilen.

Über den Autor

1978 in Traben-Trarbach geboren und seit 2014 in Köln ansässig bin ich noch immer ein echter Globetrotter. Ziehe ich gerade einmal nicht trampend und couchsurfend mit meiner Frau Inga durch die Welt, so arbeite ich als Sozialpädagoge in der Inklusionsbegleitung sowie in der Einzelfall- und Familienhilfe. Nebenberuflich bin ich als Stadtführer für Free Walk Cologne tätig. Außerdem nähen Inga und ich hin und wieder noch immer unsere Travelling Monkeys, handgefertigte Stoffaffen. Musikalisch in den 90ern sozialisiert, wuchs ich mit Grunge (Pearl Jam, Nirvana), Prog (Marillion, Dream Theater), Punk (Bad Religion, NoFX), Gothic Metal (Paradise Lost, My Dying Bride) und Crossover (Rage Against the Machine, Faith No More) auf. Für mich sind die letzten zehn Jahre musikalisch so ziemlich die spannensten, die ich bisher erlebt habe, da in dieser Zeit viele jener verschiedenen Stile musikalisch zusammengführt worden sind.

Antworten

Hinweis: Mit dem Absenden deines Kommentars werden Benutzername, E-Mail-Adresse sowie zur Vermeidung von Missbrauch für 7 Tage die dazugehörige IP-Adresse, die deinem Internetanschluss aktuell zugewiesen ist, in unserer Datenbank gespeichert. E-Mail-Adresse und die IP-Adresse werden selbstverständlich nicht veröffentlicht oder an Dritte weitergegeben. Du hast die Option, Kommentare für diesen Beitrag per E-Mail zu abonnieren - in diesem Fall erhältst du eine E-Mail, in der du das Abonnement bestätigen kannst. Mehr Informationen finden sich in unserer Datenschutzerklärung.

Public Service Broadcasting – Bright Magic

von flohfish Artikel-Lesezeit: ca. 3 min
0