„The Overview“-Tour – Ein Prog-Weltraumflug in Düsseldorf
„I’m no longer interested in anthems for conquering the world. I’d prefer a soundtrack for escaping it.“ Dieses Zitat aus Andy Meeks Rezension beschreibt perfekt die Essenz von Steven Wilsons neuem Album „The Overview“ und seiner aktuellen Tour.
Für Liebhaber klassischer Progressive-Rock-Musik mit komplexen, langen Kompositionen und melodischen Soli ist diese Tour ein absolutes Muss.
Steven oder
Mr. Steven Slingshot Wilson III. Jr. – wie ihn ein Südstaatler nennen würde – führte zusammen mit seiner Truppe eine ätherische Prog-Reise durch den Weltraum und darüber hinaus auf ein Konzert voller beeindruckender visueller Effekte.
Steven Wilson, gekleidet in ein schwarzes T-Shirt mit einem blauen Kreis darauf, der die Erde symbolisiert, betrat die Bühne wie gewohnt barfuß. Mit der ersten Vorstellung von „The Overview“, die 40 Minuten dauerte, versetzte er die etwa 3.000 bis 4.000 Zuschauer in der Halle in eine ätherische Trance.
Gleich zu Beginn, bei ‚Objects Outlive Us‘, wurden wir durch visuelle Effekte von der Erde in den Weltraum, durch Lava und Wälder geführt. Das melodische Outro-Solo von
McStine auf dem ersten Track, begleitet von den Bildern, wie wir schließlich in ein Schwarzes Loch gesogen werden, während die ferne Erdmutter im Hintergrund zu sehen ist, brachte das Publikum zu Standing Ovations.
McStines virtuoses Gitarrenspiel verlieh dem Stück zusätzliche emotionale Tiefe und zeigte seine großartigen Fähigkeiten als Musiker.
Im gleichnamigen zweiten Abschnitt des Albums wurde
Steven Wilson als animierter Astronaut vorgestellt, ähnlich wie
Buzz Lightyear aus „Toy Story“, der durch den Weltraum schwebt. Die Stimme von Stevens Frau
Rotem Wilson, die als weibliche
HAL 9000 aus
Kubricks „Space Odyssey“ die Wegpunkte fernab der Erde (wie Sirius, Altair, Vega, Omega, Alpha Centauri) aufzählte, hallte im Hintergrund wider. Diese himmlische Poesie und Erzählkunst beendete den ersten Abschnitt des Konzerts und versetzte mich in eine interplanetare Reise. Es fühlte sich an, als wäre ich in meinen Lieblingsfilmen wie
Nolans „Interstellar“ oder
Kubricks „2001: A Space Odyssey“, von denen das Album stark inspiriert ist.
Nach der Pause tauchten wir in eine surreale Version Londons ein. ‚The Harmony Codex‘ entfaltete sich als visuelle Reise durch verdrehte Hochhäuser, U-Bahn-Schächte und endlose Treppen – begleitet von einer sich ständig wandelnden Harmonie-Schleife. Bild und Ton verschmolzen zu einem hypnotischen Zustand zwischen Traum und Realität – ein musikalischer Limbo, der mich vollkommen einnahm. Nach dem anschließenden ‚King Ghost‘ gewann die musikalische Reise plötzlich an Fahrt.
Mit ‚Luminol‘ wechselte die Stimmung schlagartig – wir fanden uns in einer ganz anderen Welt wieder. Der energiegeladene Bass und die explodierenden Drums rissen das Publikum mit; hier und da war sogar ein kleines Headbanging zu sehen. Es war ein Moment, in dem sich die sonst so ätherische Atmosphäre in pure, dynamische Spielfreude verwandelte.
Besonders gefreut habe ich mich über ‚Harmony Korine‘ und das einzige Porcupine-Tree-Stück des Abends: ‚Dislocated Day‘. Die rasante Gitarre und die eindringlichen Vocals trafen direkt ins Herz. Ein kleiner Lautsprecherausfall an der Front während des Songs sorgte für ein Schmunzeln im Publikum – charmant, aber keineswegs störend. Die Band ließ sich davon nicht beirren und spielte weiter.
Nach ‚Vermillioncore‘ standen die Fans bereits – die Spannung in der Halle war greifbar, alle warteten auf die Zugabe.
Dann erklang ‚Pariah‘ – und obwohl sich
Ninet Tayeb nicht live vor Ort befand, war ihre Präsenz durch das große Videobild auf der Bühne deutlich spürbar. Ihre kraftvolle Stimme im Refrain durchdrang den Raum und sorgte für einen der emotionalsten Momente des Abends.
Zum Schluss kam ‚Ancestral‘ – einer meiner absoluten Lieblingssongs von
Steven Wilson. Jedes Mal fühlt er sich an wie ein musikalischer Sturm: leise und düster beginnend, baut er sich langsam auf, bis er in einem langen, kraftvollen Outro-Solo explodiert. Live war das ein Erlebnis, das unter die Haut ging – ein Moment, der sich einbrannte und unvergesslich bleibt.
Was
Steven Wilson macht, ist einfach anders. In einer Musikwelt, in der vieles gleich klingt, ist sein Schaffen ein Gegenentwurf: mutig, persönlich, ungeschliffen. Man muss nicht jeden Song lieben, aber man sollte respektieren, was hier geschieht – Musik als Ausdruck, nicht als Produkt.
Dieses Konzert der war keine gewöhnliche Show, sondern ein Ausflug in eine andere Welt. Genau das machte sie so besonders.
Line-up:
Steven Wilson – Vocals, Guitars, Keyboards
Craig Blundell – Drums
Adam Holzman – Keyboards
Nick Beggs – Bass, Chapman Stick
Randy McStine – Guitars

Fotos: Prog in Focus
Wer nicht zu den Konzerten der aktuellen Tournee von Steven Wilson gehen will, weil dieser in den letzten Jahren zu poplastig war, der sollte seine Entscheidung noch einmal überdenken. Mehr Prog als bei seinem Konzert in Düsseldorf geht kaum. Kaum „Hits“, dafür ellenlange Stücke, 75 % der Zeit instrumental, viele davon hatte man schon lange nicht mehr gehört. Das alles bei einem Top-Sound. Nicht zu laut und mit tollen Visuals.
Dazu eine bestens aufgelegte, professionell agierende, aber nahbar und sympathisch wirkende Band, die sichtlich viel Spaß hatte und ein zu Späßen aufgelegter Steven Wilson.
Da erscheint die Porcupine-Tree-Reunion-Tour rückblickend, im direkten Vergleich, fast wie ein lupenreines Popkonzert! – FF

Surftipps zu Steven Wilson:
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Rezensionen:
„The Overview“ (2025)
„The Harmony Codex“ (2023)
„The Future Bites“ (2021)
„Eminent Sleaze“ (2020)
„To The Bone“ (2017)
„Transience“ (2016)
„4 ½“ (2016)
„Hand. Cannot. Erase.“ (2015)
„Drive Home“ (2013)
„The Raven That Refused To Sing (And Other Stories)“ (2013)
„Grace For Drowning“ (2011)
„Insurgentes“ (2009)
Liveberichte:
17.07.18, Bonn, Kunst!Rasen
05./06.03.18, Essen, Colosseum Theater
15.01.16, Bochum, Jahrhunderthalle
20.03.15, Köln, E-Werk
Interviews:
Steven Wilson zu „To The Bone“ (2017)
Steven Wilson zu „Hand. Cannot. Erase.“: “Living In The City In The 21st Century” (2015)
Weitere Surftips:
Veranstalter: FKP Scorpio
Venue: Mitsubishi Electric Halle