(Vinyl (2LP), Mediabook (3CD+Blu-ray), Digital; InsideOut Music/Sony Music, 13.09.2024)
Im September 2023 schlossen Big Big Train ihre “The Journey Continues”-Tournee mit zwei Konzerten in der Londoner Cadogan Hall ab, wobei sich die Hälfte der gespielten Stücke an den beiden aufeinanderfolgenden Tagen voneinander unterschied. Es war die erste Konzertreise der Band nach dem tragischen Tod von David Longdon und gleichzeitig die erste mit dessen Nachfolger Alberto Bravin. Für viele Fans dürfte diese Tournee die erste Begegnung mit dem neuen Sänger gewesen sein, da das aktuelle Studioalbum “The Likes Of Us” zu diesem Zeitpunkt noch nicht veröffentlicht war.
Mitschnitte der beiden Abende sind diesen September unter dem Titel “A Flare On The Lens: Live In London” in zwei verschiedenen Varianten veröffentlicht worden: Die Mediabook-Version beinhaltet dabei den zweiten Abend in voller Länge und Originalreihenfolge sowie im Anschluss daran alle übrigen Stücke, die nur am ersten Abend gespielt worden sind. Die Doppel-LP-Variante des Albums hingegen bildet kein vollständiges Konzert ab. Zwar diente auch hier der zweite Abend als Grundlage des Tonträgers, doch fiel ein von Nick D’Virgilio, Alberto Bravin und Rikard Sjöblom vorgetragenes Akustik-Medley mit ‘Leopards’, ‘Meadowland’ und ‘Wassail’ wohl aus Platzgründen der Schere zum Opfer. Zudem wurde die Reihenfolge der Lieder so abgeändert, dass ‘Apollo’ nunmehr inmitten der Zugaben auftaucht und das zuletzt gespielte ‘Victorian Brickwork’ nun an drittletzter Stelle auf der Schallplatte erscheint. Für Puristen wohl ein Schönheitsfehler, der der Dramaturgie der Scheiben und ihrem Gesamteindruck allerdings keinen Abbruch tut.
Schwerpunkt der Setlists waren übrigens die beiden “English Electric”-Alben, wobei man am ersten Abend auf vier und am zweiten Abend auf fünf andere Stücke der Platten zurückgriff. Andere Alben hingegen wurden mit maximal einem Stück berücksichtigt, darunter ‘Folklore’, ‘Eastcoast Racer’ und das unglaublich gute ‘Victorian Brickwork’. Einzige Ausnahme: Das damals noch nicht veröffentlichte Album “The Likes Of Us”, von dem man am ersten Abend sowohl ‘Oblivion’ als auch ‘Love Is The Light’ aufführte. Zwar kann man bei der so umfangreichen Diskografie von Big Big Train und der Anzahl nicht berücksichtigter Alben kaum von einer Werkschau sprechen, doch bilden die beiden Abende einen guten Querschnitt durch die Historie der Band.
Die Frage nach dem besseren Big-Big-Train-Sänger erübrigt sich dabei, da die Leistung, die Alberto Bravin hier abliefert, makellos ist. Auch zollt er David Longdon dadurch Respekt, dass er dessen Stücke nicht vollkommen neu interpretiert, sondern maximal eine persönliche Note miteinbringt. Ob Bravins oder Longdons Stil einem dabei besser gefällt, ist somit lediglich eine Frage des Geschmacks. Feststellen kann man allerdings, dass der notgedrungene Sängerwechsel bei manch einem Stück für frischen Wind sorgt.
Erwähnenswert ist übrigens auch, dass Tourmusikerin Maria Barbieri für den ausgestiegenen Dave Gregory die Gitarre übernommen hat und dass Neuzugang Clare Lindley erstmals auf einer Live-Aufnahme der Band an der Violine zu hören ist, anstelle der ebenfalls 2020 ausgeschiedenen Rachel Hall. Wer Big Big Train bisher nicht kannte, dürfte zudem darüber staunen, wie spielerisch und selbstverständlich es bei dieser Truppe wirkt, wenn Musiker einfach mal so untereinander die Instrumente tauschen, wie etwa bei ‘A Boy In The Darkness’.
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Ähnlich wie die alten Genesis sind Big Big Train eine Formation, deren Musik sowohl durch Komplexität als auch durch Zugänglichkeit gekennzeichnet ist, was sich auch auf “A Flare On The Lens: Live In London” widerspiegelt. Hierdurch funktioniert der Live-Mitschnitt gleich auf doppelte Weise. Einmal als authentisches Live-Dokument, das, vor allem in Filmform, die Auftritte in London ins eigene Wohnzimmer transportiert und wieder und wieder nacherlebbar macht, ohne dass es langweilig würde. Andererseits aber auch als Aufnahme, die wunderbar zum Nebenbeihören geeignet ist, da auf ihr nur wenige wirklich aufregende Momente zu finden sind, wie etwa das Instrumental ‘Apollo’ oder das als ‘Drums and Brass 2023’ betitelte Stück, bei dem sich Schlagzeuger Nick D’Virgilio und das Big Big Train Brass Ensemble duellieren und ganz nebenbei auch noch ‘Heart Of The Sunrise’ von Yes zitieren.
Bewertung: 14/15 Punkten (FF 14, JM 14)
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Besetzung:
Clare Lindley
Nick D’Virgilio
Alberto Bravin
Rikard Sjöblom
Gregory Spawton
Oskar Holldorff
Gastmusiker:
Maria Barbieri
The Big Big Train Brass Ensemble
Diskografie (Studioalben):
“Goodbye To The Age Of Steam” (1994)
“English Boy Wonders” (1997)
“Bard” (2002)
“Gathering Speed” (2004)
“The Difference Machine” (2007)
“The Underfall Yard” (2009)
“English Electric, Part One” (2012)
“English Electric, Part Two” (2013)
“Folklore” (2016)
“Grimspound” (2017)
“The Second Brightest Star” (2017)
“Grand Tour” (2019)
“Common Ground” (2021)
“Welcome To The Planet” (2022)
“The Likes Of Us” (2024)
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Rezensionen:
“The Likes Of us” (2024)
“Welcome To The Planet” (2022)
“Common Ground” (2021)
“Empire” (2020)
“Grand Tour” (2019)
“Merchants Of Light” (2018)
“The Second Brightes Star” (2017)
“Grimspound” (2017)
“A Stone’s Throw From The Line” (2016)
“Folklore” (2016)
“Stone & Steel” (2016)
“Wassail” (2015)
Konzertberichte:
05.09.2022, Zoetermeer (NL), De Boerderij
Interviews:
Big Big Train – Past, Present & Future: Im Gespräch mit Gregory Spawton (2020)
Alle Abbildungen wurden uns freundlicherweise von Oktober Promotion zur Verfügung gestellt.