(38:25, CD, Digital; Eigenveröffentlichung, 01.09.2023)
Wenn eine Tragödie, ein Verlust direkten Einfluss auf eine Album-Aufnahme nimmt, ist grundsätzlich der emotionale Fokus ein ganz anderer als die übliche Routine. Der in Norwegen lebende Rhys Marsh ist von Hause aus seit Jahren für seine melancholischen, letztlich sehr typisch skandinavischen Art-Pop/Rock Veröffentlichungen bekannt und geschätzt und veröffentlicht mit “Towards The West” sein viertes Solo-Album. Die Entstehung der Platte stand unter dem besonderem Einfluss der persönlichen Situation des schwer erkrankten Vaters, der auch vor Vollendung der Platte verstarb. Diese besondere Situation gab dem Sänger die Möglichkeit, diesen Schmerz, die letzte gemeinsame Lebensphase, in besonderer Weise einfliessen zu lassen. Denn der Einfluss des Vaters ist nicht ganz unerheblich, was den Zugang zur Musik für Ryhs betrifft.
Auch wenn die Vorgänger-Alben gerne ebenfalls in herbstlichen Farben koloriert waren, aber auch oft mit zum Teil experimentell jazzigen Einflüssen spielten, darf dieser Platte ein besonders durchgehend, sehr dichter Melancholie-Fluss beschieden werden. Tröpfelnde Piano-Momente, langsame, Räume schaffende simple Strukturen, die es nicht schwer machen, der Dichte des Albums wie einem einzig langen Song zu folgen. Eben dies nimmt man wahr, die stets langsamen, sehr fragilen, schwebenden Töne gemahnen an späte Talk Talk, David Sylvian und auch die sehr melancholische, introspektive Seite eines Steven Wilson ist nicht zu überhören. Wer nordischen Prog wie Landberk, die elegische Seite der frühen King Crimson vergöttert oder auch die letzten Solo-Alben des Kristoffer Gildenlöw bevorzugt, wird ein Stimmungsbild vorfinden, in dem der nächste Herbst schnell kommen darf.
Nach dem kurzen akustischem Intro folgt mit dem Zehnminüter ‘Gold In The Sun’ ein wundervolles Stück Schwermut, bei dem langsam von Sekunde zu Sekunde die Sonne im Meer versinkt. Ganz klare, einfache Drum-Anschläge werden im späteren Verlauf des Songs mit schmerzenden Mellotron, feinen Gitarren-Motiven und verspielten Bassläufen zu einem emotionalen Grower, der immer wieder Räume schafft, aber stets zu Gunsten der Dynamik kleine dunkle Schichten im Sound hinzu addiert. In der Melodie scheint – und das gilt für alle Songs – permanent ein Funken Dramatik, Dringlichkeit, Schwere und Alarmbereitschaft auf. In dieser Art Schwermütigkeit folgen das wehmütige ‘It´s Like You Always Said’ (mit der Stimme des verstorbenen Vaters), das intensive, anklagende ‘Cauterise’, das mit der Unabänderlichkeit der Dinge hadert und mit viel Ballast behaftet ist. Dies wird mit deutlich Mellotron geschwängerten Sounds und sehr emotionalem Gesang unterstrichen. Das kurze Instrumental ‘Grenville Street’ führt zum letzten Longtrack ‘We´ll See You Again’, der erneut mit fragilen, schlendernden Rhythmen durch die einsame Nacht streunt, melancholisch akzentuierte Gitarren nehmen uns an die Hand und ein einsames Piano versetzt das Panorama erneut in Noir-Szenarien. ‘Aspen’ beschließt die zeitlich übersichtliche Veröffentlichung mit stillem Piano Anschlag.
Die Abschieds-Atmosphäre wird über die knapp 40 Minuten in dichter Song-Abfolge wie oben beschrieben gefühlt zu einem einzig langen traurigen, aber auch tröstlichen Etwas und lässt sich dadurch perfekt am Stück einverleiben, wieder und wieder. Ein durch und durch introspektiver Seelen-Striptease, musikalisch auf den Punkt gespielter skandinavisch inspirierter New Artrock, langsam, traurig, voller schmerzhaft schöner Melodien und wie immer in Sachen Sound hochwertig in Szene gesetzt.Bewertung: 13/15 Punkten (RB 13, KR 12)
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Rezensionen inkl. Beteiligungen
Rezension “The Black Sun Shining (2015)
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