(85:30, 2x CD, Deluxe Edition, 2x Vinyl, Digital Download, Chocolate Frog Records, 2020)
Fish? Der Typ der in den 80ern dieses ‘Kayleigh’ von Marillion gesungen hat? Ach ja, fand ich toll. Macht der noch was, gibts den noch? So oder so ähnlich wird es wohl abseits einer kleinen aber treuen Anhängerschaft vielen gehen, die jetzt vielleicht zum ersten Mal von “Weltschmerz” hören.
Dabei war Derek W. Dick (hier im sorgfältig betreuten Interview) stets ein umtriebiger Solo-Künstler, aber auch nicht immer ein ganz einfacher Charakter, der sich das ein oder andere Mal sicherlich auch selbst im Weg stand. So verlief die Karriere nach Marillion eher mäßig und mit vielen Stolperfallen versehen. Nach mehreren persönlichen Schicksalsschlägen erscheint nun mit einiger Verzögerung das im Vorfeld schon als Abschiedsalbum angekündigte “Weltschmerz” und weckt aufgrund der langen Wartezeit entsprechend hohe Erwartungen. An der Produktion des Albums waren zahlreiche alte und neue Weggefährten beteiligt, und mit Calum Malcom ist ein überaus erfahrener Produzent mit im Boot.
‘Grace Of God’ eröffnet das über 80-minütige Werk mit dem Klang eines MRT-Geräts, nicht ohne Grund, denn Fish verarbeitet hier textlich seine gesundheitlichen Rückschläge der letzten Jahre. Musikalisch ist der Titel eine Art Blaupause für einen typischen Titel aus der Feder von Fish und Co-Writer Steve Vantsis. Die Musik lässt sich nicht zweifelsfrei dem Progressive Rock oder Art Rock zuordnen und muss es auch gar nicht. Der Song lebt von einer ihm ganz eigenen Stimmung, die gleichzeitig entspannte und treibende Passagen gekonnt verknüpft. Dies gibt gleichzeitig den Weg vor, den “Weltschmerz” musikalisch geht. Sehr positiv fällt bereits gleich zu Anfang die abwechslungsreiche und durchweg großartig besetzte Instrumentierung des Albums auf, unter anderem mit John Mitchell und Robin Boult an den Gitarren, Liam Holmes an den Tasten oder Doris Brendel mit Backing Vocals. Zahlreiche weitere Akteure wie Bläser, Streicher, Flöten oder Akkordeon bereichern die klangliche Vielfalt auf “Weltschmerz”, zu viele jedenfalls um hier alle aufzuzählen.
Auch sperrige Themen geht Derek in seiner ihm ganz eigenen Art an und beweist seine Schaffenskraft als schottischer Poet und Textwerkler, seine Worte auf “Weltschmerz” reichen anderen jedenfalls für mindestens vier Alben. In dem bereits 2018 auf der EP “A Parley with Angels” vorab veröffentlichten ‘Man With a Stick’ geht es ums Älter- und auch wenig ums Vergessen werden. Zwei weitere Songs dieser EP befinden sich ebenfalls auf “Weltschmerz”, ‘Little Man What Now’ und ‘Waverly Steps’. Alle drei Titel wurden allerdings von Grund auf neu abgemischt und bieten daher ein völlig neues Hörerlebnis. Weiter geht es in der Tracklist mit ‘Walking On Eggshells’, welches anfangs mit leicht beswingter Akustikgitarre und lockeren Grooves begeistern kann. Beim epische angelegten Finale des Tracks darf sich dann auch Craig Blundell an den Drums richtig austoben, ansonsten spielt er auf den weiteren Tracks (die drei Songs von “A Parley with Angels” blieben unverändert von Dave Stewart eingespielt) stets absolut songdienlich auf hohen Niveau.
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“Weltschmerz” durchzieht textlich wie musikalisch durchgängig eine leichte Melancholie und tiefe Nachdenklichkeit, und selbst dem ‘The Company’ Nachfolger ‘The Party’s Over”, welches mit fröhlichen Whistles und Handclaps daherkommt, transportiert eine durchaus ernste Message. Fish meint hier sicherlich nicht nur sein eigenes Karriereende, sondern auch die aktuellen Entwicklungen auf unseren Erdball. Prominent hier übrigens die wunderbaren Saxophon Einlagen von David Jackson, der später auch noch ‘Little Man What Now’ veredeln darf.
Als nächstes folgt mit ‘Rose Of Damascus’ ein absoluter Leuchtturm dieses an Highlights nicht gerade armen Albums. Fish zieht hier alle Register seines Könnens. Das abwechslungsreiche Arrangement baut einen echten Spannungsbogen auf, in Teilen könnte dies durchaus als Filmmusik durchgehen, woran die grandios eingespielten Streicherpassagen einen großen Anteil haben. Hinzu kommen einige Spoken-Words Passagen (übrigens die einzigen auf dem ganzen Album), die hier weder deplatziert noch aufgesetzt wirken, sondern eine ganze eigene Anziehungskraft entfalten. Die Geschichte die Fish hier zu erzählen hat, ist auch abseits der Musik mehr als hörenswert. Man darf gerne eine lang vergessene Tradition wieder aufleben lassen, indem man sich das Booklet mit den Texten parallel zur Musik vornimmt.
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Das bereits vorab veröffentlichte ‘Garden Of Remembrance’ mag stilistisch ein zweites ‘Gentleman’s Excuse Me’ sein, verarbeitet aber auf wunderbar berührende Art und Weise das Thema Demenz. Fish findet hier genau die richtigen Worte um über diese Krankheit und ihre Folgen für die Angehörigen zu sprechen, gleichzeitig lässt der Titel viel Raum für Interpretationen. Das Fish hier trotzdem die Grenze zum Kitsch vermeidet muss man ihm ebenfalls hoch anrechnen. Der ‘C Song’ holt uns im Walzertakt etwas aus der Melancholie und läutet das fulminante dreiteilige Finale ein. Die bereits bekannten ‘Little Man What Now?’ und ‘Waverly Steps’ sind zwei erstklassige Longtracks. Während erst genannter Titel von seiner dreckigen Film Noir Atmosphäre lebt, handelt es sich bei ‘Waverly Steps’ um eine erstklassige Progressive-Rock Nummer. Wie bereits erwähnt gewinnt vor allem dieser Titel durch den Remix noch einmal enorm hinzu. Auch dies spricht für Fishs Anspruch, mit “Weltschmerz” noch einmal alles zu geben, er hätte ja durchaus die bereits bestehenden Mixes übernehmen können.
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Mit dem titelgebenden ‘Weltschmerz’ endet Fishs Abschied aus dem Musikgeschäft. Es ist ein klassischer Titel des Schotten, der auch auf einem seiner vorhergehenden Alben nicht deplatziert gewesen wäre. Textlich fasst er nochmal alles zusammen, was aus seiner Sicht falsch läuft momentan auf dieser Welt. Oder in seinen Worten:
“I am a grey bearded warrior, a poet of no mean acclaim. My words are my weapons that I proffer with disdain. My melancholy aspect is something you can’t disregard. My motives you cannot question nor my strong sense of right and wrong”.
Fish versprach zum Ausklang seiner Karriere einen würdigen Abschluss und er hält tatsächlich Wort. Was er hier zusammen mit seinen vielen Mitstreitern und langjährigen Co-Writer Steve Vantsis abliefert, ist in allen Belangen würde- und wundervoll. Angefangen bei der erstklassigen Produktion, den abwechslungsreichen und vielschichtigen Arrangements, und der einmaligen Stimme von Fish, die im Alter an Gelassenheit gewonnen aber an Charakter nichts verloren hat, bekommt man hier ein rundum packendes Abschiedsgeschenk eines einmaligen Akteurs und Geschichtenerzählers der Progressive Rock Szene.
Man kann am Ende dieser langen Reise eigentlich nur den leisen Wunsch äußern, Fish möge es sich mit dem Karriereende doch bitte noch einmal überlegen. Und während er darüber hoffentlich nachdenkt, können wir uns auf eine 2021 stattfindende Tour freuen und uns für eines der vielen Formate, in denen “Weltschmerz” erscheint, entscheiden. Dabei haben wir reichlich Auswahl zwischen Standard-CD, Deluxe Box-Set, digitalem Release und natürlich der Doppel-Vinyl Ausgabe.
Bewertung: 14/15 Punkten (WE 11, DH 13, HK 14, KS 12)
Surf-Tipps zu Fish:
Fish im betreuten Interview
Tourdaten 2021
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Abbildungen: Fish / Chocolate Frog Records / Wojtek Kutyla
3 Kommentare
wo erscheint die doppel lp denn hier in DE ?
Garnicht ,nicht wahr,?
Kann man nur mit Wucherporto in UK ordern!
das ist echt scheisse.
Ja, tatsächlich gibt es die physischen Produkte erstmal nur direkt über fishmusic.scot. FISH hat vor längerem überlegt, eine deutsche “Zweigstelle” in Karlsruhe zu installieren. Diese Pläne liegen aber bislang auf Eis. Immerhin unterstützt Du den Künstler sehr direkt, wenn Du bei ihm direkt bestellst.
Von Hennis wohlbegründeter Würdigung inspiriert hab ich mir diese Musik trotz anfänglich völliger Kaltlassung aufs Phone geladen u. damit ein paar Wochen lang gelebt, vor allem damit gelaufen.
Und siehe – es hat sich (leider) nüscht geändert.
Die gesanglichen Einschränkungen sind zwar post Studio nicht mehr gar so unbarmherzig wie zuletzt live erlebt. Aber ich wüßte wirklich nicht, wo hier etwas passiert, was der Barde zuvor nicht schon mal musikalisch wie textlich zwingender umgesetzt hätte.
Strunzsubjektiv und Geschmackssache (wie immer): Der ‘Garten’ scheint mir eine Positiv-Ausnahme, ansonsten glaube ich nicht, dass ich das Album nochmal hören werde.
Sagt einer, für den Marillion seit dem FishExit eine Pein ist und der aufgrund dessen Scottish Accent normalerweise schon bei Fishs Ansagen (“Storrry”) bewundernd das Knie beugt.
Schad’.