(37:50; Vinyl, CD, Digital; Mute Records/[PIAS], 09.05.2025)
Auf Enez Eusa, der abgelegenen Insel Ouessant (engl.: Ushant) vor der bretonischen Atlantikküste, endet Frankreich – und beginnt etwas anderes. Hier lebt Émilie Tiersen alias QUINQUIS, gemeinsam mit Ehemann Yann Tiersen, zwischen Wind, Wellen und Wildnis. Ein Leben am Rand der Welt – und vielleicht genau deshalb eines, das mit wachem Blick nach innen lauscht.
Mit „eor“, dem Nachfolger ihres 2022er Debüts „SEIM“, hat QUINQUIS nun ein Werk vorgelegt, das tief in jene Zwischenwelten eintaucht, in denen sich Natur, Mythos und Identität begegnen. Dabei ist das Album weit mehr als nur eine atmosphärische Fingerübung in elektronischer Folklore – es ist ein akustisches Journal eines Seelen- und Segeltörns.
Denn QUINQUIS segelt. Denn Segeln ist für sie ein Instrument der Freiheit – um einerseits nach Hause zu kommen und die Insel andererseits selbstbestimmt wieder verlassen zu können. Zudem erweiterte QUINQUIS ihren Bewegungsradius immens. Allein, oft tagelang. Über die Irische See, um die Färöer, entlang der schottischen Küsten. Und wer einmal nachts allein auf offener See war, weiß: Die Dunkelheit dort draußen ist nicht leer. Sie ist voller Geschichten. Genau solche beginnen auf „eor“ zu atmen – in modularen Synth-Wellen, in Stimmen, die aus der Tiefe auftauchen, und in Sprachen, die seltener geworden sind, aber nie verklungen.
Ein zentrales Motiv des Albums ist die Meerjungfrau. Nicht die Disney-Sorte, sondern eine Repräsentantin der bretonischer Sagenwelt, neu gedacht für das 21. Jahrhundert.
I wanted to think about the essence of a mermaid – the desire to encounter beauty that makes you want to lose yourself completely. We don’t hear many stories about mermaids falling in love with mermaids, or sailors falling in love with sailors.
Diese thematische Weite schlägt sich musikalisch in transkulturellen Allianzen nieder: Die Südafrikanerin Desire Marea singt auf isiZulu im sehnsüchtig pulsierenden „Inkanuko“ (dt.: „Lust“).
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Während im fragilen „Blaz An Holen“ – von Émelie gemeinsam mit der großartigen Cerys Hafana gesungen – Bretonisch und Walisisch ineinander fließen.
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Und mittendrin: die Single ‚Dec’h‘ (dt.: „Gestern“), in der sich über arpeggierenden Synthwellen Meerjungfrauen in der Gischt tummeln – eine musikalische Transformation von Trauer in Tanz. Das begleitende Video mit einer Truppe von Drag Queens auf der Enez Eusa unterstreicht diese Metamorphose mit einem regelrechten Farbenrausch, der zu Tränen rührt.
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Wie auch auf dem neuen Doppelalbum „Rathlin From A Distance / The Liquid Hour“ ihres Gatten Yann, zeigt sich die Handschrift der See nicht nur im Inhalt, sondern auch in der Form des Albums. „eor“ ist ein fließendes Werk, das klassische Songstrukturen weitesgehewnde meidet . Die Tracks entstehen aus Texturen, aus Bewegungen, aus der Lust am Verweilen – und manchmal auch am Verschwinden. Elektronische Klänge bilden das Gerüst, aber nie das Korsett. Das Album lebt vom Unvorhergesehenen, von der Sanftheit im Sturm. Oder, wie QUINQUIS selbst sagt:
Electronic music can really go to unknown territories and make people wish to listen again, like when you’re learning a language.
Und tatsächlich klingt „eor“ wie eine Sprache, die man nicht sofort versteht, aber sofort fühlt. Eine Sprache, die flüstert, tost, tröstet – und einen an Orte trägt, an denen sich Mensch, Mythos und Modulation begegnen.
Bewertung: 11/15 Punkten
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![QUINQUIS - eor (Mute, [PIAS], 09.05.2025)](https://www.betreutesproggen.de/wp-content/uploads/2025/06/QUINQUIS_credit_Titouan_Masse_05029-300x200.jpg)
Émilie Tiersen
Gastmusiker:
Desire Marea (Gesang – track 1)
Cerys Hafana (Gesang – – track 3)
Diskografie (Studioalben):
Als Tiny Feet: „Tiny Feet“ (2014)
Als Tiny Feet: „As An End To Death“ (2017)
„SEIM“ (2022)
„eor“ (2025)
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Rezensionen:
„SEIM“ (2022)
Abbildungen: Alle Abbildungen wurden uns freundlicherweise von Mute Records zur Verfügung gestellt.