Progressive-Pogo-Samba-Sommer-Sause
Knapp elf Jahre war es her, dass The Mars Volta letztmals in Europa aufgetreten waren. Was nicht verwunderlich war, denn schließlich hatte sich die Band nach ihrem 2012er Album “Noctourniquet” in einen Hiatus begeben, der bis zum Erscheinen ihres selbstbetitelten Albums im Jahre 2022 andauern sollte. Dass unter den wenigen Shows auf dem europäischen Festland dann allerdings nur zwei Headliner-Shows herausspringen sollten, das konnte schon zu Schultertzucken bei den Fans führen. So galt es also abzuwägen: ein verkürztes Set als Opener von Iggy Pop und Red Hot Chili Peppers, mit kurzer Anfahrt, dafür aber zu überteuerten Preisen, oder aber eine dreistündige Fahrt, unter der Woche, one-way, zu einer Show mit vollem Programm. Die Wahl fiel nicht schwer…
…und wurde mit einem unvergesslichen Auftritt im wundervoll gelegenen Openluchttheater Rivierenhof im Antwerpener Stadtbezirk Deurne belohnt. Ein gemütliches Amphitheater mit gut Sicht und vorzüglicher Akustik, das zudem über einen Steh-Bereich direkt vor der Bühne verfügte und genügend Raum für eine größere Zuschauermenge bot.
Teri Gender Bender
Als Opener für Omar Rodríguez-López und Cedric Bixler-Zavala fungierte auch an diesem Abend wieder einmal die exzentrische Künstlerin Teresa Suárez Cosío, besser bekannt unter ihrem Alias Teri Gender Bender. Genauso wie schon vor fünf Jahren in der Kölner Live Music Hall. Nur dass die Hauptband damals At The Drive-In hieß und Frau Cosío nicht mit einem Solo-Programm, sondern gemeinsam mit ihrer Band Le Butcherettes auftrat.
Vor allem in The-Mars-Volta-Fankreisen ist die Musikerin keine Unbekannte mehr, denn sie zählte neben Omar Rodríguez-López zu den Mitgliedern der kurzlebigen Band namens Bosnian Rainbows (2012 – 2013). Und so wurde die Künstlerin vom Publikum dann auch gebührend gefeiert. Denn der Auftritt der ganz in Pink gekleideten und mit einem Fake-Schnurres verkleideten Künstlerin vermittelte eine rohe Energie wie man sie von At The Drive-In kannte. Dazu eine exzentrische Bühnenshow die mehr Punk war als Teri Gender Benders Musik selbst. Ein Opener, der Erinnerungen an das Bühnengebaren einer Nina Hagen weckte und hohen Unterhaltungswert hatte. Die perfekte Einstimmung auf das, was folgen sollte…
The Mars Volta
…obwohl man zuvor ja gar nicht so genau gewusst hatte, was folgen würde.
Zwar hatten The Mars Volta im September 2023 gerade erst ihr siebentes Studio-Album veröffentlicht, doch waren dessen Stücke auf der zurückliegend Nord-Amerika-Tournee bis auf wenige Ausnahmen ignoriert worden. Würde dies in Europa genauso sein? Würde man den Fokus vielleicht verschieben und doch auf die neue, doch sehr Art-Pop-lastige Platte legen? Oder würde man sogar die aktuelle Akustik-Scheibe “Qué Dios Te Maldiga Mí Corazón” vorstellen? Wobei letzteres kaum vorstellbar war, außer man hätte langjährige Fans nach elfjähriger Abwesenheit möglichst effektiv verprellen wollen. Denn wo “The Mars Volta” schon einer Umpolung des musikalischen Grundgerüsts der Band gleichkam, die die Fanbasis in Lover & Hater spaltete, gingen die akustischen Interpretationen dieser Stücke noch einen Schritt weiter, sodass The Mars Volta als solche praktisch gar nicht mehr erkennbar waren.
Wer Angst vor einem der beiden letzten Szenarien gehabt haben sollte, der konnte schnell beruhigt sein. Denn obwohl der Opener ‘Vicarious Atonement’ vom 2006er “Amputechture” das Publikum noch ein wenig im Dunkeln ließ, wurde spätestens mit ‘Roulette Dares (The Haunt Of)’ und ‘L’Via L’Viaquez’ deutlich, in welche Richtung der Abend gehen würde. Denn bis auf zwei Stücke des selbstbetitelten Albums, sollten im Folgenden ausschließlich Lieder der beiden Platten folgen, mit welchen die Amerikaner ihre Reputation aufgebaut hatten und die heute beide als Klassiker des Modern Prog gelten: “Frances The Mute” (2005) sowie “De-Loused In The Comatorium” (2003). Die drei Alben der Periode zwischen 2007 und 2012 wurden in Antwerpen hingegen komplett ignoriert.
Obwohl die Stücke in scheinbar wahlloser Reihenfolge gespielt wurden – man sprang zwischen den verschiedenen Alben regelmäßig hin und her – vermochten es Omar Rodríguez-López und Cedric Bixler-Zavala und ihre Mitstreiter, einen harmonischen Flow aufkommen zu lassen. Nicht zuletzt deswegen, da sie die Stücke aus den verschiedenen Bandepochen ineinander übergehen ließen. Als Nicht-Kenner der Kapelle hätte man wohl kaum benennen können, wo das eine Stücke endete und das nächste begann. Was jedoch für jeden Anwesenden wahrnehmbar war, das waren die verschiedenen Stile und Stimmungen. Ausladende psychedelische Passagen mit Improvisationscharakter, technisch progressives Instrumental-Gefrickel, hardcore-lastige Dampfhammer-Passagen, Melodien, die zum Mitsingen einluden und zwischendurch, immer wieder lateinamerikanische Rhythmen, die das Publikum zum Tanzen animierten.
Obwohl die Kommunikation von Frontmann Cedric auf ein Minimum beschränkt blieb, hatte er das Publikum mit seiner Aura und seiner Bühnenpräsenz im Handumdrehen in seinen Bann gezogen. Omar Rodríguez-López hingegen verhielt sich eher zurückhaltend und glänzte alleine durch seine Gitarrenarbeit.
Neben diesen Hauptprotagonisten war es vor allem Omars Bruder Marcel Rodríguez-López an den Percussions, der den Charakter dieses wundervollen Frühsommer-Abends prägte. Denn er ließ die Latino-Vibes, die zwar schon immer integraler Bestandteil der Formation waren, aber nie so dominant wie auf “The Mars Volta” aufgetreten waren, auch bei den älteren Stücken viel stärker in den Vordergrund treten, als man es von den Studio-Aufnahmen her kannte.
So zeichnete sich im Bereich zwischen den Sitzplätzen des Amphitheaters und den Musikern auf der Bühne ein eigenartiges und gleichzeitig faszinierendes Bild ab. Denn die Menschenmenge die sich hier befand, schien nicht recht zu wissen, ob sie sich gerade auf einer Tanzfläche oder in einem Moshpit befand. So entwickelte sich unter den Zuschauern ein ganz sonderbarer Tanzstil, der Elemente von Samba und Pogo miteinander verschmelzen ließ. Dazu passend: Angenehme Temperaturen bei schönstem Sonnenschein sowie die leckeren Cocktails, die im OLT verkauft wurden.
Ein Abend, der kaum Wünsche offenieß. Der Weg hatte sich gelohnt.
Die perfekte Progressive-Pogo-Samba-Sommer-Sause!
Fotos: Prog in Focus – flohfish
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Rezensionen:
“Qué Dios Te Maldiga Mí Corazón” (2023)
“The Mars Volta” (2022)
“Noctourniquet” (2012)
“Octahedron” (2009)
“The Bedlam In Goliath” (2007)
“Amputechture” (2006)
“Scabdates” (2005)
“Frances The Mute” (2005)
“De-Loused In The Comatorium” (2003)
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Konzertbericht Le Butcherettes (2018)
Konzertbericht Le Butcherettes (2016, mit The Picturebooks)
Konzertbericht Le Butcherettes (2016, mit At The Drive-In)
Veranstalter:
Arenberg
Venue:
Openluchttheater Rivierenhof