OU (謳) – one (一)

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(41:10; Vinyl, CD, Digital; Inside Out/Sony, 2022)
Das Hörerlebnis, das Musikliebhaber bei einem Album haben, hängt sehr oft vom Stil ab, in welchem die Vocals dargeboten werden. Denn Growls, Screams und Grunts sind für viele Menschen ein rotes Tuch, egal wie technisch gut diese sind noch wie ausgezeichnet die Musik dahinter ist.
Zwar hat sich Lynn Wu keiner dieser extremen Gesangsstile verschrieben, doch auch das Urteil, das sich Leute über OU (謳) bilden werden, könnte stark davon abhängen, wie sie mit dem Gesang der Frontfrau klarkommen. Denn Lynn Wu kommt aus Beijing, singt auf Chinesisch und ihre Stimme hat genau jenen hohen, extrem stechenden Klang, der vielen China-Reisenden das Mark erschüttern lässt. Gesang, der für westliche Ohren extrem gewöhnungsbedürftig sein kann, dem man unter technischen Gesichtspunkten jedoch nicht ein Jota ankreiden kann.

Doch man kann sich ja auch an Dinge gewöhnen, mit dem Ergebnis, sie schätzen zu lernen. Denn der Gesang, der auf “one” (一) zu Hören ist, bringt einen in dieser Form selten gehörten Aspekt in den Progressive Metal ein: Frohsinn! Denn wo andere Vertreter des Genres hauptsächlich durch aggressive Growls oder melancholischen Gesang auffallen, sorgen OU für einen heiteren Kontrapunkt zu den djentigen Riff-Attacken ihres progressive Metals.

Zu verdanken ist dieser Crossover aus abendländischem Prog Metal, Jazz und ost-asiatischem Gesang, dem Schlagzeuger der Band: Anthony Vanacore, der vor Jahren ins Reich der Mitte gezogen ist und dort mit Jing Zhang (Guitars) und Chris Cui (Bass) zwei gleichgesinnte Musiker um sich scharrte. Zuletzt gesellte sich dann auch noch Lynn Wu zu dem Trio und verpasste der Truppe ihren unverwechselbaren Klang.

Vernachlässigt man diesen allerdings, so bleibt moderner, hoch-energetischer Prog Metal übrig. Der gleichzeitig höchst eingängig, aber auch komplex daherkommt, stark vom Jazz geprägt ist und mit vielschichtigen Synthie-Sounds spielt. Ganz so, als hätte man Haken, Rolo Tomassi und Devin Townsend in einen Pott geworfen und kräftig durchgeschüttelt.

Und so ist der Albumauftakt aus den drei Singles ‘Travel’ 穿, ‘Farewell’ 夔 und ‘Mountain’ 山 melodisch, schweißtreibend und unterhaltsam. Doch gleichzeitig auch äußerst anstrengend. Denn diese Mischung aus technischem Prog und forderndem Gesang verlangt vom Hörer so einiges ab und dürfte dem ein oder anderen seine Toleranzgrenze aufzeigen. Und so ist es begrüßenswert, dass OU mit den Titeln vier und fünf eine Zäsur gewagt haben. Ein musikalischer Bruch, der wie aus dem Nichts kommt. Ein stilistischer Eingriff, der die Platte in ihrem Fluss stört, der aber gleichzeitig notwendig war, um die Hörer nicht zu überfordern. Uns so schleicht sich ‘Ghost’ 灵 mit seinen minimalistisch-synthetischen Ambient-Klängen wie ein Gespenst in den Klangkosmos von OU ein, beraubt diesen all seinem technischen Gefrickel, seiner Verkopftheit und seiner Aggressivität. Eine Stimmung, die im anschließenden ‘Euphoria’ 兴 weitergeführt wird, doch hier mit ruhigen wie zurückhaltenden Jazzcore-Elementen kombiniert wird und über eine Dauer von fast siebeneinhalb Minuten bis zur vollkommenen Stille gebracht wird. Ein Zustand, aus dem man abrupt wieder herausgerissen wird, denn ‘Prejudice’ 豸 ist nichts anderes als eine erneute Riff-Attacke Jing Zhangs auf die Gehörgänge. Ein Angriff, der von Anthony Vanacore und Bassist Chris Cui sehr tight untermauert wird. Ein solides Fundament, welches jedoch genügend Freiräume lässt, sodass sich der Gitarrist in Jazz-Ausflügen üben kann.

Nochmals spannend wird es dann mit ‘Dark’ 暗, bei welchem Frontfrau Lynn Wus Stimme wie ein chinesisches Glockenspiel erklingt. Ein Intro, das den Auftakt zu einer ruppig-disharmonischen Entdeckungstortur bildet, die faszinierend wie verstörend wirkt. Erlösung findet man allerdings erst nach gut sieben Minuten, als OU mit ‘Light’ 光 auf den zwischenzeitlich eingeschlagenen Ambient-Pfad zurückkehren. Und so endet “one” mit avantgardistischem Art Pop, der in dieser Form auch von Björk hätte stammen können. Beruhigend und nach über einer halben Stunde körperlicher Anstrengung genau der Ausklang, den dieses Album brauchte.
Bewertung: 11/15 Punkten

Tracklist:
1. ‘Travel’ 穿 (05:54)
2. ‘Farewell’ 夔 (04:12)
3. ‘Mountain’ 山 (04:18)
4. ‘Ghost’ 灵 (03:34)
5. ‘Euphoria’ 兴 (07:19)
6. ‘Prejudice’ 豸 (04:31)
7. ‘Dark’ 暗 (07:17)
8. ‘Light’ 光 (04:05)

Ou - One (Inside Out/Sony, 06.5.22)

Credit: Frank Mao

Besetzung:
Lynn Wu (Vocals)
Anthony Vanacore (Drums)
Jing Zhang (Guitars)
Chris Cui (Bass)

Diskografie (Studioalben):
“One” (2022)

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Abbildungen: Alle Abbildungen wurden uns freundlicherweise von Head Of PR zur Verfügung gestellt.

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Über den Autor

1978 in Traben-Trarbach geboren und seit 2014 in Köln ansässig bin ich noch immer ein echter Globetrotter. Ziehe ich gerade einmal nicht trampend und couchsurfend mit meiner Frau Inga durch die Welt, so arbeite ich als Sozialpädagoge in der Inklusionsbegleitung sowie in der Einzelfall- und Familienhilfe. Nebenberuflich bin ich als Stadtführer für Free Walk Cologne tätig. Außerdem nähen Inga und ich hin und wieder noch immer unsere Travelling Monkeys, handgefertigte Stoffaffen. Musikalisch in den 90ern sozialisiert, wuchs ich mit Grunge (Pearl Jam, Nirvana), Prog (Marillion, Dream Theater), Punk (Bad Religion, NoFX), Gothic Metal (Paradise Lost, My Dying Bride) und Crossover (Rage Against the Machine, Faith No More) auf. Für mich sind die letzten zehn Jahre musikalisch so ziemlich die spannensten, die ich bisher erlebt habe, da in dieser Zeit viele jener verschiedenen Stile musikalisch zusammengführt worden sind.

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OU (謳) – one (一)

von flohfish Artikel-Lesezeit: ca. 3 min
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