(1:02:00; Vinyl (2LP), CD, Digital; Roadrunner Records/Warner Music, 28.03.2025)
Mit “Infinite Granite” legte die US-amerikanische Band Deafheaven vor vier Jahren ein fast lupenreines Shoegaze-Album vor und entfernte sich damit so stark von ihrem charakteristischen Blackgaze-Sound wie noch nie. Die Betonung allerdings liegt auf dem Wörtchen “fast”, denn unter der Oberfläche aus unschuldig anmutenden Dreamscapes schien ein furchterregendes Monster nur darauf zu warten, aus seinem Versteck zu springen und zuzuschlagen.
Auf “Lonely People With Power” ist diese Kreatur nun aus ihrem Schattenreich gekrochen. Das zuletzt kaum wahrnehmbare Monster ist plötzlich allgegenwärtig, fletscht seine Zähne und offenbart sein furchterregendes Antlitz. Aus einer latenten Bedrohung hat sich ein omnipräsenter Schrecken entwickelt, der über die gesamte Dauer des Albums allgegenwärtig ist und immer wieder zupackt.
Für viele eingefleischte Fans waren Deafheaven mit der stilistischen Ausrichtung von “Infinite Granite” einen Schritt zu weit gegangen. Zwar war kaum zu erwarten gewesen, dass George Clarke, Kerry McCoy, Daniel Tracy, Shiv Mehra und Chris Johnson diesen eingeschlagenen Weg weitergehen würden, doch dass Deafheaven eine solche 180-Grad-Drehung vollziehen würden, war wohl genauso wenig vorhersehbar gewesen. So greift man nicht einfach (nur) den Stil wieder auf, welcher “Sunbather” seinerzeit zum Klassikeralbum hat werden lassen, Mit ‘Dobermann’ weckt man auch Erinnerungen an “New Bermuda” und mit ‘Magnolia’ geht man sogar noch weiter in die eigene Vergangenheit zurück und lässt einen Black-Metal-Sound wieder aufleben, der in dieser Form letztmals auf “Roads To Judah” (2011) zu hören war.
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Und doch ist “Lonely People With Power” alles andere als ein rückwärtsgewandtes Album geworden. Denn eigentlich haben Deafheaven mit ihrer sechsten Platte keine 180-, sondern eine 360-Grad-Wendung vollzogen, bei der sie die verschiedenen Elemente der frühen Vergangenheit aufgesammelt und mit den Entwicklungen der letzten Jahre zusammenfließen lassen haben. So ist “Lonely People With Power” die bisher vielfältigste Platte Deafheavens, das Album mit den am weitesten auseinanderliegenden Polen und den größten Extremen. Denn hier treffen der Black Metal des Debütalbums und der Shoegaze des Vorgängers krachend aufeinander. Und doch existieren keine Stücke auf dieser Sammlung, die einfach dem einen oder dem anderen Genre zuzurechnen wären. Die Verflechtung von Stilen, die Deafheaven mit “Sunbather” zur Perfektion gebracht haben, ist auch auf dieses Album angewandt worden, doch ist das Gleichgewicht nur selten ausgewogen, wie im grandiosen ‘Winona’ oder in ‘Body Behaviour’, das wie ein Crossover aus Emperor, Interpol und Placebo anmutet.
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Stattdessen tendieren Deafheaven jeweils viel stärker in die eine oder andere Richtung, im Falle von ‘The Garden Route’, ‘Amethyst’ und des überwiegend clean gesungenen ‘Heathen’ in Richtung Dreamgaze, meist jedoch in Richtung Black Metal.
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Beim Hören von “Lonely People With Power” haben sich bei mir übrigens interessante Assoziationen entwickelt. Denn je öfter ich das Album in den letzten Wochen gehört habe, desto häufiger fühlte ich mich dabei an die Streaming-Serie “Adolescence” erinnert, die derzeit in aller Munde ist. Eine Show, die das Thema “toxische Männlichkeit” behandelt und in der ein 13-jähriger Junge zum Mörder an einer Mitschülerinnen wird. Eine Serie, die nach den vielfältigen Ursachen der Tat fragt und dabei auch die zerrissene Gefühlswelt des Täters in ergreifenden Szenen widerspiegelt – eines missverstandenen Jungen, der sich in einer Übergangsphase befindet und in einem Zustand der Perspektiv- und Orientierungslosigkeit auf gefährliche Rollenmodelle trifft, die seine Unsicherheit letztendlich nur noch verstärken. Ein Junge, der noch die Grundbedürfnisse eines Kindes in sich trägt und nie gelernt hat, mit seiner Angst, seiner Wut und seiner Verzweiflung adäquat umzugehen. Ein einerseits liebenswertes Wesen, voller Bedürfnisse, mit Hoffnungen und Träume, das sich allerdings, einmal kurz getriggert, binnen Augenblicken in ein Monster verwandeln kann, das von all jenen negativen Gefühlen angetrieben wird, die es nie zu beherrschen gelernt hat.
Denn ähnlich wie in “Adolescence” werden die Gefühle von Unschuld und Geborgenheit, die auf “Infinite Granite” noch vorherrschend waren, von einem Schatten überlagert, in dem sich Wut, Angst und Verzweiflung verstecken. Negative Emotionen, die so intensiv sind, dass sie nicht nur das Schöne trüben, sondern immer wieder wie aus dem Nichts hervorbrechen und eine zerstörerische Kraft entfalten.
Ein wahrhaft intensives Hörerlebnis, dass tief in seinen Bann ziehen kann.
Bewertung: 13/15 Punkten
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Besetzung:
George Clarke
Kerry McCoy
Daniel Tracy
Shiv Mehra
Chris Johnson
Diskografie (Studioalben):
“Roads To Judah” (2011)
“Sunbather” (2013)
“New Bermuda” (2015)
“Ordinary Corrupt Human Love” (2018)
“Infinite Granite” (2021)
“Lonely People With Power” (2025)
Surftipps zu Deafheaven:
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Prog Archives
Wikipedia
Rezensionen:
“Infinite Granite” (2021)
Liveberichte:
20.04.23, Tilburg (NL), Poppodium 013, Roadburn Festival 2023
20.04.23, Tilburg (NL), Poppodium 013, Roadburn Festival 2023
07.10.19, Köln, Carlswerk Victoria
Abbildungen: Alle Abbildungen wurden uns freundlicherweise von Oktober Promotion zur Verfügung gestellt.