Der eine oder die andere wird sich vielleicht verwundert die Augen reiben: Warum jetzt noch ein Bericht zum Progdreams-Festival im März? Nun, zum einen liegt es an der mangelnden Arbeitsmoral des Autors, zum anderen bietet sich inzwischen auch die Gelegenheit, gleich einen Ausblick auf 2018 zu geben.
Doch vorweg die Zusammenfassung des hochkarätig besetzten Festivals unweit der wunderschönen Stadt Delft. Wie bereits in den Jahren zuvor, präsentierte sich das Festival in der wohl bekanntesten Kult(ur)stätte der Szene, De Boerderij, Zoetermeer, wieder mit einem hörenswerten Line-up. Für die Abgesandten von BetreutesProggen.de war der Ausflug in die Niederlande, wo Prog höher im Kurs steht als bei uns, ein unbedingtes Muss.
Das Festival-Wochenende eröffnete John Young von Lifesigns, der für beide Tage die Moderation übernommen hatte. Mit der britischen Band Karnataka um Bandleader Ian Jones und Sängerin Hayley Griffiths startete das Musikevent. Die Hoffnung auf Schwelgen in alten, noch eher Folkprog-lastigen Songs wurde leider nicht erfüllt – die Band blieb bei geradlinigem Rock mit nur wenigen progressiven Einflüssen. Als Einstieg okay, aber leider nicht so überzeugend wie erhofft.
Dafür sollten die nachfolgenden Italiener von Barock Project voll und ganz die Erwartungen erfüllen. Da es bei ihnen einige Umbesetzungen gab, war die Spannung darüber groß, ob sich das irgendwie auswirken würde. Diese Frage war leicht mit einem Nein zu beantworten. Keyboarder und Mastermind Luca Zabbini hatte seine Band fest im Griff. Auch ließen er und seine Mannen sich durch anfängliche technische Probleme nicht aus der Ruhe bringen. Zauberhafter Gesang (der den früheren Sänger Luca Pancaldi schnell vergessen ließ) und überwiegend symphonische, keyboardlastige Songs beglückten die Zuhörer. Für die meisten Anwesenden ein absolutes Highlight, das nur noch schwer zu toppen war.
Die Umbaupausen eigneten sich bestens für den einen oder anderen Snack, eine Stippvisite in der Bar, für Fachgespräche oder den schnellen CD-Kauf bei Rob an seinem Beyond Rock-Verkaufsstand.
Als nächstes durften die Kanadier von Huis ihr Bestes geben. Die Band wurde 2009 gegründet, bekanntester Musiker dürfte der auch bei Mystery mitwirkende Gitarrist Michel St-Père sein. Die Musik von Huis erinnerte an Neoprogger wie IQ oder Pendragon. Die Band bot einen ordentlichen Auftritt, der viele Fans begeisterte.
Für den Abschluss des ersten Abends sorgten dann Frost*. Die Band wurde 2004 von Songschreiber, Produzent und Musiker Jem Godfrey gegründet, der auch schon Songs für Atomic Kitten schrieb. Das Line-up bestand aus Craig Blundell: Drums, Jem Godfrey: Tasten, Gesang und Gitarre, Nathan King (Level 42): Bass, sowie John Mitchell (Arena, It Bites, Kino): Gitarre und Gesang. Frost* hinterließen einen starken Eindruck, vor allem Mitchells Gitarrenspiel und der gut aufgelegte Keyboarder Godfrey ließen keine Wünsche offen. Nach Stunden progressiver Reizüberflutung endete gegen Mitternacht der erste Veranstaltungstag.
Nach der erforderlichen Mütze Schlaf und dem obligatorischen Spaziergang durch das romantische Delft war es Zeit, sich auf den nächsten Festivaltag einzustimmen. Dieser verlief nicht weniger spektakulär, so startete der Nachmittag mit dem Opener Tilt. Die von Steve Vantsis (Fish) geführte Band legte 2016 ein recht erfolgreiches Debütalbum vor. Wie für alle Opener ist der Beginn eines Veranstaltungstages nicht einfach, so war es auch für diese Musiker nicht leicht, die Anweseenden zu dieser frühen Zeit vollauf zu begeistern. Es blieb bei einem ordentlichen, aber nicht unvergesslichen Auftritt.
Danach kamen Antimatter auf die Bühne. Die Band wurde von Sänger und Gitarrist Mick Moss und dem ehemaligen Anathema-Mitglied Duncan Patterson 1998 in England gegründet. Nach dem Ausstieg von Patterson verblieb Moss als federführende Kraft. Der Musikstil kann mit Dark Ambient, Alternative Rock oder Dark Rock umschrieben werden. Die Gruppe selbst beschreibt sich als „traurigste Band der Welt“. Für Liebhaber des Genres sicherlich keine schlechter Auftritt, vor allem das Progmetal-Publikum dürfte zufrieden gewesen sein.
Technische Probleme verzögerten den Auftritt des nächsten Acts, an der Vorfreude änderte das aber nichts. Tiger Moth Tales waren das nächste große Highlight des Festivals. Dabei handelt es sich um das Soloprojekt des blinden britischen Multiinstrumentalisten Pete Jones. Schon beeindruckend, wie Pete Jones trotz seines Handicaps sicher und unbeirrt den Ton angab. Sein markanter britischer Humor ließ ihn äußerst sympathisch rüberkommen.
Jones’ Stimme ist melodiös und voller Seele, als Keyboarder und Saxophonist begeisterte er ebenso. Ganz großes Kino war dann der gemeinsame Auftritt im Duett mit Luca Zabbini (Barock Project) – gefühlvoll, aber doch voller Energie, wow das bleibt unvergessen!
Das Festival abschließen durften Lonely Robot, ein Neoprog-Projekt des vielseitigen US-amerikanischen Komponisten John Mitchell. Dieser erschien in einem orangenen Overall bzw. Astronautenanzug auf der Bühne, um sein exzellentes Gitarrenspiel zu zelebrieren, so wie er es zuvor bereits mit Frost* getan hatte. Doch irgendwie sprang der Funke nicht über, trotz insgesamt solider Leistung der Männer um Mitchell. Vielleicht lag es am langsam müde werdenden Publikum, zwei Tage volles Programm forderten ihren Tribut. Gegen Mitternacht endete der letzte Auftritt und damit die sechste Ausgabe des Festivals. Zusammenfassend kann man sagen, dass der Veranstalter auch in diesem Jahr ein tolles Festival auf die Beine gestellt hat.
Wermutstropfen einer ansonsten wie betont sehr gelungenen Veranstaltung stellten immer wieder die sehr ambitionierte Lautstärke und damit verbundene klangliche Einbußen dar. Ärgerlich, dass die Anwesenheit im Saal im Grunde nur mit Gehörschutz einigerermaßen erträglich war. Warum bei solch einem Event Lautstärken jenseits der 100 dB favorisiert werden, erschließt sich nicht.
Vorfreudiger Ausblick
Trotzdem gibt es auch für das für den 2. bis 4. März 2018 angekündigte “Progdreams VII”-Festival nur eins: ab zu unseren netten Nachbarn! In der Zwischenzeit wurde dafür bereits ein Knüller-Programm präsentiert: Zu den Gelisteten zählen Blind Ego, Bent Knee, Golden Caves, Magenta, Celestial Fire, Alan Reed & The Daughters of Expediency, Cairo, die Steve Rothery Band (Marillion), Tim Bowness, Lifesigns und Kaprekar’s Constant. Solche Familienfeste sind durch nichts zu ersetzen, wir sehen uns im Frühjahr 2018 – versprochen.
Live-Fotos: Timo Riedel