(54:11, CD/2LP, Columbia/Sony Music, 2017)
Is This The Life We Really Want? Und Is this the album we all have been expecting from a grumpy old Roger Waters?” Zumindest Frage Nummer zwei lässt sich mit einem eindeutigen Ja beantworten. Waters’ erstes Rock-Studioalbum nach “Amused To Death” aus dem Jahr 1992 entspricht exakt der Tonlage, die er spätestens seit “The Wall” bevorzugt.
Die Opulenz von “Amused To Death” ist allerdings wieder der Spröde von “The Final Cut” gewichen. Kompositorisch gibt sich Roger Waters über weite Strecken ausgesprochen minimalistisch. Da das von einem Prog-Publikum nicht per se klaglos hingenommen wird, muss die Produktion mit zahllosen Zitaten und Reminiszenzen an das Waters- und Pink Floyd-Gesamtwerk die notwendige Wohlfühlatmosphäre nach Art der Hörgewohnheiten des Publikums erzeugen.
Ein Wohlfühlalbum im eigentlichen Wortsinn ist “Is This The Life We Really Want?” selbstverständlich nicht. Roger Waters wäre nicht Roger Waters, würde er seinen Zynismus und galligen Sarkasmus textlich nicht in Gänze zum Tragen bringen. Seine Einlassungen zum Status Quo der Weltgemeinschaft mögen zwar nicht unbedingt ausgewogen und wohl bedacht sein, schließlich sind sie auch ein persönliches Statement, aber widersprechen mag man ihm in den meisten Punkten wohl kaum. Einzig sein früher durchaus vorhandener Humor – man denke an die beiden Seegefecht-Kommentatoren von “Amused To Death” oder an das gemütliche Fletcher Memorial Home aus “Final Cut” – sind ihm inzwischen gänzlich abhanden gekommen. In den letzten Titeln des Albums klingt er gar ungewohnt versöhnlich, was sich allerdings weniger in Bezug auf Weltpolitik, denn auf den zwischenmenschlichen Bereich sagen lässt.
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Gelingt ihm bei alldem und nach all diesen Jahren der große Wurf? Jein. Einerseits entwickelt “Is This The Life We Really Want?” nach mehrmaligem Hören schon eine gewisse Faszination und Titel wie ‘Picture That’ oder ‘Bird In A Gale’ erweisen sich als typische Grower. Andererseits beschleichen den Hörer hier und da gewisse Zweifel, ob es sich bei dem Dargebotenen um waters’sche Kunst oder schlichtweg um Effekthascherei handelt. Plötzliche Bombendetonationen, Radio-Moderation etc. sind im Kosmos des Künstlers quasi Usus. An der einen oder anderen Stelle wünschte man sich, dass Jonathan Wilson (Gitarre) mal von der Leine gelassen würde, um einen Gegenpol zu Waters’ Westerngitarren-Akkorden zu erzeugen. Eine durch das Arrangement aufgebaute Spannung sollte letztlich auch in einer musikalischen Klimax kumulieren. Das wird dem einen oder anderen Hörer unter Umständen fehlen. Merkwürdig auch, dass man das Schlagzeug-Kit anscheinend statt in einem Studio in einer Vorstadt-Garage aufgenommen hat. Zwar ist der reduzierte Stil der Musik meist angemessen, in das Gesamtklangbild passt der Schlagzeug-Sound aber nicht so recht. Da Geschmäcker hinsichtlich des Klanges ebenso unterschiedlich sind wie musikalische, sollte man das nicht überbewerten.
Wo so mancher Künstler ein zahnloses Alterswerk veröffentlichen würde, liefert Roger Waters nochmals ein Statement, das ist aller Ehren wert. Die Entwicklung, dass auch im Prog-Bereich vermehrt politische Themen aufgegriffen werden, und das nicht nur in Form finster aufgeblasener Zukunftsvisionen à la Dream Theaters “The Astonishing”, ist bemerkenswert – schlugen doch “F.E.A.R” von Marillion und “Jet Plane and Oxbow” von Shearwater in jüngerer Vergangenheit ähnlich direkte Töne in Bezug auf das Weltgeschehen an. Sind wir auf dem Weg zum Protest-Prog? Eine Generation von jungen Bob Dylans ist ja leider noch nicht in Sicht.
Bewertung: 11/15 Punkten (WE 11, DH 11, HK 11, JM 10, KR 10, KS 11)
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