(41:30, CD, White Knight Records/JustForKicks, 2015)
Mit Pete Jones, der sich für sein Einmann-Prog-Projekt den Namen Tiger Moth Tales zulegte, hat sich das White Knight Records Label von Rob Reed und Will Mackie einen echten Hochkaräter geangelt, was sein kürzlich besprochenes und hoch gelobtes Debütalbum “Cocoon” eindrucksvoll bewies. Beflügelt von der Unterstützung des Labels und dem Spaß bei den Aufnahmen zum Debüt hat sich Jones Anfang des Jahres entschlossen, eine besondere Herausforderung anzunehmen. Es ging darum, im Februar (also an gerade mal 28 Tagen – sein Pech, kein Schaltjahr) ein komplettes Album zu komponieren und einzuspielen. Das Ergebnis ist glücklicherweise kein erkennbar schnell dahin gerotztes Werk, sondern ein durchaus liebevoll gestaltetes Album.
Zugegebenermaßen, nach dem brillanten Debüt war die Erwartungshaltung ausgesprochen hoch. Und zunächst war leichte Enttäuschung angesagt, was sicherlich zu einem gewissen Maß auf das zugrundeliegende Konzept zurückgeführt werden kann. Der Albumtitel ist nämlich wörtlich zu nehmen, hier werden in der Tat Geschichten erzählt. Und dabei bedient sich Jones meist Kindergeschichten. Es fallen Autorennamen wie Hans Christian Andersen, Roald Dahl oder auch J.K. Rowling. Da wird unter anderem auch der Rattenfänger von Hameln interpretiert. Und dieser Thematik folgend handelt es sich halt nicht immer nur um reinrassige, typische Progsongs, sondern um bisweilen Musical-Ähnliches mit Hörspielcharakter. Da tauchen recht skurrile Sprechgesänge mit verzerrten Stimmen auf, passend mit auch mal leicht überdrehten instrumentalen Begleitungen. Jones dürfte dabei sehr wohl bewusst sein, dass diese bisweilen fast schon übermütigen Arrangements die Prog-Gemeinde spalten werden. Man kann dies witzig und originell finden, oder aber leicht irritiert abwinken. Ich muss zugeben, dass dies auf mich – in dieser Menge – zunächst auch eher einen störenden Eindruck hinterließ. Neu sind diese Eigenwilligkeiten bei Tiger Moth Tales freilich nicht, denn auf “Cocoon” gab es derlei Elemente auch schon. Man hat das Gefühl, dass diese Spielart aber auf dem aktuellen Werk einen (zu?) großen Spielraum einnimmt.
Dabei geht es zunächst mal in einer Art und Weise los, wie es der Sympho-Prog Fan im Zweifel mag. Bombastische Keyboards, jubilierende Gitarren – der Opener kommt gleich recht gut aus den Startblöcken. Mit dem Titelsong folgt gleich ein Highlight. Es ist eigentlich kaum möglich, diesen Song nicht mit Tony Banks in Verbindung zu bringen – hier wird durch und durch die Stimmung der frühen Banks-Soloalben erzeugt. Die überaus schöne Stimme von Jones sorgt noch für einen zusätzlichen Pluspunkt. Wohl kaum ein Zufall, dass in einer Textzeile von “river Banks” die Rede ist?! Nach dem ausufernden Banks-Tribut folgt eine sehr seichte Nummer, die auf akustischer Gitarre basiert, zu der sich schließlich eine sehr schöne Flöte gesellt – das könnten auch die Hackett-Brüder sein! Das ist sehr melodiös, hat aber auch das Potenzial, die persönliche Kitsch-Schmerzgrenze mancher Hörer zu überschreiten.
Nachdem im Titelsong bereits eine kurze Comic-Passage eingebaut war, folgt mit ‘A Kids Tale’ dann die erste Nummer, die diesen angesprochenen Überdrehtheitsgrad auf fast voller Länge (in diesem Fall sechs Minuten) auslebt. Trotz proggiger Elemente hat dies nichts mit einem “normalen” Progsong zu tun, sondern hat eher etwas von einem Comic-Kinderhörspiel. Sicher kein Song mit Potenzial für Dauerrotation, aber man kann dies witzig und originell findet – oder eben auch nicht. Es folgt ein weiterer Prog-Titel, auf dem wieder deutliche Hackett-Einflüsse zu hören sind und Jones mit seiner schlichtweg schönen Stimme punkten kann.
Anschließend geht es im längsten Titel des Albums, dem knapp 13-minütigen ‘The Piper‘ um den bereits erwähnten Rattenfänger von Hameln. Auch hier werden die Comic-Elemente wieder ausgiebig in Szene gesetzt, aber der Song hat eben auch sehr viele interessante, definitiv proggige Elemente, selbst kurze heavy Gitarren sind eingebaut.
Abgeschlossen wird das 1-Mann-1-Monats-Werk mit einem symphonischen Song mit plakativen Keyboardfanfaren.
Nachdem man anfangs vermutlich ein wenig abgeschreckt sein wird von den vielen Comic/Hörspielartigen Sequenzen und dem kindlich-naiven Charakter, wird man nach mehreren Durchläufen dann möglicherweise feststellen, dass dieser Anteil dann doch nicht wirklich so übertrieben hoch ist, wie man es zu Beginn noch wahrnimmt. Es ist halt ungewohnt, und es lenkt vermutlich zumindest anfangs davon ab, die durchaus vorhandenen Prog Elemente entsprechend zu würdigen. Es bleibt natürlich ein Wagnis, eine derartige Mixtur auf den Markt zu bringen. Aber der Eindruck täuscht vermutlich nicht, dass Jones bei den Aufnahmen zu diesem Album ausgesprochen viel Spaß hatte.
Zum Kennenlernen ist das “Cocoon” Album sicherlich besser geeignet und im Zweifel schneidet der Erstling bei jedem Prog-Fan besser ab als Storytellers. Das sollte aber keinesfalls davon abhalten, das aktuelle Werk mal an zu testen.
Und die Erwartungshaltung für die nächste Veröffentlichung wird bei mir eine andere sein, denn der Zusatz “Part One” lässt ja schon erahnen, wie es weiter gehen wird. Ich bleibe dabei, Herr Jones hat bei mir sehr hohe Sympathiewerte.
Bewertung: 10/15 Punkten (JM 10, KR 11)
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