Krautrock • Psychedelic • Rock
(80:08, 38:57, 47:49; 3-CD, digital; MiG Music; 29.08.2025)
Und wieder mal ist es dank MiG Music möglich, sich einen schönen Überblick über das künstlerische Schaffen einer deutschen Band aus den 70ern zu verschaffen. Diesmal geht es um die Mannheimer Formation Nine Days’ Wonder (wenn man so will die Erfinder von NDW), die sicherlich kein One Hit Wonder waren da sie a) nie einen wirklichen Hit hatten und b) es immerhin auf vier Alben gebracht haben, allesamt seinerzeit bei Bacillus Records erschienen und somit – dem Albumtitel entsprechend – auf dieser Veröffentlichung komplett zu hören.
Die ersten Schritte fanden 1966 statt, als Sänger Walter Seyffer die Formation The Graves gründete, die sich nach einigen Jahren schließlich 1970 in Nine Days’ Wonder umbenannten. Ein Jahr später kam das gleichnamige Debütalbum auf den Markt, es folgten "We never lost control" (1973), "Only the dancers" (1974) und "Sonnet to Billy Frost" (1976). 1972 gab es noch ein Album mit dem Titel "The best years of our lives?", das jedoch kein reguläres neues Studioalbum war, sondern aus Singles, Demos und Liveaufnahmen bestand und auf dieser Compilation nicht berücksichtigt wird. 1979 lösten sich NDW schließlich auf. Seyffer und Unger musizierten anschließend noch als Wintergarden zusammen und brachten unter diesem Namen drei Alben heraus. Überraschenderweise taucht Ende 2022 ein neues Album namens "Blood Moon" auf, natürlich unter Federführung von Walter Seyffer.
Die erste CD dieses Dreierpacks ist randvoll gepackt – kein Wunder, denn sie enthält die ersten beiden Alben plus A- und B-Seite einer Single, die unter dem Namen "Maternal Joy" veröffentlicht wurde. Das Debütalbum besteht aus fünf Songs, die zum Teil in mehrere Abschnitte eingeteilt wurden, so zum Beispiel der knapp 16-minütige Opener, der keinen übergeordneten Titel hat, sondern die einzelnen Sektionen benennt, nämlich 'Fermillion / Puppet Dance / Square / Hope? / Morning Spirit / Fermillion Himself'. Und dieser Song zeigt mustergültig, was charakteristisch ist für die frühen Tage von NDW, nämlich ein ausgesprochen abwechslungsreiches Gemisch aus verschiedenen Stilarten, gemeinsam unter den Hut "Krautrock" gepackt.
Sie sind immer für Überraschungen gut, man weiß eigentlich nie, womit sie gleich wieder um die Ecke kommen. Das können auch so abgedrehte Parts wie 'Morning Spirit' mit Gesängen sein, die einem ein leichtes Grinsen entlocken können. Es folgen zwei kürzere Nummern, auf das abschließend erneut ein in sechs Abschnitte aufgeteilter Titel folgt, der auch wieder dank seiner Ideenvielfalt für Pluspunkte sorgt. An manchen Stellen erinnert der Gesang ein bisschen an Birth Control, bisweilen wirkt er auch ein bisschen überzogen. Eine wichtige Rolle spielt neben Bandboss Seyffer auch John Earle mit vielen gelungen Einsätzen an Saxophon und Flöte (unter anderem auch im starken 'Apple Tree').
Nach den eher unerheblichen Single-Songs folgt das zweite Album "We Never Lost Control", das Seyffer in runderneuerter Besetzung aufnahm. Mit diesem Werk ist er ausgesprochen unzufrieden, was sogar so weit geht, dass er es am liebsten aus der Diskografie streichen würde. Ganz so schlecht ist es eigentlich nicht, aber es hat mit dem Debüt nur noch sehr wenig gemein. Den Tasteninstrumenten wird hier deutlich mehr Raum gegeben, was ja gar keine so schlechte Idee ist (sogar ein Mellotron taucht mal auf). Die Experimentierfreude ist deutlich zurückgeschraubt worden, der Gesang mag an einigen Stellen auch eher wenig Anklang finden. Der neue Keyboarder Freddie Münster steuert auch einige Saxophonparts bei, so auch im einzigen längeren Titel auf diesem Album, dem neun-minütigen 'We Grasp the Naked Meat', der auch einen ruhigen Part mit Spinett-ähnlichem Sound und Mellotron enthält.
Auch auf dem dritten Werk "Only the Dancers" gab es wieder eine deutliche Line-Up Veränderung. Man schrumpfte zum Quartett, Gitarrist Rolf Henning kehrte zurück, am Schlagzeug saß nun Sidhatta Gautama. Auf das Saxophon wird allerdings nicht verzichtet, denn man hat einen bekannten Spezialisten einladen können, nämlich Van der Graaf Generator Saxophonist David Jackson! Und ebenso werden die Tastenparts auch von einem Gast eingespielt, in diesem Fall handelt es sich dabei um Steven Robinson aka Rainer Geyer (u.a. Twenty Sixty Six & Then). Man ist deutlich songorientierter unterwegs und hat den Experimentieranteil weiter zurückgefahren. Der wohl schönste Song ist das abschließende acht-minütige 'Moment', für Nine Days’ Wonder Verhältnisse eine zart besaitete Nummer, auf dem passenderweise auch ein Mellotron integriert wurde.
Spätestens mit dem vierten Album sind NDW dann bei song-orientiertem Rock angekommen, vom Experimentierdrang der frühen Tage ist kaum noch etwas zu spüren, stattdessen also kürzere Nummern, wie beim Opener 'Alchemists' mit eingängigem Gesang und flottem Gitarrenspiel durch die beiden Neuen Unger und Oehler. Der Gesang ist sehr präsent, und diesbezüglich darf festgehalten werden, dass man sich in diesem Bereich deutlich verbessert zeigt (und das ohne Wechsel des Sängers). Dass trotz des Richtungswechsels unterhaltsame Songs dabei herausgekommen sind, zeigt auch der zweite Song 'I need a rest, part 1'. Prima Songs, erfrischende Gitarren – eine interessante Entwicklung der Band. Allerdings erfährt es keine Fortsetzung, denn – wie oben beschrieben – erlebte man die 80er Jahre nicht mehr als gemeinsame Band.
Wer mehr über die Band und beispielsweise die Zusammenarbeit mit Produzent Peter Hauke (u.a. Nektar) erfahren möchte, dem wird in den ausführlichen Liner Notes ausreichend Lesestoff geboten. Ein vollständiger Überblick über die Schaffensphase von NDW dank MiG – fein!
Bewertung: 9/15 Punkten
Besetzung:
"Nine Days’ Wonder":
• Walter Seyffer - vocals / drums / percussion / effects
• Karl Mutschlechner - bass guitar
• Martin Roscoe - drums
• Rolf Henning - guitar / piano
• John Earle - vocals / tenor saxophone / soprano saxophone / flute / guitar
"We never lost control":
• Walter Seyffer - lead vocals / percussion / effects
• Michael Bundt - bass guitar
• Karl Heinz Weiler - drums
• Hans Frauenschuh - guitars
• Freddie Münster - saxes / piano / organ / mellotron / moog synthesizer
"Only the dancers":
• Walter Seyffer - vocals
• Michael Bundt - bass guitar
• Sidhatta Gautama - drums
• Rolf Henning - guitars / bass
Guests:
• Dave Jackson - saxes / flute / backing vocals
• Steven Robinson - keyboards
"Sonnet to Billy Frost":
• Walter Seyffer - vocals
• Rainer Saam - bass guitar
• Sidhatta Gautama - drums
• Bernd Unger - guitars / vocals
• Peter Oehler - guitars / vocals
Guests:
• Gerd Köthe - saxes / flute
• Christian Kolonovits - keyboards / moog synthesizer
Surftipps zu Nine Days’ Wonder:
• Homepage
Abbildungen: Nine Days’ Wonder