
Kleine Bühne, Große Wirkung
Ich war ja nie ein großer Fan der Talking Heads und auch ihr Schaffen kenne ich nicht wirklich gut genug, als dass ich in deren Fall mit meinem Wissen prahlen könnte. Ich habe zwar jedes ihrer Alben schon ein paar Mal gehört und ihre Hits kenne ich natürlich in- und auswendig. Viel mehr aber auch nicht. Und doch war ich in Nullkommanix Feuer und Flamme, als ich die Ankündigung sah, dass Jerry Harrison und Adrian Belew gemeinsam auf Europatournee gehen würden, um den 1980er Klassiker „Remain In Light“ aufzuführen, der in diesem Jahr seinen 45. Geburtstag feiert. Ein Album, das musikalisch zwar meilenweit entfernt vom klassischen Prog der 70er-Jahre ist, dessen grenzenüberschreitender Ansatz allerdings zu dem Progressivsten gehört, was die frühen 80er zu bieten hatten. Zusem stehen die Chancen nicht unbedingt gut, dass die Mitglieder der Talking Heads sich noch einmal zusammenreißen, um gemeinsam auf Tour zu gehen.
Und doch war diese Tournee eine kleine Talking-Heads-Reunion, denn es war Adrian Belew – der später mit King Crimson Berühmtheit erlangen sollte – der die Gitarrensoli einspielte, die auf „Remain In Light“ zu hören sind und der die Band seinerzeit als Tourgitarrist und Backgroundsänger live unterstützte.
Zudem bekam ich endlich einmal die Gelegenheit, Adrian Belew auf die Finger zu schauen, wo man hier in Europa noch immer vergeblich darauf wartet, dass er gemeinsam mit Steve Vai, Danny Carey und Tony Levin unter dem Namen Beat King Crimsons Musik der 80er-Jahre auf die Bühne bringt.
Bevor
Jerry &
Adrian loslegten, gehörte die Bühne zunächst Cool Cool Cool – und der Name hätte nicht irreführender sein können. Denn cool im Sinne von lässig oder zurückhaltend war an diesem Auftritt rein gar nichts. Stattdessen: Energielevel Anschlag, tighte Grooves, dicke Bläsersätze und zwei Frontfrauen, die von der ersten Sekunde an klarmachten, dass hier keine Aufwärmübung, sondern eine ausgewachsene Funk-Explosion serviert wurde.
Dass es sich bei Cool Cool Cool um exakt jene Musiker:innen handelte, die später auch für
Harrison &
Belew die Bühne rocken würden, wusste ich da noch nicht. Und ehrlich gesagt – ich bekam auch nur einen Bruchteil ihres Sets überhaupt mit.
Zu spät im Saal angekommen, fand ich mich selbst – in der undankbaren Doppelfunktion als Konzertfotograf und Autor – im Tunnel aus Sucherblick, mangelndem Platz und viel zu wenig Zeit wieder. Aus dem Publikum heraus versuchen, irgendwas Brauchbares einzufangen, während auf der Bühne gerade die Hölle losbricht – das ist eine besondere Art von Stress, bei dem die Musik schnell zur Hintergrundfolie wird.
Was Cool Cool Cool da ablieferten, kam bei mir nicht als fein ausdifferenzierte Funk-Struktur an, sondern als rohe, druckvolle Kraft. Eine Wand aus Groove, mehrstimmigem Gesang, Bläsergewittern und pulsierender Rhythmusgruppe, die meine ohnehin schon erhöhte Herzfrequenz endgültig durch die Decke schickte.
Reflexion? Analyse? Fehlanzeige. Stattdessen: Adrenalin, Staunen – und ein fettes Grinsen.
Konzerte in Luxemburg haben die Besonderheit, dass sie oft vor deutlich kleinerem Publikum stattfinden als beispielsweise in Deutschland, da die Hallen im Großherzogtum meist ein überschaubares Fassungsvermögen haben. An diesem Abend sollte es allerdings noch etwas spezieller sein. Wo
Jerry Harrison &
Adrian Belew in Köln im ausverkauften Carlswerk Victoria vor rund 1.600 Zuschauern auftraten, war das um gut ein Drittel kleinere den Atelier gefühlt höchstens zu drei Vierteln gefüllt. Schade einerseits – ob da bei der Promo etwas schiefgelaufen war? – andererseits aber auch ein Glücksfall, da man selten so nah an die Musiker herantreten und so ungestört mittanzen kann wie hier. Denn genau das sollte man an diesem Abend tun.
Dass Cool Cool Cool nicht nur als Vorband, sondern auch als Begleitband fungieren würden, hatte ich schon eingangs erwähnt. Verwunderlich war es trotzdem, denn zehn Musiker auf der kleinen Bühne des Ateliers wirkten erst einmal wie ein räumliches Unding. Und doch fand sich alles erstaunlich reibungslos zusammen – die Band rückte näher zusammen, das Publikum umso weiter auseinander. Platz war schließlich genug. Der Stimmung tat das keinen Abbruch. Weder im Saal noch auf der Bühne.
Dass
Harrison &
Belew nicht mehr die Jüngsten sind, war natürlich allen bewusst. Umso größer war dann das Erstaunen ringsum, als mit den ersten Takten von ‚Psycho Killer‘ das Set begann und sich auf einen Schlag zeigte, wie viel Energie noch in diesem Projekt steckt.
Adrian Belew wirbelte über die Bühne, sprang, grinste, quietschte mit der Gitarre und fiel neben den deutlich jüngeren Mitmusikern überhaupt nicht aus dem Rahmen. Ganz anders
Jerry Harrison, der zu Beginn noch eher reserviert wirkte – was weniger dem Alter als vielmehr seiner grundsätzlichen Bühnenpräsenz geschuldet sein dürfte. Doch auch er taute im Verlauf des Abends sichtlich auf und wurde zunehmend präsenter.
Dass die Tour den Titel „Remain In Light“ trug, hatte vermuten lassen, dass das gleichnamige Album aus dem Jahr 1980 komplett aufgeführt werden würde. Tatsächlich diente der Name aber eher als Motto – fünf von acht Songs des Albums fanden ihren Weg ins Set, ergänzt um vier Stücke von „Fear Of Music“, ein Song von „Speaking In Tongues“, ein
Al–
Green-Cover sowie jeweils ein Stück von
Harrison und
Belew. Es waren charmante Querverweise auf die individuellen Karrieren der beiden Legenden und gleichzeitig für kurze Verschnaufpausen – ‚Rev It Up‘ für
Belew und King Crimsons ‚Thela Hun Ginjeet‘ für
Harrison.
Spätestens mit ‚Once in a Lifetime‘ war die Party dann auch bei wirklich allen angekommen. Ab diesem Moment tanzte der gesamte vordere Bereich vor der Bühne, die Hände gingen hoch, die Texte wurden laut mitgesungen. ‚Life During Wartime‘ schob das Energielevel nochmal spürbar nach oben – treibend, präzise und mit einem wuchtigen Keyboard, sodass auch
Jerry Harrison endlich wirklich aus sich herausging.
‚Take Me To The River‘ groovte sich danach tief ins Publikum hinein – mit fettem Funk-Beat, wuchtigem Bass und einem Saxofon, das ordentlich Tiefe lieferte. Die Stimmung war längst auf dem Höhepunkt.
‚Drugs‘ brachte im Anschluss eine deutlich ruhigere, düstere Atmosphäre – getragen, fast tranceartig. Zum Abschluss dann ‚The Great Curve‘, das sich mit komplexen Rhythmen und hektischem Drive noch einmal aufschwang, alles zusammenwarf, was den Abend geprägt hatte – und viel zu früh endete.
Was hier geboten wurde, das waren keine aufgewärmten Hits, das hatte nichts von Rentnerschau oder Altherrenrunde. Das war ein Crossover aus New Wave, Funk und Afrobeat, der so frisch klang, als seien die Stücke gerade erst geschrieben worden.

Fotos: Prog in Focus
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