Instrumentalrock • Gitarrenmusik • Bluesrock
(40:06, CD; Triple Coil Music = Eigenveröffentlichung/Broken Silence, 07.11.2025)
Vorschlag: Bevor Ihr das neue Album von Marcus Deml streamt oder auch gleich bestellt, hört Euch auf YouTube das zweistündige Interview von Horst Keller mit dem Künstler an. Anschließend wisst Ihr nicht nur, dass der tschechische Österreicher mit dem deutschen Pass, Marcus Nepomuc Deml, ein international anerkannter Elektrogitarren-Virtuose ist. Ihr erfahrt auch das eine oder andere Geheimnis seiner musikalischen Potenz: Ab Minute 54:54 erklärt er, dass er in Intervallen denkt und so in der Lage ist, die "Königstöne" zu finden. Ferner beklagt Deml im Gespräch die schlechte Tonqualität von YouTube-Videos, die nur einen geringen Prozentsatz der tatsächlichen akustischen Bandbreite wiedergeben. In diesem Sinne sollte man sich nicht beschränken auf das schmalspurige Hören mittels Demls YouTube-Video "The making of PURE". Das Album entfaltet seine Klangbreite nämlich vollends erst auf der CD.
"Pure" ist im Eigenverlag von Deml erschienen, den er als praktizierender Gitarren-Nerd "Triplecoilmusic" genannt hat (nach den drei Single-Coil-Tonabnehmern der Stratocaster-Gitarre). In neun Stücken – von "Liedern" mag ich nicht sprechen, denn es handelt sich im Wesentlichen um ein Instrumentalalbum – zeigt der Romantiker unter den Gitarrenvirtuosen, wie vielseitig er den einzelnen Ton formen kann: die rechte Hand immer schnell am Jammerhaken (Tremolohebel) oder über den Flageolettpositionen, den kleinen Finger am Lautstärkeregler, die Finger der linken Hand stets beim Saitenziehen und bereit für überirdische Vibratos. Deml ist bekennender Scalloped-Frets-Guitar-Spieler. Das heißt, er spielt Gitarren, bei denen der Zwischenraum zwischen den Bundstäbchen ausgemuldet wurde. Das setzt ein extrem ausgeprägtes Fingerspitzengefühl voraus, um nicht falsch zu intonieren und eröffnet zeitgleich eine völlig neue, schwebende Tonformung. Das hat man seit Jeff Beck so kaum noch gehört.
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Deml "rezensiert" alle neun Stücke seines Albums schon selbst, indem er im CD-Booklet jeweils ein paar Worte dazu schreibt, weshalb ich mich hier auch kurz fasse: 'Budapest' ist eine Liebeserklärung Demls an die gleichnamige Metropole – ein wunderschöner Song, der reinzieht in das Album. 'Persecución' startet mit einem fulminanten Gitarrensolo, geht dann über in eine treibende Rhythmusfigur, die laut dem Künstler in einem "Inferno" endet. Nichts gegen den schönen Schluss, aber "Infernos" werden heutzutage vom Gitarrennachwuchs noch deutlich wuchtiger inszeniert.
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'Csárdás Blues' dürfte vor der Bluespolizei kaum bestehen, ist deshalb umso besser und erinnert an den balladesken Stil eines Gary Moore. Das mit Klavier eingeleitete 'Rusty Leaves' ist ebenfalls eine der langsamen Nummern. Die beiden letztgenannten Titel könnten gut und gern bei einem Kinofilm unter den Abspann gelegt werden (ich meine das im besten Sinne). "Only half a step" in den Worten des Komponisten: "... a combination of a majestic melody with a hip-hop groove' ... gut getroffen! 'Just roll with it' ist eine gelungene Referenz an Funk und Fusion der Siebziger. Wie bei allen Nummern dieses Albums gibt Deml im Booklet zusätzlich an, mit welchem (gitarrenbezogenen) Equipment er das jeweilige Stück eingespielt hat. Nichtgitarristen wird das kaum interessieren, aber schaden können diese Infos andererseits nicht. 'Rise of the king' zeigt einmal mehr, warum sich Musik meiner Ansicht nach gar nicht in Worte fassen lässt. Jedenfalls kam Deml die Idee zu diesem Stück beim Betrachten eines Historienfilms über Croesus, der im sechsten Jahrhundert v. Chr. gelebt hat. "Natürlich" schrieb er diese Komposition deshalb in A-Lydian. Ja, doch, man hört etwas Leierartiges deutlich heraus ...
'Pure' ist der achte Song, der dem Album seinen Namen gab. Irgendwie kommen mir die ersten vier Töne bekannt vor. Richtig, sie erinnern an die Melodieführung von 'Budapest'. Kein Wunder, drückt dieser Titel nach Aussage des Komponisten doch "my philosphy of life' aus – und die ist eben stilbildend für alles Weitere. Den letzten Titel, 'Yorkshire Man', will Deml als Tribute an den großen Allan Holdsworth verstanden wissen. Und richtig, neben Jeff ist der gute Allan im gesamten Gitarrenspiel Demls präsent. Wie ein roter Faden zieht sich auch die dem Künstler ureigene Art von Humor durch alle neun Titel des neuen Album, das man sich auch als Antidepressivum verschreiben kann. Da ist nichts zu hören von dem apokalyptischen Gegrunze heutiger Brutalogitarreros, wie sie z. B. verschiedentlich auf dem letzten Guitar Summit 2025 in Mannheim im Fokus standen.
Zu guter Letzt noch zwei Hinweise zur Notenvergabe: Bei Instrumentalalben zögere ich, die maximale Punktzahl zu vergeben. Vielleicht würde ich bei Beethoven eine Ausnahme machen. Aber Lyrics und Gesang gehören doch irgendwie zur vollen Punktzahl dazu. Schade also, dass der Deml nicht singt. Können könnte er’s wohl. Einen weiteren Punkt muss ich außerdem leider abziehen, weil Deml das Album als Werbeträger für seine Effektpedale nutzt. Kann man so machen, kommt aber wie Schleichwerbung rüber. Bleiben immer noch sehr anständige zwölf Punkte fürs Geld und jede Menge "Königstöne" für die Freunde absolut hörenswerter E-Gitarrenmusik.
Bewertung: 12/15 Punkten
Besetzung
• Marcus Deml - Guitar
• Achim Rafain - Bass
• Felix Dehmel - Drums
• Tom Aeschbacher - Keyboards
Surftipps zu Marcus Deml:
• Homepage
• Bandcamp
• YouTube
• Wikipedia
Abbildungen mit freundlicher Genehmigung: Marcus Deml/Broken Silence

