Drone • Doom
(29:44; Vinyl, Digital; Sub Pop/Cargo; 14.10.2025)
Sunn O))) gehören zu jener Sorte Bands, bei denen man nie so recht weiß, ob sie noch Musik oder schon eine physikalische Erscheinung sind. Was Stephen O’Malley und Greg Anderson seit über 25 Jahren als Drone Metal bezeichnen, ist weniger Song als Zustand – eine tektonische Verschiebung aus Klang, Verzerrung und Raum. Wer sich darauf einlässt, findet in diesen tiefen, gedehnten Tönen keine Melodie, sondern eine Form von Meditation – oder von Konfrontation.
Meine erste echte Begegnung mit dieser Band war "Metta, Benevolence • BBC 6Music : Live On The Invitation Of Mary Anne Hobbs" mit Anna von Hausswolff, aufgenommen 2019 in den legendären John Peel Studios. Eine Aufnahme, die dem ohnehin schon unvergleichlichen Sound der Washingtoner noch neue Facetten hinzufügte.
Dort verband sich das sonst so kalte, zähe Drone-Material mit von Hausswolffs Stimme und Orgelspiel zu einem beinahe sakralen, ja spirituellen Erlebnis. Wo sonst aus Lautsprechern nur vibrierende Finsternis dröhnt, schimmerten plötzlich Wärme, Licht und Andacht.
Mit ihrer neuen EP "Eternity's Pillars / Raise The Chalice & Reverential", ihrer ersten Veröffentlichung auf dem traditionsreichen Label Sub Pop, werfen O’Malley und Anderson diesen Lichtschein allerdings vollständig über Bord. Es sind die ersten neuen Studioaufnahmen seit eben jenem Livealbum – und sie markieren eine radikale Rückkehr zum reinen, unversöhnlichen Kern des Projekts.
Verschwunden sind die Orgeln, die Vokale, das letzte Quäntchen menschlicher Wärme. Das Cover zeigt die beiden Protagonisten in den nebligen Wäldern des Nordwestens der USA – grau, konturlos, beinahe gespenstisch. Und genau so klingt diese Musik. Drei Stücke, aufgenommen 2025 in den Bear Creek Studios in Woodinville und in Sea Grass in Los Angeles, produziert gemeinsam mit Brad Wood (u. a. Smashing Pumpkins, Liz Phair). Es sind die ersten offiziellen Aufnahmen seit Jahren, die ausschließlich das ursprüngliche Kern-Duo zeigen: zwei Gitarren, ein paar Synthesizer, nichts sonst.
Wer sich dieser EP aussetzt, erlebt eine Erfahrung wie das Beobachten von Kryolava – jener eiskalten, zähflüssigen Masse, die auf Himmelskörpern wie dem Saturn-Mond Enceladus oder den Zwergplaneten Makemake und Pluto aus Vulkanen austritt. Kein Feuer, kein Glühen – nur das langsame, unerbittliche Fließen von Substanz bei -328 °C. "Eternity's Pillars" klingt genauso: schwer, träge, frostig und zugleich von unvorstellbarer Energie durchdrungen.
Der Titeltrack, benannt nach einer spirituellen Fernsehsendung von Alice Coltrane Turiyasangitananda, wirkt wie ein endloser Gebetsteppich aus Gitarrensättigung – jeder Ton eine Säule, die sich bis in den Himmel reckt.
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'Raise The Chalice' wiederum zitiert den legendären Musiker Ron Guardipee (Brotherhood) aus dem Nordwesten, dessen Ruf hier in reiner Klangmasse widerhallt.
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Und 'Reverential' schließlich ist ein ehrfürchtiger Abgesang auf all jene, die vor ihnen den Weg durch die Dunkelheit bahnten.
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Man hört der Produktion an, dass Sunn O))) jede Sättigungsstufe, jede Lautsprecherwahl, jede Verstärkung mit religiöser Hingabe austariert haben. Der Wald, den sie selbst als Leitbild nennen, scheint in diesen Drones tatsächlich präsent zu sein: ein akustischer Organismus aus Nebel, Erde und Resonanz.
Im Vergleich zur von von Hausswolff durchleuchteten BBC-Session ist diese EP die absolute Negation. Wo dort noch Licht durch die Risse sickerte, herrscht hier totale Dunkelheit. Keine Farbe, kein Trost, kein "Song". Nur Masse, Dichte, Dauer. Wer verstehen will, was hier passiert, müsste die Platte doppelt so schnell abspielen – und würde doch nichts begreifen.
Mit "Eternity’s Pillars / Raise The Chalice & Reverential" kehren Sunn O))) zurück zu ihrer reinsten, härtesten Form – einem Drone, der nichts mehr erklärt, nichts mehr beschönigt. Ein erster Schritt in eine neue Ära bei Sub Pop und zugleich ein Blick zurück in die Urzeit des Doom. Eine Veröffentlichung, so kalt und zähflüssig wie Kryolava – und doch mit einer Glut im Innern, die man nur spürt, wenn man bereit ist, sich zu verlieren.
Ich selbst würde dafür wahrscheinlich noch ein paar Dutzend Umläufe und ganz viel Geduld brauchen. Oder eben einen alten Plattenspieler, der auch 78 rpm kann. Leider besitze ich weder das eine, noch das andere.
Bewertung: 10/15 Punkten
Tracklist:
1. 'Eternity’s Pillars' (13:53)
2. 'Raise The Chalice' (8:09)
3. 'Reverential' (7:39)
Besetzung:
Stephen O'Malley
Greg Anderson
Surftipps:
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Rezensionen, Liveberichte & Interviews
Abbildungen: Alle Abbildungen wurden uns freundlicherweise von Cargo Records zur Verfügung gestellt.