Wie edler Wein mit Korkgeschmack
“i/o”, das achte reguläre Studio-Solo-Album Peter Gabriels erscheint am 1. Dezember 2023, mehr als 21 Jahre nach seinem Vorgänger “Up”, doch sind die einzelnen Stücke der Platte den eingeschworenen Fans des Engländers schon länger bekannt gewesen. Nicht nur, dass diese in den vergangenen Monaten, einzeln und nacheinander, jeweils zu Vollmond als Singles veröffentlicht worden sind, ein Großteil der Lieder war auch schon live zu hören gewesen, als Gabriel im Frühsommer durch Europa tourte. Zeit also, um einmal zurückzublicken…
Eine der Spielstätten der “i/o The Tour” war am 13. Juni die Frankfurter Festhalle gewesen. Ein historisches Gebäude, dessen Aura dem Redakteur vielversprechender erschien als jene der sterilen Kölner LANXESS arena. Dass die Festhalle nicht gerade für ihren guten Sound bekannt ist, blieb diesem im Vorfeld leider verborgen. Und so entwickelte eines der musikalischen Highlights des Jahres einen ganz faden Beigeschmack. Denn die Soundverhältnisse in der Frankfurter Festhalle wurden, je nach Standort (und Standpunkt), weder dem Künstler noch dem hohen Eintrittspreis gerecht: Zu undifferenziert, zu leise und mit viel zu wenig Druck. Der Bass Tony Levins klang wie durch Watte gefiltert. Josh Shpaks Trompete war stellenweise besser zu sehen als zu hören. Hinzu gesellten sich technische Probleme zu Beginn des Konzertes. Ein Totalausfall von Gabriels Keyboards verzögerte den Beginn und zwang diesen dazu, außerhalb des Stuhlkreises Platz zu nehmen, in welchem er und seine Mitmusiker die ersten Stücke eigentlich in intimem Rahmen hatten zelebrieren wollten. Zudem zwangen die Verzögerungen Gabriel zu längeren Ansagen (ganz so wie früher das Stimmen der Instrumente seiner damaligen genesis-Kollegen). Doch auch hier schlugen die technischen Probleme zu. Denn ein schlecht abgemischtes Mikro führte in Kombination mit Gabriels starken Akzent dazu, dass seine ausgiebigen Wort-Beiträge in deutscher Sprache als unverständliches Kauderwelsch wahrgenommen wurden.
Auf der Habenseite hingegen ist zu verbuchen, dass Gabriel mit seinem Gesang noch immer begeistern kann. Seine Stimme überzeugte durch Edelreife und wirkte trotzdem sowohl jung und agil. Besonders, wenn er erzählte und man selbst die Lider schloss, konnte man sich förmlich einen Mitzwanziger in Fuchsmaske vor das innere Auge führen. Zudem machte der Künstler deutlich, dass er noch immer etwas zu sagen hat, v.a. musikalisch. So scheute er nicht davor zurück, seinem Publikum an diesem Abend gleich elf der zwölf neuen Stücke zu präsentieren. Lediglich ‘So Much’ blieb außen vor. Für viele Besucher ein kleiner Schlag in die Magengrube, der vor allem in der ersten Hälfte für lange Gesichter sorgte. Denn nach dem leicht nach Kork schmeckenden Auftakt, bestehend aus ‘Jetzt kommt die Flut und ‘Growing Up’ folgten im ersten Teil fast ausschließlich neue Lieder. Da waren dann auch die Güte und Eingängigkeit eines Stückes wie ‘Panopticon’ und die grandiose Bühnenshow relativ egal. Lediglich zwei bekannte Hits waren den anwesenden Durchschnitts-Radio-Hörern einfach zu wenig. Dementsprechend groß waren die Resonanzen im Publikum, als ‘Digging In The Dirt’ vom ’92er “Us” erklang und insbesondere beim Abschluss von Set 1, dem ’86er Welthit ‘Sledgehammer’. Spätestens hier war es dem Publikum dann auch ganz egal, wie mies der Sound an diesem Abend war. Peter Gabriel wurde abgefeiert!
Der Unmut unter den Zuschauern wurde während der Pause in Gesprächen deutlich. Beschwichtigungen wie die Aussage, dass der Sound des Abend für Festhalle-Verhältnisse doch gar nicht so schlecht sei, machten die Sache nichtllerdings stellte sich heraus, dass es wohl Stellen gab, an denen die Mängel nicht ganz so schlimm waren. Und so veränderte der Redakteur zur zweiten Hälfte des Konzertes seinen Standort und platzierten sich unmittelbar neben dem Mischpult. Auch hier konnte man kaum von perfekten Soundverhältnissen sprechen, nichtsdestotrotz war der Unterschied unmittelbar wahrnehmbar. Denn kaum wahren die ersten Takte von ‘Darkness’ gespielt, breitete sich endlich ein warmes Kribbeln im Bauch aus. Die Misstöne traten in den Hintergrund, das audiovisuelle Show-Erlebnis zündete nun endlich auch beim Redakteur und dessen Begleitung. Es war endlich möglich und an der Zeit, sich einfach nur gehen zu lassen und zu genießen.
So sollen an dieser Stelle auch nur noch einzelne Aspekte erwähnt werden: Die unglaubliche Stimme der Jamaikanerin Ayanna Witter-Johnson, die Kate Bush bei ‘Don’t Give Up’ nicht einmal für den Bruchteil einer Sekunde vermissen ließ. Die sonore Stimme des jung gebliebenen Brummbären Tony Levin, die ‘In Your Eyes’ zu wahrer Tiefe verhalf. Oder auch die (endlich hell erklingende) Trompete beim abschließenden Klassiker ‘Biko’, welches vom Publikum lautstark begleitet wurde. Ein Chorgesang, der Gänsehaut auslöste und bei einigen Tränen in die Augen steigen ließ. So war dem Hall, der in den Stunden zuvor so gestört hatte, zumindest in diesem Moment auch etwas Positives abzugewinnen.
Besetzung:
Peter Gabriel – Vocals, Piano
Tony Levin – Bass, Vocals
Manu Katche – Drums
David Rhodes – Guitars, Vocals
Don-E – Keyboards, Vocals
Richard Evans – Guitars, Wind Instruments
Ayanna Witter-Johnson – Cello, Piano, Vocals
Marina Moore – Violin, Viola, Vocals
Josh Shpak – Trumpet, French Horn, Keyboards, Vocals
Handy-Fotos: Prog in Focus
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Rezensionen:
“i/o” (2023)
“Scratch My Back” (2000)
“OVO” (2000)
Venue:
Festhalle