
Progressive Rock • Art Rock • Konzeptalbum
(1:17:51 Vinyl (2LP), CD, Boxset (2CD+Blu-ray), Digital; Cherry Red Records; 17.10.2025)
Eigentlich endete die Geschichte von Barclay James Harvest schon 1998. Und doch ging es weiter, nur eben in zwei Fraktionen:
Barclay James Harvest Featuring Les Holroyd auf der einen, John Lees' Barclay James Harvest auf der anderen Seite. Die einen wurden zur Live-Institution, die anderen – getragen vom alten Schulterschluss zwischen John Lees und Keyboard-Magier Stuart „Woolly“ Wolstenholme schrieben tatsächlich neue Kapitel. "Nexus" (1999), "North" (2013), lange Strecken dazwischen mit Konzerten, Schicksalsschlägen (Wolstenholme verstarb 2010) und einer Band, die ständig zwischen Nostalgie, Beharrlichkeit und Wiedergeburt pendelte.
Dass es nach "North" noch einmal ein Album geben würde, war keineswegs gesetzt. Und dass es zwölf Jahre dauern würde, erst recht nicht. Doch hier ist es nun: "Relativity". Und ja – ich gestehe: Als ich davon hörte, überkam mich alles andere als Euphorie. Ein Fernsehgarten-Auftritt kann viel ruinieren. Zumindest die Nerven.
Trotz meiner anfänglichen Skepsis stellte sich nach dem Drücken der Play-Taste etwas sehr Angenehmes ein: das Album wirkt unspektakulär – und genau das ist seine Stärke. Keine nostalgische Selbstkopie, kein bemüht dramatisches Spätwerk, sondern ein Werk, das leise, aber zuverlässig wirkt. "Relativity" will nicht überwältigen, sondern berühren. Es greift typische BJH-Elemente auf, bleibt sich treu und zeigt, dass man auch ohne große Gesten Tiefe erzeugen kann.
Dabei folgt die Platte einem losen Konzept über menschliche und kosmische Beziehungen, was für BJH ungefähr so naheliegend ist wie Mellotron-Nebel über Oldham. 78 Minuten lang breitet die Band Klanglandschaften aus, die sich tief verankert anfühlen: Lees' Gitarrensprache, die weiten Keyboardflächen, die entspannten, leicht schwebenden Melodielinien – alles wirkt vertraut, ohne museal zu sein. Stephen W. Tayler (Kate Bush, Rush, Tina Turner) verpasste dem Ganzen einen modernen, aber bewusst sanften Mix, der stimmig klingt – und der gleichzeitig eines meiner größten Probleme mit diesem Album ist.
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Schon früher war es so: Studio-BJH = weichgespült; Live-BJH = plötzlich bissig, roh, kantig.
Man vergleiche nur die Studioversion von 'Medicine Man' mit dem Donner der 74er-Live-Aufnahme – als handele es sich um zwei völlig unterschiedliche Bands.
Dieses Phänomen setzt sich auf "Relativity" fort. Ja, es gibt sie, die großen Momente: die ausufernden Instrumentalteile in 'Relativity Part 1 (Through the Dust)', das obskure, leicht 70er-psychedelische Flirren von 'Magpie', der Chorus von 'Love', der einen völlig unironisch in die Arme der späten Siebziger wirft und natürlich 'Relativity Part 2 (The Stars That Shine)' mit einem atemberaubenden Gitarrensolo von Altmeister John Lee.
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Doch Taylers Mix lässt vieles im Hintergrund verschwimmen. Lees' Gitarre fehlt die Schneide, die Soli ducken sich weg, und die Keyboards – über Jahrzehnte ein Markenzeichen der Band – bleiben häufig so dezent, dass man die Lautstärke hochdrehen will, nur um zu prüfen, ob sie überhaupt da sind. Das ist schade, denn das Material hätte mehr Biss verdient.
Die Songs selbst sind – und das ist keine nostalgische Verklärung – tatsächlich gut. Nicht alles, nicht durchgehend, aber genug, um von einem späten Comeback mit Substanz zu sprechen.
Barclay James Harvest genießen in Deutschland bis heute Kultstatus. Gleichzeitig haftet ihnen seit Jahrzehnten dieses Stigma an, dieser halbironische Stempel „Poor Man’s Moody Blues“. Vielleicht auch, weil viele die Band über 'Hymn', 'Life Is For Living' oder 'Loving Is Easy' kennengelernt haben – Songs, die das Bild prägen, aber nicht das komplette künstlerische Spektrum abbilden. "Relativity" wird daran nichts ändern. Aber es zeigt, dass John Lees und seine Mitstreiter noch immer mehr können als nur die gediegene Pop-Seite der Achtziger zu bedienen.
Bis dahin bleibt ein Album, das vielleicht niemanden bekehrt, aber viele alte Fans abholt – und einige abtrünnige vielleicht sogar wieder zurück.
Bewertung: 9/15 Punkten
Tracklist:
1. 'Relativity Part 1 (Through the Dust)'
2. 'The Blood Of Abraham'
3. 'Heard It All Before'
4. 'Magpie'
5. 'Love'
6. 'Peace Like A River'
7. 'Hour Glass'
8. 'Snake Oil'
9. 'The End Of Days'
10. Picture World'
11. 'Relativity Part 2 (The Stars That Shine)'
Besetzung:
• John Lees - Gitarre, Gesang
• Craig Fletcher - Bass, Gesang
• Jez Smith - Keyboards
• Kevin Whitehead - Schlagzeug, Perkussion
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Abbildungen: John Lees' Barclay James Harvest

