Progressive Rock • Konzeptalbum
(1:37:01; CD, Vinyl (2LP), Digital; InsideOut Music/Sony Music; 12.09.2025)
Unter welchem Namen Arjen Lucassen seine Musik veröffentlicht, war für mich schon immer zweitrangig. Ob Ayreon, Star One oder Arjen Lucassen’s Supersonic Revolution – entscheidend ist, dass die Musik stimmt. Und das tut sie auch auf "Songs No One Will Hear", das diesmal schlicht unter dem bürgerlichen Namen des niederländischen Multitalents erscheint.
Lucassen bleibt seinem Stil treu – und führt ihn zugleich weiter. Wieder gibt es ein geschlossenes Konzept, eine Vielzahl von Gastmusiker:innen, einen erzählerischen Rahmen und natürlich diese ganz eigene Mischung aus Bombast, Emotion und augenzwinkernder Theatralik. Aber "Songs No One Will Hear" wirkt zugleich fokussierter, persönlicher und musikalisch offener als viele seiner früheren Projekte.
Im Zentrum steht die Frage:
What would you do if you knew the world was ending in five months?
Lucassen spinnt daraus eine apokalyptische Erzählung, die zwischen Tragik, Humor und Menschlichkeit pendelt. Ein Asteroid rast auf die Erde zu – das Ende ist unausweichlich. Wie reagiert die Menschheit? Manche geraten in Panik, andere feiern, wieder andere flüchten in Verdrängung oder Spiritualität.
It’s tragic, it’s absurd, it’s the soundtrack to the apocalypse.
sagt Lucassen selbst über das Werk – und genau so klingt es auch: emotional, überdreht, zutiefst menschlich.
Der Opener 'The Clock Ticks Down' illustriert diese Vielschichtigkeit perfekt. Arjen erklärt dazu:
Was würden die Menschen tun, wenn sie nur noch fünf Monate zu leben hätten – wegen eines Asteroideneinschlags? Im ersten Song des Albums, ‚The Clock Ticks Down‘, begegnen wir Menschen, die ganz unterschiedlich reagieren. Eine Frau schließt sich in ihrem Zimmer ein und weigert sich, sich der Realität zu stellen. Ein alter Mann versucht, nach jahrelangem Schweigen Kontakt zu seinem Sohn aufzunehmen. Während die Welt langsam zerfällt, wird die Lage immer realer. Also: Macht euch bereit für eine Mischung aus Emotionen und verschiedenen musikalischen Stilen!
In diesem ersten Song begegnen wir einer Frau, die sich in ihrem Zimmer einschließt und die Realität verweigert, während ein alter Mann versucht, nach Jahren des Schweigens Kontakt zu seinem Sohn aufzunehmen. Die Welt zerfällt – musikalisch wie erzählerisch – in Zeitlupe, und doch bleibt das Ganze erstaunlich lebendig: eine dynamische Mischung aus Emotion und Stilvielfalt, die sofort klarmacht, dass dieses Album mehr ist als bloßes Endzeitkino.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Musikalisch präsentiert sich "Songs No One Will Hear" als Gitarren-getriebene, modern produzierte Reise zwischen Rock, Prog, Pop, Elektronik und akustischen Momenten. Weniger metallisch als Star One, stärker im Progressive Rock verankert, aber mit einer Energie, die an frühere Ayreon-Zeiten erinnert. Lucassen produziert und spielt wie gewohnt fast alles selbst, holt sich jedoch eine exquisite Gästeliste an Bord: Floor Jansen glänzt im emotionalen 'We’ll Never Know', Marcela Bovio und Robert Soeterboek steuern charakteristische Gesangsparts bei, Patty Gurdy setzt mit der Drehleier folkloristische Akzente, und Mike Mills führt als Erzähler mit charmanter Ironie durch das Geschehen.
Auch wenn an manchen Stellen Parallelen zu anderen Künstlern auftauchen: 'The Universe Has Other Plans' erinnert immens an Arenas "The Visitor" und mit seinen Streichern an den Kanadier Phideaux, die Querflöte in 'Goddamn Conspiracy' lässt zwangsläufig an Jethro Tull denken.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Doch selbst in diesen Momenten bleibt der typische Lucassen-Sound unverkennbar – detailverliebt, melodisch und mit einem untrüglichen Gespür für Drama. Und während in einem Song wie 'Shaggaton' The Beatles deutlicher durchklingen als je zuvor in Lucassens Werk, beweist er, dass selbst apokalyptische Themen mit Pop-Charme funktionieren können.
Diese narrative Ebene – mal humorvoll, mal leicht überdreht – verleiht dem Album eine theatralische Note. Auf Dauer mag das etwas ermüdend wirken, doch zum Glück bietet die CD-Version auch eine Variante ohne diese gesprochenen Passagen. Musikalisch gleicht das Werk einem fein austarierten Balanceakt zwischen Pathos und Pop, zwischen Drama und Selbstironie.
"Songs No One Will Hear" ist das, was der Titel verspricht: ein Album voller Stimmen, Gedanken und Emotionen, die vielleicht ungehört verhallen – und dennoch genau deshalb berühren. Es ist introspektiver, weniger bombastisch, aber emotional umso dichter.
Ein stimmiges, vielschichtiges und zugleich erstaunlich zugängliches Konzeptalbum. Arjen Lucassen liefert hier den Soundtrack zum Weltuntergang – tragisch, absurd und berührend menschlich zugleich.
Bewertung: 11/15 Punkten
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Bandcamp. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf den Button unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Besetzung:
• Arjen Anthony Lucassen – Gitarre, Gesang, Bass, Keyboards
• Koen Herfst – Schlagzeug
• Ben Mathot – Violine
• Jeroen Goossens – Flöte
• Jurriaan Westerveld – Cello
• Irene Jansen – Gesang
• Joost van den Broek – Hammond
• Mike Mills – Sprecher / Narration
Gastmusiker:
• Floor Jansen – Gesang
• Robert Soeterboek – Gesang
• Marcela Bovio – Gesang
• Peter Daltrey – Spoken Word / Narration
• Patty Gurdy – Drehleier
Surftipps:
• Homepage
• YouTube
• Wikipedia
• Rezensionen, Liveberichte & Interviews
Alle Abbildungen wurden uns freundlicherweise von Oktober Promotion zur Verfügung gestellt.