Dream Theater, 12.11.24, Esch-Uelzecht (LU), Rockhal Box
The Return Of Michael Stephen Portnoy
Für viele Fans war es ein Schock, als Mike Portnoy am 8. September 2010 bekannt gab, dass er Dream Theater verlassen würde. Man hatte in der Vergangenheit ja schon ein paar Mitglieder gehen sehen – Sänger Charlie Dominici (†) im Jahre 1990 sowie die beiden Keyboarder Kevin Moore (1994) und Derek Sherinian (1998) – aber das Ausscheiden von Mike Portnoy war etwas anderes gewesen. Schließlich hatte der Schlagzeuger Dream Theater 1985 zusammen mit Gitarrist John Petrucci und Bassist John Myung unter dem Namen Majesty gegründet. Als Portnoy dann 13 Jahre später, im Oktober 2023, seine Rückkehr zur Progressive-Metal-Legende verkündete, löste dies bei vielen Fans Verzücken aus. Nicht nur, da nicht jeder sein Gefallen am Drumming von Nachfolger Mike Mangini finden konnte, sondern auch, da die Platten der letzten Dekade nicht jeden vollkommen überzeugt hatten. Schließlich war Dream Theater mit Portnoy nicht nur ein Schlagzeuger, sondern auch ein Songwriter verloren gegangen. Bevor man allerdings in den Genuss des neuen Albums „Parasomnia“ kommen sollte (VÖ: 07. Februar 2025), startete man im Herbst 2024 eine große Welttournee mit dem Titel „40th Anniversary Tour 2024-2025“, mit der man auch im luxemburgischen Esch ein Gastspiel hatte.
Natürlich ist es richtig, dass sich die Gründung von Dream Theater in diesem Jahr zum 40. Male jährt. Wer aufgrund des namens der Tournee aber auf eine große karriereumspannende Werkschau gehofft hatte, der sollte an diesem Abend enttäuscht werden. Denn nicht nur die Mangini-Jahre blieben in der Setlist, bis auf eine Ausnahme, unberücksichtigt, auch das Debütalbum „When Dream And Day Unite“ wurde ausgeklammert, genauso wie das ’95er „A Change Of Seasons“, das Doppelalbum „Six Degrees Of Inner Turbulence“ (2002) sowie „Black Clouds & Silver Linings“ (2010).
Gestört haben dürften sich an diesem Umstand aber die Wenigsten. Denn die Fans waren nicht in Massen in die Rockhal geströmt, um ein Jubiläum zu feiern, sondern um die Rückkehr des legendären Mike Portnoy auf den Hocker hinterm Drumkit zu erleben. Und da war es eigentlich egal von welchem Album die gespielten Stücke stammten. Denn reich an Schätzen ist der Backkatalog Dream Theaters auch ohne die ausgeklammerten Platten. So oblag es bei dieser Tour in erster Linie, wie früher üblich, Mike Portnoy, die Setlist zusammenzustellen – und die hatte es in sich.
Gleich der Opener ließ keinen langjährigen Anhänger der US-Amerikaner kalt, denn wie einst auf ihrem ersten Konzertmitschnitt „Live At The Marquee „, eröffneten Dream Theater ihr Set mit dem Fanliebling ‚Metropolis Pt. 1: The Miracle And The Sleeper‘, an das sich nahtlos die ersten beiden Szenen von „Metropolis, Pt. 2: Scenes From A Memory“ anschlossen: ‚Act I: Scene Two: I. Overture 1928‘ ‚Act I: Scene Two: II. Strange Déjà Vu‘. Ein Einstand nach Maß!
Dass Frontmann James LaBrie in den vergangenen Jahren immer wieder Gegenstand der Kritik gewesen ist, dürfte den meisten Lesern nicht verborgen geblieben sein. So hatte der Sänger live immer wieder mit seiner Stimme zu kämpfen, was ihn in den Augen nicht weniger Fans zum schwächsten Glied im Bandgefüge machte. Dass das Alter auch an James LaBrie nicht spurlos vorbeigegangen ist, das war auch an diesem Abend zu vernehmen. Gottlob aber gab es über den gesamten Abend keine Momente, in denen LaBries Stimme komplett daneben lag und in den Ohren schmerzte. Zudem klangen die Gesangsparts generell um einiges runder als während der Tourneen der letzten Jahre, was auch daran gelegen haben dürfte, dass Mike Portnoy wieder die Backing Vocals übernahm und seinem Kollegen so unterstützend zur Seite stand.
So bedankte sich LaBrie dann auch bei seinem Freund, indem er ihn euphorisch mit den folgenden Worten begrüßte:
Please welcome my brother from another mother: Mr. Mike Portnoy!
Dass Mike Portnoy in die Band zurückgekehrt war, wurde gleich im Anschluss überdeutlich. Nicht nur, dass er bei ‚The Mirror‘ wie ein kleiner Wirbelwind agierte, das Stück selbst, das Teil der „Twelve-Step Suite“ ist und fester Bestandteil der Auftritte von Mike Portnoy’s Shattered Fortress war, hätte es ohne Portnoys Rückkehr wohl nicht zurück in die Setlist Dream Theaters geschafft. ‚The Mirror‘ ließ allen Beteiligten genügend Platz zum Glänzen: LaBrie, der in den tiefen Gesangspassagen, die ihm mittlerweile viel besser stehen als die hohen Töne, richtig schön giftig klang, John Myung, der mit seinem Bass das Mark erschüttern ließ, Jordan Rudess, der ausgiebig mit seiner Keytar posierte, und John Petrucci, der einfach mal so das Gitarren-Solo aus ‚Lie‘ ins Stück einbaute.
‚Panic Attack‘ erfreute die Gemüter schon alleine wegen seines legendären Bass-Intros, begeisterte aber vor allem mit der Instrumentalpassage, in der sich Petrucci und Rudess eine regelrechten Soli-Battle lieferten.
Das anschließende ‚Barstool Warrior‘ war dann das erste und einzige Stück aus der fünf Alben umfassenden Mangini-Phase. Eine interessante Wahl, da das Schlagzeugspiel Manginis gerade auf diesem „Distance Over Time“-Stück doch sehr prägend ist. So wurden hier die stilistischen Unterschiede zwischen den beiden Drummern besonders deutlich. Denn wo Mangini vor allem technisch spektakulär auftrat, brachte Portnoy ein gehöriges Mehr an Gefühl in sein Spiel ein.
Romantisch weiter ging es mit der vom oft belächelten „Falling Into Infinity“-Album stammenden Ballade ‚Hollow Years‘, die laut bejubelt wurde – wohl auch deswegen, da sie seit 2010 nicht mehr im Live-Programm von Dream Theater zu finden gewesen war. Vor allem John Petrucci durfte hier an seiner Gitarre glänzen, und was er spielte, das drückte bei so einigen im Publikum auf die Tränendrüsen. Wie gut, dass James LaBries Stimme bei diesem Stück hielt…
Wem das alles zu schnulzig war, der wurde mit dem leicht thrashigen ‚Constant Motion‘ entschädigt und bekam mit ‚As I Am‘ direkt noch ein weiteres Brett nachgeliefert, bevor es in die Pause ging.
Der zweite Teil des Abends wurde mit einer eingespielten Ouvertüre eröffnet, die Snippets von Stücken sämtlicher Dream-Theater-Alben enthielt und damit das perfekte Intro für das gerade erst als Single erschienene ‚Night Terror‘ vom anstehenden „Parasomnia“ war. Hier konnten Dream Theater eindrücklich zur Schau stellen, dass sie es noch immer draufhaben, die Fans mit neuen Stücken zu begeistern.
Es folgten der „Images And Words“-Klassiker ‚Under A Glass Moon‘ und die wundervolle Ballade ‚This Is The Life‘ von „A Dramatic Turn Of Events“, dem bisher letzten Album mit Portnoy-Beteiligung. Zudem kündigte LaBrie an dieser Stelle nicht nur das neue Album an, sondern auch eine kleine Festival-Tour im Sommer 2025, bei der die Band auch in Deutschland Halt machen wird.
Hierauf kam der ruhigste Moment des Konzerts, als die Band das zarte ‚Vacant‘ anstimmte, das natürlich nur der Auftakt für das nun unumgängliche ‚Stream Of Consciousness‘ war. Ein Instrumentalstück, in dem die Band ihre Vorliebe für klassische und psychedelische Sounds auslebte und das sich zwischenzeitlich wie eine Jam-Session anfühlte.
Ein absoluter Kracher und doch nur die leise Brise vor dem Sturm, der mit dem über 20-minütigen ‚Octavarium‘ folgen sollte. Für manch einen Fan ging in diesem Moment ein Traum in Erfüllung, denn abgesehen von den Konzerten zur „Octavarium“-Tour in den Jahren 2005 und 2006 war dieser Longtrack noch nie aufgeführt worden. Wäre diese Live-Performance mein erster Eindruck von Dream Theater gewesen, ich wäre der Band auf Anhieb für immer verfallen gewesen.
Es war das letzte Stück vor den Zugaben, die nach kurzer Pause mit der Filmszene ‚There’s No Place Like Home‘ aus „The Wizard Of Oz“ eingeleitet wurde. Es war ein Wink mit dem Zaunpfahl für das, was folgen sollte, nämlich die sechste Szene des zweiten Aktes von „Metropolis Part 2“: ‚Home‘. Mehr als zehn Minuten an nahöstlichen Klängen, Gefrickel und Gewichse und natürlich immer wieder der wunderbare „Scenes From A Memory“-Chorus, der zum Mitsingen einlud.
‚The Spirit Carries On‘ intensivierte diese Stimmung noch einmal, und die Halle verwandelte sich in ein Meer aus Handy-Lichtern und vereinzelten Feuerzeugflammen. Wunderschön!
Und dann kam natürlich, was kommen musste: ‚Pull Me Under‘, der bis heute größte Hit der Band und tatsächlich der krönende Abschluss des Abends. Unzufriedene Gesichter waren dabei keine zu sehen, und auch die kritischen Stimmen nach dem Konzert verblieben sehr, sehr leise. Ich selbst jedenfalls ging sehr zufrieden nach Hause. In solch guter Verfassung hatte ich Dream Theater schon seit Jahren nicht mehr erlebt.
Fotos: Prog in Focus
Chauffeur & Technischer Support: Frank Schenkelberg
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Rezensionen:
„Parasomnia“ (2025)
„A View From The Top Of The World“ (2021)
„Distant Memories – Live In London“ (2020)
„Distance Over Time“ (2019)
„The Astonishing“ (2016)
„Dream Theater“ (2013)
„A Dramatic Turn Of Events“ (2011)
„Black Clouds And Silver Linings“ (2009)
„Systematic Chaos“ (2007) (KS)
„Systematic Chaos“ (2007) (KR)
„Score“ (2006)
„Dark Side Of The Moon“ (2005)
„Octavarium“ (2005)
„When Dream And Day Reunite“ (2004)
„Live At Budokan“ (2004)
„Train Of Thought“ (2003)
„Live Scenes From New York“ (2001)
„Metropolis Pt.2: Scenes From A Memory“ (1999)
„Once In A Livetime“ (1998)
Liveberichte:
12.01.20, Oberhausen, Turbinenhalle
11.02.17, Düsseldorf, Mitsubishi Electric Halle
10.03.16, Bochum, RuhrCongress
09.02.02, Oberhausen, Arena
Weitere Surftips:
Veranstalter und Venue: Rockhal