Leprous, The Ocean, Port Noir, 05.11.19, Köln, Die Kantine
Leprous zählen im Progressive Metal-Lager zu den interessantesten Bands der letzten Dekade, da sie ihre Musik seit ihrem 2009er Debüt-Album “Tall Poppy Syndrome” ständig weiterentwickelt und neue Wege eingeschlagen haben. Große Brüche hat es in dieser Entwicklung nie gegeben. Trotzdem ist die musikalische Ausrichtung des im Oktober erschienenen Longplayers “Pitfalls” für den ein oder anderen eine Überraschung. So wenig Metal waren Leprous noch nie gewesen. Anstelle harter Gitarren treten vermehrt Synthesizer auf. Das Cello von Raphael Weinroth-Brownes ist noch präsenter als auf der Vorgängerscheibe “Malina” und Einar Solbergs prägnante Kopfstimme erscheint emotionaler und melancholischer als jemals zuvor.
Die neue avantgardistische Ausrichtung ihrer Musik ist nicht jedermanns Fall. Trotzdem ist die Kölner Kantine an diesem Abend sehr gut besucht. Kein Wunder, so sind Leprous doch bekannt für ihre beständig guten Live-Auftritte. Auch das Vorprogramm ist aller Ehren Wert, da neben den Norwegern auch das Berliner Kollektiv The Ocean sowie die schwedische CrossoverProg-Band Port Noir auf dem Programm stehen.
Port Noir
Entgegen aller Ankündigungen auf Konzertkarten und den Internetportalen von Venue und Veranstalter beginnen Port Noir ihren Set bereits um 19:30 Uhr. Da die Schweden lediglich eine halbe Stunde Zeit haben, um sich zu präsentierten, wird ihr Auftritt von all jenen Fans verpasst, die erst zum regulären Konzertbeginn um 20:00 Uhr in der Kantine erscheinen. Dies ist für viele Besucher doppelt ärgerlich, da Port Noir bereits ihr Gastspiel beim diesjährigen Euroblast Festival hatten absagen müssen.
Port Noir spielen somit anfangs nur vor einer spärlich gefüllten Kantine. Eigentlich schade, denn das Trio aus Schweden schafft es schnell, die für sie räumlich viel zu große Bühne durch ihren eigenständigen Charakter auszufüllen. Stilistisch weitaus vielschichtiger als seine beiden Vorgänger, hat der Crossover-Prog der im Fühjahr 2019 erschienenen dritten Scheibe “The New Routine” mit dem Post-Rock/Metal des 2013er Debüt-Albums “Puls” kaum noch Gemeinsamkeiten. Lediglich Sänger Love Anderssons Gespür für eingängige Gesangsmelodien ist als roter Faden in Port Noirs Musik erhalten geblieben.
Zuschauern, denen die Band bisher unbekannt ist, fällt dies nicht auf, da die Band am heutigen Abend ausschließlich auf Lieder ihres aktuellen Albums zurückgreift. Schon von Anfang an ziehen Port Noir einen Großteil des Publikums in ihren Bann. Songs wie ‘Young Bloods’, ‘Flawless’ und ‘Old Fashioned’ können durchweg mit ihrem Mix aus Modern Prog, Alternative Rock, Synthie Pop, sowie dem R&B entliehenen Gesangslinien überzeugen. Lediglich der Klang der tiefen Töne lässt hie und da zu wünschen übrig, da jene, die von Samples und Synthesizern stammen, gegenüber denen, die vom E-Bass erzeugt werden, etwas an Schmackes vermissen lassen. Der Stimmung tut es keinen Abbruch, und spätestens als Port Noir mit ihrem letzten Song ’13’ in die Gefilde von Rage Against the Machine und Clawfinger vordringen, geht die Post richtig ab. Ich bin gespann darauf, wann Port Noir endlich als Headliner nach Deutschland zurückkehren dürfen.
The Ocean
The Ocean, sind ein musikalisches Kollektiv aus Berlin, welches bereits seit dem Jahre 2000 besteht und atmosphärisch-beklemmende Musik mit brachialen Ausbrüchen im Grenzbereich zwischen Post Metal, Progressive Metal und Sludge spielt. Durch unaufhörliches Touren durch die halbe Weltgeschichte (darunter eher ungewöhnliche Destinationen wie Sibirien, Belarus, Japan, Neuseeland, Australien, Indien, Ecuador oder auch Bosnien-Herzegowina) sowie ausnahmslos hochwertige Studioaufnahmen, haben die Musiker um Songwriter und Mastermind Robin Staps in den letzten beiden Dekaden die Herzen unzähliger Fans erobert.
Von der Band bekommen die Fans an diesem Abend allerdings nicht viel zu sehen, da die Bühne von Anfang bis Ende des Auftritts von einem dichten Nebelozean verschlungen wird. Doch irgendwie ist das passend, da der Anblick bei mir gewisse Assoziationen mit der Ur-Suppe des Paläozoikums weckt. Und so ist es dann auch kaum verwunderlich, dass eben jenes 2018er Album, nämlich “Phanerozoic I: Palaeozoic” die erste Hälfte des heutigen Sets beherrscht. Die andere Hälfte gebührt dagegen den Songs von “Pelagial”, dem Album, welches , wie passend, nach den pelegischen Zonen von Meeren benannt ist.
Zwar wissen The Ocean mit Songs wie ‘Permian: The Great Dying’ oder ‘Devonian: Nascent’ (bei welchem in der Studiofassung die cleanen Vocals von Katatonias Jonas Renkse übernommen werden) akustisch zu überzeugen, doch reicht der heutige Auftritt nicht ganz an die diesjährige Headlinershow im Kölner Club Volta heran. Grund hierfür ist wahrscheinlich eben jene oben beschriebene Ursuppe. Sie erzeugt zwar einerhand thematisch die perfekte Atmosphäre für die Band, doch legt sie andererseits einfach ein wenig zu viel Distanz zwischen Band und Publikum. Auch das fulminante abschließende ‘The Origin of God’ vom neun Jahre alten “Heliocentric’-Album kann diese Spanne nicht ganz überbrücken. Trotz alledem, eine Enttäuschung sind The Ocean an diesem Abend beileibe nicht. Hierfür sind Bühnenpräsenz und der klare Sound der Band einfach zu überzeugend.
Leprous
Nach den zwei bemerkenswerten Auftritten von Port Noir und The Ocean liegt die Latte für Leprous an diesem Herbstabend besonders hoch. Wie ich selbst fragen sich viele Zuschauer im Publikum, wie die Norweger ihr neues Album “Pitfall” live umsetzen würden. Wie sollte Musik, die Einar Solbergs Stimme so in den Mittelpunkt stellt und zugunsten von Keyboards oft vollkommen auf Gitarren verzichtet, mit zwei hauptberuflichen Sechs-Saiten-Hexern vor Publikum funktionieren? Allen Fans, die Furcht vor einer verkopften kraftlosen Inszenierung hatten, wird schon mit dem Opener ‘Below’ die Angst genommen. Synthesizer und Cello erzeugen ein beklemmend wirkendes Ambiente, über das sich gefühlvoll und ausdrucksstark die unverkennbare Kopfstimme Einar Solbergs legt. Die so erzeugten Klänge haben zwar nicht im Entferntesten etwas mit Metal zu tun, doch vermag es das Sextett mit anderen Mitteln, eine ähnlich dichte Atmosphäre zu erzeugen. Diese Stimmung wird noch verstärkt, als in der zweiten Hälfte des Liedes dann endlich auch Tor Oddmund Suhrke (Gitarre), Robin Ognedal (Gitarre) und Simen Børven (Bass) musikalisch voll ins Geschehen mit eingreifen.
Leprous spielen im Laufe des Abends sieben von neun Liedern ihres brandaktuellen Albums. Teilweise kommen diese Stücke ganz ohne Gitarren aus, so dass die Musiker genötigt sind, sich an diversen Keyboards musikalisch zu betätigen. Sänger Solberg bemerkt zu einem Zeitpunkt sogar, dass seine Mitmusiker extra hätten lernen müssen, die Tasteninstrumente zu bedienen. Als Folge dessen vollzieht sich auf der Bühne immer wieder ein reges Bäumchen-Wechsel-Dich-Spiel, was zur Folge hat, dass man bis auf Drummer Baard Kolstad jedes Bandmitglied mehrmals an den Keyboards sieht.
Die aktuellen Songs der Norweger, in deren Texten Sänger und Keyboarder Solberg seine Depression verarbeitet hat, werden immer wieder von älterem Liedgut aufgemischt. Klassiker wie ‘The Cloak’ vom 2013er “Coal”, ‘The Price’ vom 2015er “The Congregation” oder ‘From the Flame’ vom 2017er “Malina”-Album werden vom Publikum frenetisch abgefeiert. Die Abwechslung aus pathosdurchsetzem Avantgarde, poppigen Melodien und groovendem Prog-Rock steht Leprous verdammt gut!
Die Zugaben des Abends belaufen sich auf lediglich zwei Lieder, die allerdings fast 20 Minuten Musik umspannen. Mit ‘Mirage und ‘The Sky Is Red’, dem Abschlusstrack des aktuellen Albums, zeigen Leprous noch einmal die ganze Bandbreite ihres Könnens. Vor allem letzteres Lied hätte im Set nicht besser platziert sein können, da im Finale des Songs noch einmal alle Emotionen des Abends kulminieren. Ein grandioser Abschluss eines vollkommen überwältigenden Live-Erlebnisses.
Text und Live-Fotos: Floh Fish
Setlist:
Port Noir
The Ocean
Leprous
Surftipps zu Port Noir:
Rezension: “The New Routine”
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Surftipps zu The Ocean:
Rezension: “Phanerozoic I: Palaeozoic”
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Surftipps zu Leprous:
Rezension: “Pitfalls”
Rezension: “Malina”
Rezension: “Live At Rockefeller Music Hall”
Rezension: “The Congregation”
Konzertbericht: 04.06.16, Oslo (NO), Rockefeller Music Hall
Konzertbericht: 06.04.16, Essen, Turock
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