Giantsky – Giant Sky II

Giantsky - Giant Sky II (Imaginary Friend Records, 01.12.2023) COVER(69:04, CD, Digital, Vinyl; Imaginary Friend Records, 01.12.2023)
Platten, die Ende des Jahres erscheinen, haben es schwer, noch in irgendwelche Polls hineinzurutschen. Dabei wäre das neue Album von Erlend Aastad Vikens Projekt Giantsky sicher in allen Kategorien des Genres Prog ein heißer Anwärter auf einen der vordersten Plätze. Knapp siebzig Minuten schwer (was u.a. auch bedeutet, dass “Giant Sky II” in der Vinylausgabe als klassischer Doppeldecker kommt), alle Spielarten progressiver Musik verausgabend sowie mit Musikern der Trondheim-Connection, d.h. von Motorpsycho, WZRD, Combos sowie dem Trondheim Symphonic Orchestra verbandelt – die Argumente pro “Giant Sky II” sind wirklich nicht von der Hand zu weisen.

“If Pink Floyd, Mogwai, Nick Drake and Tame Impala, produced by Brian Eno, co-wrote the new Blade Runner soundtrack, Giant Sky would be it.”

Sicher haut Viken mit dem Werbebanner seines zweiten Albums von Giantsky hier mächtig einen ‘raus. Aber eine dezente Hybris gehört schon dazu, eine Sache wie diese auf den Weg zu bringen. Der Opener und die erste Singleauskopplung’Origin Of Species’ kommt als instrumentaler, ambienter Postrocker, was ein passender Einstieg in die Welten des Erlend Asstad Viken (der übrigens vor allem als Sänger und Keyboarder der progrockenden Band Soup bekannt ist) wäre. Dem nachfolgenden ‘Imposter’ kann man einen gewissen Hit Appeal nicht streitig machen, da der Song wirkt wie eine vergessene Singleauskopplung von (hier schon einmal eine Entschuldigung) Sunrise Avenue. Motorpsychos Hans Magnus “Snah” Ryan ist hier, by the way, für die Gitarre zuständig.

‘Speak Through Walls’ mit Newcomerin Hanne Mjøen an den ätherischen Vocals lebt von seinem Retro-Charme im Renaissance-Outfit sowie vom massiven Keyboard-/Piano-Einsatz des Bandleaders. ‘Space Farrier’ kombiniert postrockende Grandezza mit den Minimal Music-Patterns eines Steve Reich. Zeit für Drama ist dann im zehnminütigen ‘I Am The Night’, das mit einem fulminanten Finale aus Orchester und Chor das Album an sich in Richtung Olymp wuchtet. Und dort bleibt das Werk dann auch, wird doch der Anspruch mit pathetischem (‘Birds With Borders’- wobei Viken tatsächlich ein Meister der größenwahnsinnigen Finales ist) und überaus dramatischem (‘Tables Turn’) Prog gewahrt.
Bewertung: 12/15 Punkten


Ein ergänzender Eindruck von Rajko Baers:

Hinter Giant Sky versteckt sich der Norweger Erlend Viken, bekannt von seiner Hauptbeschäftigung Soup. Mit ebendiesen hat Viken bereits einige Überwerke zwischen melancholischen New Art Rock, Alternative und Post Rock geschaffen, die ohne weiteres neben den Größen des Genres auf Augenhöhe fungierten. Allein das Statement/Doppel-Album “Children of E.L.B” aus dem Jahre 2010 passt perfekt ins Regal zwischen Pineapple Thief, The Amazing, Anekdoten und die Werke eines Steven Wilson. Nichtsdestotrotz scheint der Norweger noch viel zu weit unterm Radar der Wahrnehmung zu laufen und das muss sich einfach ändern. Als irgendwie Nebenbeschäftigung war das selbstbetitelte Erstwerk Giant Sky schon eine Hausnummer für sich, zeigte Viken im Vergleich zum eher atmosphärisch stringent ausgerichteten Haupt-Projekt seine noch viel weit gestreuteren Ambitionen, zog man hier sämtliche Register zwischen Progrock, Alternative, Ambient bis Nordic Pop, legte also eine viel größere stilistische Offenheit an den Tag. Der einzig klar definierte gemeinsame Nenner und wichtige Überschneidungspunkt zu Soup war die qualitativ hohe Dichte im Sound, die ganz eigene Form der Melancholie, die ihresgleichen sucht und diesen Musiker viel mehr Airplay möglich machen sollte und muss.

Mit dem neuen opulenten Doppel-Album tobt sich Viken einmal mehr jetzt richtig aus, verbindet auf knapp 70 Minuten die lyrische Seite der ganz frühen Werke von King Crimson mit nordisch, ätherischen Female Vocals, brüchige Folk Pop Miniaturen treffen auf schrammelnde Indie Rock Sequenzen (frühe Motorpsycho lassen grüßen) – siehe “Imposter”. Die ganz große Stärke des Musikers liegt in der emotionalen Kraft, die schon dem Vorgänger ein Paar dieser überirdischen Momente verschaffte. Exemplarisch seien die jeweils über siebenminütigen, herzzerreissenden ‘Speak Through Walls’ oder ‘To The Pensieve’ genannt. Ausgestattet mit einfach nur verzehrend sehnsüchtigen Melodien, mehrstimmigen Male/Female Vocals und opulenten Sound-Schichten, ertappt einem manchmal das Gefühl, der lyrisch, romantische “King Crimson-Epitaph Moment” verschmilzt mit der außerweltlichen Aura eines Sigur-Rós-Songs.

GIANT SKY II by GIANTSKY

Diesen Schmerz, diese Traurigkeit erreicht das Werk im restlichen Verlauf nicht mehr ganz, es wäre vermutlich zu viel des Guten. Ob im weiteren die groovig, kosmischen Klänge in ‘Space Ferrier’, die episch orchestrale Langrille ‘I Am The Night’, dazu viele wunderschöne Ambient-Instrumentals wie das komplett entrückte ´The Present´, das futuristische ´Curbing Lights´, die sakrale, an Anna von Hausswolff erinnernde Orgel im leider viel zu kurzen ‘Dispatch Of Species’- es gibt so einiges zu entdecken.

Im letzten Viertel des Albums brilliert man mit dem Prog-Monster ‘Tables Turn’, das finale, nur wunderschön schwebende, an Mew erinnernde ‘Seeds’ legt nochmal alle Sinne frei.

Höre ich Giant Sky, dann fallen mir gleichzeitig all die großen Momente sämtlicher Prog-Klassiker der frühen Siebziger sowie viele der angesagten melancholisch dunklen Indie Bands aus dem hohen Norden ein. Flöten-Klänge, futuristische Synths, schwebende entrückte Parts, wundervoll melancholisch akzentuierte Gitarren – was will das moderne Musik-Liebhaber-Herz mehr?

Immer wieder verschwimmen die Grenzen, driftet man wie im sanften ‘Birds With Borders’ zwischen den typisch skandinavischen Songwriter Pop der frühen 2000er, nur um im nächsten Moment mit Mut zur Lücke progressive Rock-Elemente, symphonische Keys das Ganze auf eine ganz andere Eben hieven zu lassen. Giant Sky schaffen so kurz vorm Jahresende 2023 ein absolutes Highlight, das berührt und mit einem unglaublichen offenen musikalischen Selbstverständnis sämtliche Stilistiken in einen Topf wirft, und damit viele große Momente erzeugt. Durchgehend fliessend, voller Dynamik, orchestrale Momente zuhauf, stille zerbrechliche Parts neben der großen monumentalen Classic Rock-Geste – so muss der atmosphärisch, progressive Soundtrack in Sachen Rock/Pop für die Neuzeit klingen.
Bewertung: 13/15 Punkten


Line-Up + Gäste:
Erlend Aastad Viken (Soup) – vocals, guitars, acoustic guitars, drums (3, 6, 12), synthesizers, banjo, pianos, percussion, effects and everything else
Ivan Ushakov – flutes
Jonas Viken – strings
Vegard Bjerkan – church organs, synth arpeggio (4 intro)
Charlotte Stav – vocals (3, 9 outro, 10, 11)
Hanne Mjøehn – Vocals (3)
Marina Skanche – vocals (1, 2, 6, 9, 13), Guitars (2, 3), Erhu (10)
Andreas Kjøl Berg – drums (2, 3, 4, 8, 9, 10)
Hans Magnus Ryan – guitars (2, 9, 12)
Eckhart Tolle – voice (5)
Liv Brox – strings (9 outro)
Myrtoula Røe – vocals (9 outro),
Hans Magnus Ryan – vocals (9, 11)
Oskar Holldorff – vocals (10)
Espen Berge (Soup)- drums (11, 12, 13)
Rhys Marsh – lapsteel (13)
Erlend Solli Aune – bass and piano (10 outtro)

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Diskografie:
“Giant Sky” (2021)

Soup:
“Visions” (2021)
“Remedies” (2017)
“The Beauty Of Our Youth” (2013)
“Children Of E.L.B” (2010)

Abbildung: Giantsky