CD Kritik Progressive Newsletter Nr.76 (11/2012)
La Desooorden - El Andarín
(56.32, Privatpressung, 2012)
Aus Valdivia (Chile) stammend beglücken uns La Desooorden (Die Schlamperei mit zwei schlampigen, zusätzlichen 'oos') mit ihrem fünften und leider letzten Studio-Album. Das achtköpfige Mini-Orchester, ergänzt um weitere Gastmusiker zelebriert auf seinen Alben einen eigenwilligen Stil aus Progelementen, Ethnosound, Jazzrock und chansonhaften Liedteilen. Kammerrock, "Natur-Samples" und exaltierter spanischer (Sprech-) Gesang inklusive. Konnten schon so wunderbare Alben wie 'Ciudad Del Papel' (2007) oder 'La Isla De Los Muertos' (2005) mit ihrer konzeptionellen, bildhaften Reisen durch Chile begeistern, so ist das Abschiedswerk eine Reise durch ganz Südamerika geworden, welche als Blaupause des La-Desooorden-Sounds herhalten kann. Die Stimmung des Albums ist tendenziell melancholisch und getragen, gleichzeitig sorgt aber die Produktion für einen mitreißenden Rocksound, der rhythmisch (mal polyrhythmisch, mal "samba"-haft) und regelrecht dreckig wirkt. Treibende Blasinstrumente schaffen Abwechselung und wirken immer wieder jazzig, ohne zu verkopft oder dudelig zu sein. Der Rückbezug auf "klassischen Prog" lässt sich nur erahnen, ist mehr eine unterschwellige Beziehung zur experimentellen Ausrichtung einer Band wie King Crimson. Aber auch hier setzt die Combo in ihren kurzen Stücken einen gesunden Gegenpol zu überbordendem Gejamme. Letztlich überwiegt das liedhafte Getue und schafft somit einen einzigartigen Mix. Dazu passt auch der selbstverständliche Fluss des Albums, welches trotz nur seltener Übergänge wie ein zusammenhängender, einstündiger Track wirkt. Die ausgefeilten Arrangements, in denen sich auch Violinen, Didgeridoo und einige exotische Instrumente wie "Samba-Whistle", "Caxixi" oder "Pifalka" wiederfinden, runden die Brillanz eines Albums ab, welches vor allem bei den "Jägern" Interesse wecken dürfte. Zwar wirkt die Geschichte durchaus eingängig, aber ebenso "komisch" für den geneigten Proghörer. Der spanische, somit fremd wirkende Gesang dürfte ein übriges tun um einer weiten Verbreitung dieses faszinierenden Albums entgegenzustehen. Außerdem ist der Vertriebsweg weit. Direkt bei der Band, genauer gesagt bei Rodrigo González Mera (rgonzalezmera@gmail.com), ist das Album zu kriegen. Die Empfehlung sei hier, dass man zumindest die beiden anderen, noch erhältlichen Alben mitbestellt. Eventuell auch die Live-DVD der Band, die allerdings nicht so günstig ist wie die CDs. Zum positiven Gesamteindruck der Scheibe kommt ein wertiges Digipack und ein Multimedia-Teil, der zumindest teilweise in Englisch gehalten ist. Zwar kommt 'El Andarín' qualitativ nicht ganz an die beiden vorherigen Meisterwerke heran, bietet aber immer noch überragende Qualität und ein exotisch, faszinierendes Hörvergnügen. Sehr, sehr schade, dass diese Band auf ewig ein Geheimtipp bleiben wird und auf der Höhe ihrer Schaffenskraft ihr Schaffen eingestellt hat. Prädikat: Besonders wertvoll.
Fix Sadler
© Progressive Newsletter 2012