CD Kritik Progressive Newsletter Nr.61 (01/2008)
La Desooorden - La isla de los muertes
(47:46, Privatpressung, 2004)
La Desooorden - Ciudad de papel
(61:59, Privatpressung, 2007)
Alles ist gleich. Muss gleich sein. Willst du Erfolg, folge der Schiene. Denke nicht, deine verquere Vorstellung, kleines Licht, kommt an. Hast du was mit King Crimson am Hut, dann konzentrier dich darauf. Magst du Jazz, dann verdrück dich. Erst recht, wenn du ethnische Folkloreklänge spielst, wo sind wir denn hier?!? Verbindest du die drei Themen miteinander, hast du von vornherein verloren. Niemand wird dir zuhören. So oder so ähnlich könnte der verwöhnte Prog-Fan von La Desooorden denken, die wirklich mit drei 'o' im Namen daherkommen und für eine Musik stehen, die über gewöhnliche und geliebte Stilgrenzen hinaus musiziert. 1994 in Valdivia, Chile gegründet, ist La Desooorden bis heute personell einige Male ausgewechselt worden. Die aktuelle Besetzung listet Alfonso Banda (g), Fernando Altamirano (voc), Francisco Martin (b), Karsten Contreras (voc), Peter Pfeiffer (sax) und Rodrigo González (dr, perc). Nach etlichen Konzerten, Ende 1999, spielten La Desooorden endlich 12 Songs ein, die auf ihrem CD-Debüt "Monstruo de 7 cabezas" 2001 veröffentlicht wurden. Das Erbe der ersten 7 Jahre. 2001 trat die Band mit erneuten Konzertaktivitäten auf den Plan, sie traten unter anderem mit Congreso und Los Jaivas auf. 2003 erschien die zweite CD "Ensayo", 2004 das Konzeptwerk "La Isla De Los Muertos". 2005 tourte La Desooorden, das neue Album zu promoten, ein Jahr später ging es, mit Unterstützung des chilenischen Außenministeriums, ins Ausland, nach Argentinien. 2007 veröffentlichte die Truppe die gleichnamige DVD mit Konzertaufnahmen. Das jüngste Werk "Ciudad de Papel" beschäftigt sich mit allen Facetten eines aktuellen Konfliktes, der in der Heimatstadt der Band, Valdivia, ausgetragen wird. Es geht um eine Zellulosefabrik und ihre Auswirkungen auf die natürliche Umgebung. Die Lyrics liegen der CD, wie auch im Fall von "La isla de los muertos", bei. La Desooorden gehen ihre musikalischen Ideen stilistisch übergreifend an und nehmen jeden ihrer Einflüsse direkt und kraftvoll auf. Gitarre, Saxophon und Schlagzeug gehen in lebhaft harten Passagen wie Frühsiebziger King Crimson vor. Es rockt heftig und vital, laut und ungezügelt. Dann wieder treibt die chilenische Folklore die Band an, ethnische Muster werden melodisch-harmonisch und rhythmisch authentisch gespielt. Zudem zeigt sich ein starkes Feeling für abstrakten Jazz, der jedoch zumeist ins Rock- bzw. Folklorekleid integriert scheint, zumindest was die rhythmische Basis betrifft. Gäste arbeiten an diversem ethnischen Rhythmusinstrumentarium, auf der Webseite der Band kann man darüber einige Erkenntnisse ziehen. Instrumente mit fremden Namen werden per Bild vorgestellt, so dass eine Ahnung entsteht, welches Instrument ein Saiten- oder Perkussionsinstrument ist. Überhaupt zeigt die Webseite, dass La Desooorden ein Faible für ethnische Instrumente hat, nicht allein chilenische, nicht allein südamerikanische. Neben den Perkussionisten spielen Gäste elektrische und akustische Violine und Trompete. Das kann, wie etwa in "Migraciones eternas", dem fünften Song von "Ciudad de papel" in Ekstase führen, wenn die Gitarre Frippsche Kreissägearbeiten durchführt und der krachende Rhythmus über den Blasinstrumenten heftig komplexe Themen unterfüttert. Dazu die nüchtern kühle Geige, die dem Thema Basis und Solo zugleich gibt. Alle Achtung! Zumeist sind La Desooorden in ihren musikalischen Themen zwar kompromisslos, aber nicht nur sehr hart. Ihre Songs sind nicht bedeutend lang, die Kompositionen werden dennoch episch ausgetragen. Melodische, instrumentale und motivische Wechsel forcieren das Songgeschehen, dass ein weiteres Explodieren vorauszusehen ist und auch eintritt. Bisweilen ist das, wie bei den frühen King Crimson, schon mal mit einer Spur Freejazz belegt, die nach dem fast schon metallischen Freakout-Geschehen den Song beendet. Gesprächsfetzen, Chorgesänge, Klänge ethnischer Instrumente und gesprochene Worte werden als Samples eingebracht. Die chilenische Prog-Szene unterscheidet sich von allen anderen des südamerikanischen Erdteils. Ringsum findet Wohlklang und symphonische Lieblichkeit statt. In Chile hingegen arbeiten viele Bands aggressiv, crimsonesk und hart. La Desooorden werden dennoch die Ausnahme bleiben, denn ihr Mix aus Ethno, Jazz und Heavy Prog ist sehr facettenreich und kümmert sich kein Stück um gewünschte und allgemein genutzte Abgrenzungen. Das Arrangement nicht eines Stückes ist herkömmlich. Zwar bestimmt vor allem der Heavy-Prog-Einfluss die Songs, aber längst nicht nur. Die harten Gitarrenklänge, die elektrische Geige und die Bläsersätze können den Progfans wohl gefallen, die abstrakten Saxophonläufe gehen aber erheblich gegen den Strich und fordern erheblich viel mehr Toleranz ein. La Desooorden ist mit beiden CDs eine ausgezeichnete Herausforderung gelungen, der zu stellen den Horizont deutlich erweitert, ohne den Prog-Wert zu mindern (dieser ganze Text ist vor allem auf Progfans gemünzt, gelle?!). Also, Mut zum Experiment. Wer es durchsteht und danach den Tag nicht verflucht, ist reicher und glücklicher als zuvor.
Volkmar Mantei
© Progressive Newsletter 2008