CD Kritik Progressive Newsletter Nr.72 (97/2011)
Planetaria Imaginario - Optical delusions
(78:50, Cuneiform Records, 2011)
Nach "¨Qué me dices?" (2004, Margen Records) und "Biomasa" (2008) - letztere schon bei Cuneiform Records veröffentlicht, legen die illustren Spanier Planeta Imaginario mit einem neuen Streich nach, der die CD so voll macht, das kaum noch weiteres darauf Platz hätte, als ein paar wenige Sekunden. Canterbury ist ein Stadtteil von Barcelona und nicht weit entfernt arbeiten die Italiener Deus Ex Machina, weit genug jedoch, um keine großen Verwechslungsmöglichkeiten aufkommen zu lassen. Der imaginäre katalonische Planet setzt 2011 verstärkt auf Bläser, einen Gitarristen gibt es nicht (mehr) und was Gäste, arbeitet am Holz- und Blechgebläse. Indes ist Marc Capel mit seinem interessanten Jazztastenensemble als Kopf und Komponist des Ensembles der Mittelpunkt aller Stücke schlechthin; das harmonische Grundgeflecht, die abstrakte Kompositionssprache, die jazzigen Disharmonien, flüssige Soli und kernige Improvisationen, als Maler im vital entbrannten Bandinterplay und Rhythmusverstärker - alles setzt auf seine Handschrift. Die Rhythmusarbeit ist vom Feinsten, sehr schön differenziert und durchstrukturiert, komplex und swing-satt, kernig rockend und von versierter Beckenarbeit, Vasco Trilla Gomes dos Santos hat nicht nur einen beachtlichen Namen. Dimitris Bikos nutzt seine Möglichkeiten am Bass handwerklich gut, könnte indes weitaus kräftigere melodische Farbtupfer setzen, versteht sich überwiegend als Basisarbeiter mit fettem Rhythmusblick. Die typische canterburyianische Eleganz und, was Rockhärte angeht, parallele dezente Zurückhaltung, steht den Songs ausgezeichnet. So kommen die Klangfarben aller Beteiligter sehr gut zusammen, bauen auf kraftvoller Rockbasis jazztriefende Motive ihre Bläserattacken aus, bis Themenwechsel und Rhythmusbrüche das illustre Jazz-Tastenensemble in den Vordergrund bringen, was neben südeuropäischem Flair, das so kaum kühl britisch wirkt, einige Melancholie und Nachdenklichkeit ins Geschehen wirft. Im Vergleich zum Vorgänger "Biomasa" klingen Planeta Imaginario ein wenig steifer und erwachsener, überall Spielfreude, keine Frage, aber die Band ist reifer geworden und hat dabei ein wenig Dampf und Druck verloren. Genug Frechheit und Radikalität ist indes längst noch und wo einst vitaler Witz sprühte und hier und da noch kräftig lauere Lüftchen wehen, baut sich flächendeckend satter Jazz aus. Kein Qualitätsverlust, nur ein Wechsel der Blickrichtung. Ganz klar ein nur unbedingtes Muss.
Volkmar Mantei
© Progressive Newsletter 2011