CD Kritik Progressive Newsletter Nr.64 (02/2009)
Planeta Imaginario - Biomasa
(60:57, Cuneiform Records, 2008)
Die Jazzrocker Planeta Imaginario sind in Barcelona zu Hause, der Hauptstadt Kataloniens, wo es eine lange Tradition avantgardistischer, radikaler Kultur gibt, die nicht allein von Künstlern wie dem Architekten Antoni Gaudi und den Malern Pablo Picasso, Juan Miro und Salvador Dali geprägt wurde. In den 80ern des letzten Jahrhunderts wurde dort ein radikales und innovatives Fernsehprogramm produziert, die TV-Show "Planeta Imaginario" (ausgestrahlt in den Jahren 1983 - 1987). Das die Show eröffnende musikalische Thema war Claude Debussys "Arabesque Nr. 1", vom bekannten japanischen Elektronikmusiker Isao Tomita gespielt. Surreale, ultramoderne Studiobühnen wurden genutzt, Kindern die magische, außergewöhnliche und wunderschöne Fantasiewelt des imaginären Planeten zu zeigen. Ein Fan nannte die Show einen psychedelischen Mix aus Alice im Wunderland, Dali, Miro, Tortell Poltrona, Tim Burton und Komödiantentum. Eine ganze Generation von jungen spanischen Künstlern wurde durch die einzigartige und unvergleichliche Show inspiriert, so auch die Musiker, die sich den Namen Planeta Imaginario als Tribut an die Show gaben. "Biomasa" ist die nach "Qué me dices?" zweite CD der Jazzrocker, die Bands aus der Canterbury Szene (Soft Machine, Hatfield and the North, National Health), die Klassiker Gong und King Crimson sowie die geniale spanische Truppe Iceberg als Vorbilder haben. Die Kompositionen der achtköpfigen Gruppe sind außergewöhnlich gut, beziehen sich stark auf die Siebziger und klingen fast stets authentisch, nur wenige (und seltene) moderne Einflüsse sind auf beiden CDs zu hören. Im bisweilen nachdenklich melancholischen, bisweilen heftig rockenden Sound der Band gibt es Big Band- und Swing-Anleihen, die Bläser haben viel Freiraum, sich genüsslich auszutoben. In allem steckt stets ein lüsterner Hang zum musikalischen Humor, der die technische Exaktheit ihrer Stücke unterwühlt und spinnerte Lebendigkeit in die herrlichen Arrangements kippt. Die CD geht von vorn bis zum Ende gut ab, runter wie Öl, sozusagen. Wer auf Jazzrock steht, wird hier eine makellose Perle vorfinden, die sein Wohnzimmer mit intelligentem Wohlklang und künstlerischer Finesse erfüllt. Eigenarten gibt es zuhauf, so treibt die Band bisweilen ihr Spiel mit der Energie, lässt den elfminütigen Titeltrack auf Unterdruck laufen und verschafft der entspannten Komposition so eine hinreißende Atmosphäre. "El teatro de los faranduleros" wurde ausschließlich komponiert, um humorvoll schrägem Katzenjammer eine akustische Klanggestalt zu geben. Hört den Song dreimal am Stück und ihr esst den Staub zum Teppichboden. (Habt ihr heute noch nicht gesaugt?) Ganz zum Schluss, das neunminütige "Trastornos ópticos del oso bipolar" hat seine Wildheit bis zum Ende ausgekostet, kippt die Truppe ihre Musik noch schnell in wenig keusche Blasmusik um, wie sie auch in deutschen Landen, vor allem in bayrischen Bierzelten, nicht selten ist. Guter Trick, die Leute nach Hause zu schicken. Der Film ist zu Ende, das Klangkino war erlebnisreich. Geht schlafen und träumt schön. Wartet nicht ab, bis der Zufall diese Musik wieder in eure Hörreichweite weht, geht drauf zu, nehmt die CD ins wohnliche Privatkämmerchen und schmeichelt euren Hörgefühlen im wohltemperierten Sessel. Wozu leben, wenn nicht zum Genießen?!
Volkmar Mantei
© Progressive Newsletter 2009