CD Kritik Progressive Newsletter Nr.47 (02/2004)

Product - Aire
(73:30, Cylcops, 2003)

Geheimtipps im weiten Feld des Progressive Rock gibt es viele und jeder Kritiker entdeckt für sich immer wieder neue Favoriten. Einige wenige schaffen es aus der Underdog Rolle heraus ins allgemeine Bewusstsein, doch genauso viele verharren leider in ihrer Unbekanntheit, obwohl man ihnen eigentlich viel mehr Aufmerksamkeit zugetraut hätte. Product sind so ein Fall des unerdeckten Geheimtipps. Bereits ihr 2000er Debüt "On water" war ein außergewöhnliches Werk, aber aufgrund, gelinde gesagt, sehr bescheidenen Vertriebs und quasi Unerreichbarkeit der Band, blieb dieses Album wirklich nur etwas für absolute Insider. Beim Nachfolger "Aire" sehen die Startbedingungen schon etwas positiver aus, denn das britische Label Cyclops hat sich der Band angenommen und fügt eine weitere, für dieses allgemein mehr neo-progressiv, sinfonisch orientierte Label eher untypische Band, dem eigenen Katalog hinzu. Aber was nützt die Kaufmöglichkeit einer Scheibe, wenn der Inhalt nicht stimmt? Gleich Entwarnung hinterher: "Aire" ist eine ausgezeichnete Fortsetzung und Weiterführung des Debüts, welches wiederum von Arman Christoff Boyles (Gesang, Gitarre, Keyboards) und Scott Rader (Schlagzeug, Bass), sowie diversen Gästen eingespielt wurde. Damit endlich zur Beschreibung der Musik. Als roter Faden durchzieht "Aire" eine getragene, atmosphärische, mehr düstere Stimmung, die viel mit epischer Weite, klanglichen Endlossounds arbeitet. Ruhige Parts sind ein integraler Bestandteil von Product, doch aus den zerbrechlichen Momenten bricht immer wieder sinfonischer Bombast mit voller Power aus. Die erheblichen Dynamiksprünge, der Wechsel zwischen innerer Besinnlichkeit und typisch sinfonischem Progressive Rock Breitwandsound, spacigen, bisweilen psychedelischen Elementen machen einen Großteil der Faszination von "Aire" aus. Doch arbeiten die beiden Multiinstrumentalisten nicht nur mit atmosphärischen Elementen, genauso findet man "normale" Rockstrukturen wieder, die sich aber aufgrund der inhaltlichen Dichte weg von Durchschnittskost bewegt. Dennoch ist dieses Album keineswegs ein reines Progalbum, episches und handfestes Material steht in gutem Einklang. Will man Vergleiche ziehen, so hat selbst die Plattenfirma hier Schwierigkeiten, da man zwar einige Momente anderer Bands bei Product findet, das End-Product aber völlig eigenständig klingt. Pink Floyd wird vor allen für die epischen Passagen angeführt, aufgrund des Rock / Prog Ansatz wurde auch schon mal Porcupine Tree herbeizitiert, doch sind beide Namen mit erheblicher Vorsicht und nur als Nuancen eines Gesamtsounds zu sehen. "Aire" ist nicht unbedingt ein Killeralbum beim ersten Anhören, die inhaltliche Schönheit, die unterschwellige Melancholie, der tragende Rockaspekt entfaltet sich erst bei mehrmaligen Anhören. Es ist wirklich schwer vorherzusagen, wohin der Weg von Product geht. Stilistisch sprechen sie ein breiteres Publikum zwischen sinfonischer Rockmusik und Progressive Rock an, es wird sich zeigen, wie sie sich gegenüber anderen Veröffentlichungen nachhaltig durchsetzen. Mehr als ein Geheimtipp sind sie mit "Aire" aber auf jeden Fall.

Kristian Selm



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