CD Kritik Progressive Newsletter Nr.45 (08/2003)
Infidel? Castro! + Friendly Bears - A split experience
(ca. 32 Minuten, Rice Control Epicence Sound Systems & The Bands, 2003)
"A split experience" ist ein Vinyl-release der beiden Bands Infidel? Castro! und Friendly Bears. Friendly Bears sind Tim Byrnes (tr), Mary Halvorson (g), Rich Bennett (baritone g) und Andrew Greenwald (perc), die sich lyrisch-hartem Schrammel-Avant Rock verschrieben haben. Wenn nicht alle Stile schon Namen hätten und diese Namen durch ständige Benutzung abgelatscht, könnte Post Rock wohl zutreffend sein. Trompete und Gitarre sorgen für ein reiches, sehr jazzbetontes Melodiegefüge, während Baritone Guitar und Schlagzeug sich um das dynamische und schwer gebrochene, aufgefächerte Rhythmus-Fundament kümmern, ohne sich nur als reine Rhythmus-Instrumente zu verstehen. Alle Instrumente sind Lead-Instrumente und bestimmen direkt das melodische Geschehen. Das Schlagzeug vor allem durch Unisono-Begleitung. Die Themen sind melancholisch-kühl, brachial, aber in der Härte gebremst. Die Struktur ist zwar komplex und aufwändig, die Band mag es aber, simpel und lärmig zu klingen. So werden keine Komplex-Orgien aufgeführt, sondern seltsame Melodiegebilde, die aus Nonsense, Ulk und Aggressivität bestehen. Eine eigenartige Mischung, die aber, trotz aller Bedrohlichkeit, spannend und gar komisch klingt. Die Trompete übernimmt dabei den melancholischen Part und wandert seelenruhig durch das Gebolze der Saiten und Stöcker. Die dabei entstehenden Rhythmuskontrapunkte wirken nicht blöd und schwachsinnig, sondern befruchten sich wunderbarer Weise. Das Resultat ist schwer dynamisch. Keine Ahnung, ob es von der Band noch weitere Releases gibt. Eine sehr interessante Sache für AvantRock Freaks mit Hang zum Schrammelrock. Für Infidel? Castro! muss nicht nur die Platte gedreht, sondern auch die Geschwindigkeit von 33 1/3 auf 45 rpm geändert werden. Und das für nur einen (langen) Song. "The 49-day period between lives (Memories and Premonitions)" klingt auch in der 33 1/3-Version sehr gut (habī die Information auf dem Flyer erst nicht beachtet). Die AvantRocker George Korein und Colin Marston entziehen sich in ihrem Duo-Projekt Infidel? Castro! herkömmlichen Stilarten und Beschreibungen. Mit den Gästen Forbes Graham (Trompete) und Ben Greenfield (Violine) geht es durch Jazzmetal, Freejazz, AvantRock, Noise und Electro Avantgarde. Nie setzen die beiden eine Idee in konventionelle Gefilde, sondern experimentieren geschickt und lärmintensiv, aber harmonisch und musikalisch, wenn auch zumeist atonal in freien Feldern. Das Resultat klingt stets sehr improvisativ, dennoch stark strukturiert und formgebunden. Stimmen und Alltagsgeräusche sind in das Konzept gewoben und bestimmen dynamische Wechsel und harmonische Brüche. Teilweise bekomme ich es mit der Angst, vor allem wenn die aufwärtsstrebenden Töne eines abhebenden Düsenjets nicht enden wollen. Kurz bevor mir die Ohren abfallen, erstirbt das Fiepen abrupt. Schließlich spielt die Band einen symphonischen Rockpart, der die große Erleichterung bringt. Elektronische Störgeräusche liegen darüber und führen das Motiv in eine Pianofigur, die melancholisch vor sich hin mäandert, bis lärmige Electronica den Song laut werden und ersterben lässt. Ein gruseliges Stück, das in seiner intelligenten Struktur bedrohlich und erlösend zugleich wirkt. Eine fabelhafte Inszenierung, die in ihrer völligen Loslösung von herkömmliche Strukturen zeigt, dass es hinterm Horizont weiter geht. Viel weiter, wenn nur die Musiker es zulassen und als Komponisten und Arrangeure genug Mut, Willen und Intelligenz besitzen. Das kann von Infidel? Castro! auf jeden Fall behauptet werden. Die beiden sind ein Glücksfall des heutigen AvantRock. Colin Marston zudem mit seinem Trio-Projekt Behold... The Arctopus. Das macht ungemein Spannung auf kommende Releases. Unbedingte Empfehlung!
Volkmar Mantei
© Progressive Newsletter 2003