Thrice, Hot Water Music, Coilguns, 26.06.25, Esch-Uelzecht (LU), Rockhal Club

Thrice, 26.06.25, Esch-Uelzecht (LU), Rockhal Club

Roh. Emitional. Intelligent.

Im luxemburgischen Esch gab es in diesem Frühsommer ein ganz besonderes Line-up zu bestaunen. Während Thrice in Deutschland auf Headliner-Tour unterwegs waren – mit Coilguns als Support –, teilten sich die US-Amerikaner in der Rockhal ausnahmsweise die Bühne gleichberechtigt mit niemand Geringerem als Hot Water Music. Eine rare Double-Headliner-Show also, bei der man wohl oder übel auf einen Teil der üblichen Thrice-Setlist verzichten musste – dafür aber zur Entschädigung eine zweite Legende des Post-Hardcore geschenkt bekam. Und als Bonus: Coilguns.

Coilguns

Viel zu spät dran. Baustellen, Stau, Sperrungen, Grenzkontrollen – Luxemburg wollte mich an diesem Tag offenbar nicht in Empfang nehmen. Als ich endlich die Rockhal betrat, war das Set der Vorband so gut wie gelaufen. Noch zwei Songs, vielleicht. „Na gut“, dachte ich mir. „Ist ja eh nur irgendeine No-Name-Kapelle.“

Tja. Was soll ich sagen: Dümmer kann man nicht danebenliegen.

Denn was sich da gerade von der Bühne in den Saal entlud, war eine derart unbarmherzige Ladung Energie, dass ich mir wenige Sekunden später eingestehen musste, dass ich da gerade eine peinlich große Wissenslücke mit mir herumtrage. Denn Coilguns – das sind keine Unbekannten, sondern ein schweizerisches Quartett, das zu drei Vierteln aus früheren Mitgliedern von The Ocean besteht. Genauer gesagt: Gitarrist Jona Nido, Drummer Luc Hess und Sänger/Gitarrist Louis Jucker – alle drei waren als feste Bandmitglieder an den Alben „Fluxion“ und dem Meilenstein „Pelagial“ beteiligt – wobei Frontmann Jucker seinerzeit noch den Bass bediente. Kein Wunder also, dass sich in ihrem Sound so viel rohe, ungestüme, teils chaotische Energie wiederfindet, wie sie einst auch die frühen Jahre von The Ocean prägte. Nur ohne die orchestrale Wucht – dafür mit umso mehr Punch.

Zutritt zum Fotograben? Fehlanzeige. Der war schon längst geschlossen. Also Handy raus und rein ins Publikum. Mittendrin statt nur dabei! Irgendwie passend, denn was Coilguns da auf die Bühne warfen, war alles andere als Hochglanz. Hardcore Punk meets auf Noise Rock, anarchisch, dissonant und treibend – ein rotziger Bastard aus D.I.Y.-Ethos und Mathcore-Irrwitz.

Frontmann Louis Jucker mutiert binnen Sekunden in ein energetisches Duracell-Häschen mit Megafon-Stimme.

„This is our last song. Let’s make it quick! Let’s make it angry! Let’s make it weird! This is called „We Missed The Bloody Fascist Parade!“

– und was dann folgte, war tatsächlich all das: kurz, wütend, seltsam. Und ziemlich atemraubend.

Luc Hess an den Drums: eine menschliche Abrissbirne. Jona Nido an der Gitarre: mehr in der Luft als auf der Bühne. Und Donatien Thiévent – an Synths und Bass – wirkt im Vergleich fast unheimlich gelassen. Vielleicht auch einfach nur weise.

Und gerade als man glaubt, der Spuk sei vorbei, springt Louis Jucker noch einmal vom Bühnenrand in die Menge und eröffnet einen Solo-Circle-Pit – das Publikum ist zu überrascht, um mitzumachen. Er macht’s trotzdem. Irgendwie konsequent.

Fazit: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Und manchmal auch Coilguns. Aber auf die gute Art.

Luc Hess – Drums
Jona Nido – Guitar, Vocals
Louis Jucker – Vocals, Guitar
Donatien Thiévent – Synths, Bass, Vocals

Coilguns Setlist Rockhal Club, Esch-sur-Alzette, Luxembourg 2025


Hot Water Music

Während mich der Post-Hardcore in seiner Hochphase Anfang der 2000er Jahre noch weitgehend kaltließ, bin ich inzwischen Feuer und Flamme für viele seiner Vertreter – nicht zuletzt, weil sich das Genre in den letzten Jahren klanglich deutlich geöffnet hat. Immer mehr Bands lassen Elemente aus Post-Rock, Progressive und sogar Post-Metal in ihren Sound einfließen.

Hot Water Music gehören zwar nicht unbedingt zu den Experimentierfreudigsten, doch spätestens seit ihrem 2022er Comeback-Album „Feel The Void“ haben sie mein Herz im Sturm erobert – und die Ankündigung, sie an diesem Abend als gleichberechtigten Co-Headliner erleben zu dürfen, war für mich ein Geschenk.

Das aktuelle Album „VOWS“ war mit vier Songs in der Setlist zwar präsent, aber nicht überpräsent – dafür räumte man dem 2002er Meilenstein „Caution“ gleich fünf Slots ein. Generell kam die Zeit der Jahrtausendwende nicht zu kurz: „No Division“ (1999) und „A Flight And A Crash“ (2001) waren ebenso vertreten, genau wie das 2012er „Exister“ und eben das bereits erwähnte „Feel The Void“.

Das eröffnende Trio aus ‚Menace‘, ‚A Flight And A Crash‘ und ‚Jack Of All Trades‘ wirkte nach dem infernalischen Auftritt von Coilguns fast wie eine Verschnaufpause – wenn auch eine sehr stilvolle. Die Band präsentierte sich souverän, konzentriert, aber nicht unterkühlt.

Mit ‚Another Breath‘ folgte ein weiteres Stück von ‚VOWS‘, bevor ‚Turn The Dial‘ die erstmals Gänsehaut hervorrief: einer dieser Songs mit so viel Melodie und Pathos, dass man automatisch eine Faust in den Himmel streckt – oder zwei.

‚After The Impossible‘ glänzte mit einem kleinen, aber feinen Gitarrensolo, bei dem vor allem Chuck Ragans unverkennbare Reibeisenstimme durch Mark und Bein ging – so roh, so direkt, so tief unter die Haut.

‚Burn Forever‘, ein eher simples Punkrock-Brett, offenbarte live plötzlich Nuancen, die mir auf Platte bislang entgangen waren – da blitzten tatsächlich leichte Placebo-Vibes durch. Man hört eben doch anders, wenn man schwitzt.

Bei ‚State Of Grace‘ trat der mehrstimmige Gesang von Ragan und Chris Cresswell besonders deutlich in den Vordergrund. Und es war genau dieser Song, bei dem die Stimmung im Publikum erstmals spürbar kippte: Erste Moshpit-Versuche, erste verschwitzte Arme auf Schultern, kollektives Grinsen.

Mit ‚I Was On a Mountain‘ ging’s dann tief in die Bandvergangenheit – und gleichzeitig musikalisch ein gutes Stück Richtung Post Rock. Flirrende Gitarren, dichter Sound, mehrstimmiger, eingängiger Gesang – ein wunderbares Beispiel dafür, wie sehr sich musikalische Linien verwischen lassen, wenn man weiß, wie man sie zieht.

‚Fences‘ wiederum entpuppte sich als eine regelrechte Hymne – das Publikum stimmte lauthals in die „Oh-oh-oh“-Chöre ein, während ich mich wieder einmal fragte, wie Chuck Ragan es schafft, bei seinem Gesangsstil nicht längst an chronischer Heiserkeit zu leiden.

‚Wayfarer‘ vom Klassiker „Caution“ zog das Tempo weiter an – hier stand der Saal endgültig Kopf.

‚Alright For Now‘ überraschte mit jaulendem Intro, tiefem Bass und ungewöhnlicher Dynamik – das Stück changierte zwischen schleppend und treibend, wirkte fast schon proggig. Ein Eindruck, der durch ein kurzes Gitarrensolo noch verstärkt wurde.

‚Drag My Body‘ begann mit einem fast zerbrechlich intonierten Reibeisen-Vocal-Solo, von der Band nur sparsam begleitet. George Rebelo’s Schlagzeug tänzelte unrund und stolpernd los, fand dann über zweistimmigen Gesang und Jason Blacks zunehmend knarzenden Bass in einen richtig schönen Groove. Die Gitarren rückten langsam ins Zentrum – ein Aufbau, wie man ihn selten so effektiv serviert bekommt.

‚Free Radio Gainesville‘ wurde zur Hüpfparty – auf der Bühne und davor.

Und dann kam ‚Remedy‘ – und die Halle kochte.

Den Abschluss bildete ‚Trusty Chords‘, und spätestens hier war klar: Hot Water Music haben nichts verlernt. Ein Song wie ein Schulterklopfen, ein Schwur, ein Freundschaftsbeweis in Tönen.

Der bittersüße Moment nach dem letzten Ton: Whitney Houstons ‚I Will Always Love You‘ vom Band – ironisch oder ehrlich gemeint, wer weiß das schon? Jedenfalls wurde schmerzlich deutlich: Diese Band kommt heute nicht mehr zurück auf die Bühne.

…aber dafür standen ja noch Thrice auf dem Programm.

Chuck Ragan – Gesang, Gitarre
Jason Black – Bass
George Rebelo – Schlagzeug
Chris Cresswell – Gitarre, Gesang

Hot Water Music Setlist Rockhal Club, Esch-sur-Alzette, Luxembourg 2025


Thrice

Schon ordentlich aufgeladen von Coilguns und Hot Water Music, stand ich zu Beginn des Thrice-Sets mit Adrenalin im Fotograben – und merkte, wie ‚Firebreather‘ und ‚The Window‘ geradezu an mir vorbeirasten. Mein Körper vibrierte, mein Herz pochte, meine Finger klickten. Von ‚Blood Clots And Black Holes‘ blieb mir nur, dass es heavy as fuck war – ein massives Soundgewitter, das mich endgültig auf Betriebstemperatur brachte.

Als Konzertfotograf erlebt man den Anfang einer Show oft wie aus dem Auge eines Hurrikans: mittendrin, aber irgendwie entrückt. Doch was Thrice da auf der Bühne veranstalteten, war keine Einbildung. Die Kalifornier schlugen beim Publikum ein wie ein Stein im Teich – und ernteten reihenweise Energie, die Coilguns und Hot Water Music zuvor schon ausgesät hatten. Nur dass Thrice diese Energie mit einer Selbstverständlichkeit potenzierten, die zeigte, wie viel Bühnenroutine und klangliches Selbstbewusstsein in dieser Band stecken.

Zurück im Publikum stellte sich mir die Frage, ob es heute erste Einblicke ins kommende Album „Horizons/West“ geben würde. Oder ob der Fokus wieder auf „Horizons/East“ liegen würde. Doch was folgte, war etwas ganz anderes: ein Querschnitt durch das bisherige Schaffen – kein einziger Ausblick, kaum Referenz auf die letzte Platte, sondern ein mit viel Fingerspitzengefühl kuratierter Rückblick auf knapp 27 Jahre Bandgeschichte.

Mit ‚A Branch In The River‘ ging es fast schon sanft weiter. Eddie Breckenridges Bass knarzte, der Song war eingängig, am Ende flirrte ein Post-Rock-artiges Gitarrengewitter durch den Saal. Dann kam ‚The Artist In The Ambulance‘, und plötzlich kochte der Club: Synthie-Sounds, die wie Pop-Gitarren klangen, Stakkato-Riffs, kollektives Mitsingen – bis ins Foyer konnte man die Menge grölen hören.

‚Hurricane‘ trieb die Atmosphäre in andere Gefilde: sphärisch, sanft, fast verträumt. Dustin Kensrues Stimme schwebte mit leichtem Reibeisen über einer zuckersüßen Gitarrenlinie, die sich langsam zum mitreißenden Chorus auftürmte:

..’It’s gonna rain‘..Für mich: ein frühes Highlight.

Mit ‚Silhouette‘ wurde es wieder ruppiger. Der Bass brummte dreckig, das Gitarrenspiel glänzte im Kontrast dazu mit Melodie, der Gesang pendelte zwischen klar und fast schon growlig – das Publikum jubelte. Es folgte die erste Ansage: ein Dankeschön an Coilguns und Hot Water Music – ehrliche Wertschätzung unter Gleichgesinnten.

Dann ‚Stare At The Sun‘ – mit jaulender Gitarre, Riley Breckenridges präzisen Drums und einem Bass, der wieder einmal besonders fett ausgesteuert war. Der zweistimmige Gesang trieb vielen eine Gänsehaut über den Rücken, das Publikum sang am Ende lauthals mit. Und die Band? Lächelte still – völlig im Flow.

‚Deadbolt‘ und ‚Paper Tigers‘ kamen im Doppelpack – oldschool, schnell, aggressiv. Besonders letzterer Song lebte vom Wechselspiel zwischen Biss und Elegie: dreistimmiger Gesang, gewichste Gitarren, Hardcore mit Hirn und Herz.

‚Summer Set Fire To The Rain‘, einer meiner Lieblingssongs, konnte live leider nicht ganz mit der Studiofassung mithalten – aber ein echter Wackler war auch dieser Track nicht. Dafür zündete ‘’Black Honey‘ sofort: knisternde Spannung, kollektives Mitsingen, pure Energie.

Mit ‚Death From Above‘ brachen Thrice dann voll aus dem Schema aus: schleppender Groove, unruhiger Aufbau, dann der eruptive Ausbruch. Auch hier wieder: dieser unfassbar gute Bass-Sound, der sich ins Hirn bohrte. Der Songaufbau war progressiv, verschachtelt – und der Gesang großartig.

Als krönenden Abschluss wählte die Band ‚The Earth Will Shake‘ – ein echtes Groove-Monster mit Post-Metal-Anleihen. Der Gesang? Teilweise gospelartig, was der Nummer etwas von Zeal & Ardor verlieh. Der Refrain: ein kollektives Shout-and-Reply, die Bühne in Bewegung, das Publikum im Rausch. Es wurde geklatscht, gehüpft, gesungen – ein furioses Finale.

Dustin Kensrue – Gesang, Gitarre
Teppei Teranishi – Gitarre
Eddie Breckenridge – Bass
Riley Breckenridge Schlagzeug

Thrice Setlist Rockhal Club, Esch-sur-Alzette, Luxembourg 2025

Fazit

Drei Bands, drei Energien, drei Perspektiven auf das, was Post Hardcore, Punk und Post Rock heute sein können – roh, emotional, intelligent. Coilguns entfachten den Wahnsinn. Hot Water Music gaben dem Abend Herz und Thrice zeigten sich als souveräne Architekten ihrer eigenen musikalischen Welt. Und gemeinsam sorgten sie für eines der dichtesten, leidenschaftlichsten Clubkonzerte dieses Sommers.


Fotos: Prog in Focus


Thrice, 26.06.25, Esch-Uelzecht (LU), Rockhal Club
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30.10.22, Köln, Carlswerk Victoria


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„Vows“ (2024)
„Feel The Void“ (2022)
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14.10.22, Wiesbaden, Schlachthof


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