Marillion, June Road, 07.11.22, Frankfurt am Main, Jahrhunderthalle

An Hour Before It’s Dark

Irgendwann musste es ja einmal geschehen. Nämlich, dass die eigene Lieblingsband einmal ein Album aufnimmt, das einen so rein gar nicht berührt. Beim Autor und Marillion dauerte dies sage und schreibe 37 lange Jahre. Die Fan-Liebe war groß genug gewesen, um einen einschneidenden Sängerwechsel zu überstehen und teils gewagte stilistische Experimente mitzumachen. Doch nach 19 Studioalben, bzw. 17 im engeren Sinne, von denen immerhin drei als Doppel-CD veröffentlicht worden sind, war dann Schluss. Denn als im März 2022 “An Hour Before It’s Dark” das Licht der Welt erblickte, zündete die Platte beim Betreuer erst einmal überhaupt nicht. Wobei ‘erst einmal’ wohl die falschen Worte sind. Das jüngste Baby der Briten ließ den Betreuer bis zuletzt weitgehend kalt, und das, obwohl eigentlich alle wichtigen Zutaten für ein klassisches Marillion-Album vorhanden waren. Doch alte Liebe rostet nicht. Und so kam es zu einer zweiten Chance für “An Hour Before It’s Dark”. Nämlich, als die Gruppe aus Aylesbury auf ihrer Europa-Tournee einen Halt in Frankfurt am Main einlegte.

June Road

June Road, 07.11.22, Frankfurt am Main, Jahrhunderthalle
Dass “An Hour Before It’s Dark” ansonsten auf ganz andere Resonanzen gestoßen war, das war nicht nur durch das größtenteils positive Medien-Echo deutlich geworden, es zeigte sich auch an der Besucherzahl des Abends, denn die gut 2.000 Zuschauer fassende Jahrhunderthalle im Stadtteil Unterliederbach war fast bis zum letzten Platz gefüllt. Bevor die Fans jedoch in den Genuss ihrer Lieblinge kommen konnten, galt es noch zwei alte Bekannte auf der Bühne willkommen zu heißen. Denn die Support-Band namens June Road entpuppte sich als Duo zweier Musiker, die schon 2019 im Vorprogram Marillions aufgetreten waren: die belgische Violinistin Maia Frankowski vom Streicher-Quartett In Praise Of Folly, das Marillion auf Tour begleitet und zuvor mit ihnen das Album “With Friends From The Orchestra” aufgenommen hatte, sowie Singer-Songwriter Harry Pane, der für die Engländer damals die Konzert-Abende hatte eröffnen dürfen.

June Road, 07.11.22, Frankfurt am Main, Jahrhunderthalle
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Musikalisch war der Auftritt von June Road natürlich keine Offenbarung für Liebhaber progressiver Klänge. Doch das war beim Hintergrund der beiden Musiker auch nicht zu erwarten. Stattdessen boten Harry Pane und Maia Frankowski mit ihrem Projekt eine Verschmelzung dessen, was sie sie getrennt voneinander schon vor drei Jahren hatten zur Schau stellen dürfen. Nämlich sanfte akustische Gitarrenklänge und gefühlvolles Geigenspiel. Nur dass Harrys warme Stimme bei June Road nicht mehr alleine, sondern gemeinsam mit der seiner Partnerin erklingt. Ein wahrer Gewinn für die Musik Harry Paynes, denn die Lieder von June Road haben im direkten Vergleich deutlich mehr Tiefgang. Zwei charismatische Menschen, die perfekt miteinander harmonieren, was sie eindrucksvoll beim Fleetwood-Mac-Cover ‘Looking Out For Love’ unter Beweis stellten. Zwei Musiker, die sich aber auch ganz privat “gefunden” haben, denn Harry und Maia verkündeten von der Bühne, dass sie demnächst heiraten wollen. Was den beiden eine Extra-Portion Applaus bescherte.
Ein nahezu besinnlicher Auftritt, der dezent den Auftakt für den weiteren Abend lieferte.

June Road, 07.11.22, Frankfurt am Main, Jahrhunderthalle

June Road Setlist Jahrhunderthalle, Frankfurt, Germany 2022

Marillion

Marillion, 07.11.22, Frankfurt am Main, Jahrhunderthalle

Falls es neben dem Berichterstatter noch andere Zuschauer gegeben haben sollte, die mit “An Hour Before It’s Dark” bis dahin nichts oder nur wenig hatten anfangen können, wurde diesen nun unweigerlich die Möglichkeit eröffnet, ihre Eindrücke von dem Album aufzufrischen und ihre Meinung noch einmal zu überdenken. Denn obwohl “AHBITD” kein Konzeptalbum wie “Brave” oder “Misplaced Childhood” ist, hatte sich das Quintett aus Buckinghamshire dazu entschlossen, ihr neues Album auf dieser Tour nicht nur am Stück zu präsentieren, sondern mit dessen knapp 55 Minuten Musik auch allabendlich ihre Konzerte zu eröffnen.

Marillion, 07.11.22, Frankfurt am Main, Jahrhunderthalle

Wobei die Herren Steve “h” Hogarth, Mark Kelly, Steve Rothery, Pete Trewavas und Ian Mosley auf dieser Tournee gar nicht als Quintett auftraten, sondern mit Luís Jardim personelle Verstärkung mitgebracht hatten. Erstmals hatten sich Marillion nämlich dazu entschlossen, ihren Sound mit zusätzlichen Percusssions anzureichern. Dass die Wahl dabei auf Jardim fiel, war kaum verwunderlich, denn der Portugiese von der schönen Atlantikinsel Madeira ist nicht nur einer der gefragtesten Schlagwerker im Rock-Zirkus, er hatte auch schon die Percussions für Hogarths ’97er Solo-Album “Ice Cream Genius” eingespielt. Eine wundervolle Entscheidung, denn aufgrund der glasklaren Abmischung, die die Trommeln, Rasseln und Schellen erfuhren, verlieh Jardim den oft schon hundertfach gehörten Stücken der Progsaurier detailreichem Tiefgang.

Marillion, 07.11.22, Frankfurt am Main, Jahrhunderthalle

Eine willkommene Abwechslung im Marillion-Klangbild. Auch wenn Luís Jardims Künste nichts weiter als ein hochkarätiger Bonus waren. Denn die fünf Stamm-Musiker bewiesen auch an diesem Herbstabend, warum sie noch immer zu den besten Live-Bands im Progressive Rock gezählt werden. Die Briten verstehen es nämlich noch immer bestens, Stücken im Live-Setting eine Extradosis Vitalität zu verleihen und selbst unauffälligen oder eher belanglosen Liedern bezaubernde Lebensgeister einzuhauchen. So wurde schon der dreiteilige Opener ‘Be Hard On Yourself’ zur verspäteten Initialzündung für den diensthabenden Betreuer, der im Fotograben förmlich die von der Band überspringenden Funken fühlen konnte. Dass Marillion irgendwann schon zu “Reprogramm The Gene” übergegangen waren, wurde erst dann bewusst, als der Chorus von ‘Murder Machines’ erklang und der gut siebenminütige Song schon längst zu Ende gegangen war. Adrenalin und Euphorie hatten da wohl schon die Wahrnehmung getrübt.

Marillion, 07.11.22, Frankfurt am Main, Jahrhunderthalle
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Da war es gut, dass im Anschluss an einen solch energiegeladenen Auftakt endlich die Möglichkeit geboten wurde, etwas zur Ruhe zu kommen. Denn h intonierte eine wundervolle Version seines von Leonard Cohen inspirierten Stückes ‘The Crow And The Nightingale’, bei der nicht nur Mark Kellys dichte Arrangements in den Vordergrund traten, sondern bei dem auch Steve Rothery so richtig in seinem Solo aufgehen konnte. Ein erstes echtes Highlight, nach dem es ‘Sierra Leone’ nicht einfach hatte. Doch selbst das nach persönlichem Empfinden unspektakulärste Stück der neuen Platte konnte im Live-Setting Boden gut machen. Etwas, dass Marillion mit dem anschließenden “Care” nicht nötig hatten, denn was bei Marillion schon auf Platte eine Granate ist, das zündet live in der Regel wie eine Bombe. Insbesondere mit dem vierten Teil des Liedes, ‘The Angels On Earth’ schienen Marillion beim Publikum einen Nerv getroffen zu haben. Episch!

Marillion, 07.11.22, Frankfurt am Main, Jahrhunderthalle

Was nach dieser ersten Stunde folgen sollte, das stand in den Sternen. Im zweiten Teil ihrer Konzerte hatten Marillion an den bisherigen Spielorten dieser Tour auf immer wieder unterschiedliche Setlisten gesetzt. Schön dabei war, insbesondere für Fans, die die Gruppe über die Jahre öfters gesehen hatten, dass gewisse Standards der letzten Jahre aus dem Programm herausgeflogen waren. An ihre Stelle traten an diesem Abend Lieder aus der Phase zwischen 1994 und 2001. Darunter zuletzt selten Gehörtes, wie das epische ‘Estonia’, das groovige ‘Quartz’, bei dem Pete Trewavas am Bass glänzte, sowie die psychedelische ‘Wave’n’Mad’-Sequenz aus “Brave”. Marillion in ihrer ganzen Vielfalt mit Leckereien für fast jeden Geschmack, gekrönt vom abschließenden ewigen Band-Klassiker ‘Afraid Of Sunlight’, der wohl niemanden kalt ließ, der auch nur irgendetwas für Marillion empfindet.

Marillion, 07.11.22, Frankfurt am Main, Jahrhunderthalle

Marillion verließen hiernach die Bühne und hinterließen ein begeistertes Publikum, nur um kurz darauf mit einem weiteren heißgeliebten Stück aus der Raritäten-Kiste zurückzukehren: ‘When I Meet God’ vom experimentierfreudigen 2001er “Anoraknophobia”. Eine Überraschung der besonderen Art. Vielleicht nicht die klassische Zugabe, aber dafür mit ganz viel Tiefgang. Besonders effektiv, wenn danach mit “The Great Escape” ein weiterer Kult-Song folgt. Ein Klassiker, der in den letzten Jahren viel zu selten gespielt worden ist und deswegen an diesem Abend Abend besonders gut ankam. Die Menschen waren glücklich und erfüllt und die meisten auch bereit, um zufrieden nach Hause zu fahren.

Marillion, 07.11.22, Frankfurt am Main, Jahrhunderthalle

Doch dafür war es noch zu früh. Denn Marillion kamen noch einmal zurück. Hogarth war mittlerweile Over the Top und nach subjektiver Wahrnehmung äußerst betüdelt. Beste Voraussetzungen also für eine stimmungsvolle ‘Garden Party’! Als Kelly in die Tasten Griff und die charakteristischen 80er-Jahre-Keyboard-Sounds der ‘Script For A Jester’s Tear’-Single aus den Lautsprechern erschallten, war das Publikum nicht mehr auf seinen Sitzplätzen zu halten. Der Bereich zwischen Bühne und erster Sitzreihe füllte sich mit Menschen in ausgelassener Stimmung, die, wie in alten Fish-Zeiten, auf- und absprangen und den Text des Liedes Wort für Wort mitgrölten. Und zwar besser und sicherer als Steve Hogarth, der von Atmosphäre und anderen Geistern so betört war, dass er immer wieder die falschen Zeilen sang. Die Fans nahmen es mit Humor, denn glückliche Menschen kann so schnell nichts enttäuschen!

Marillion, 07.11.22, Frankfurt am Main, Jahrhunderthalle

Marillion Setlist Jahrhunderthalle, Frankfurt, Germany 2022, An Hour Before It's Dark

Live-Fotos: flohfish
Chauffeur & Suport: Michael Scheuer

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Wikipedia

Interview: “Working for the Weekend: Im Gespräch mit Mark Kelly” (2022)
Rezension: “An Hour Before It’s Dark” (2022)
Rezension: “With Friends At St. David”s” (Re-Release) (2021)
Rezension: “With Friends From St. David’s” (2020)
Konzertbericht: 15.12.19, Marillion with Friends from the Orchestra, Essen, Colosseum Theater
Rezension: “All One Tonight – Live At The Royal Albert Hall” (2019)
Rezension: Marbles In The Park” (2017)
Rezension: “F.E.A.R. (Fuck Everyone And Run)” (2016)
Konzertbericht: 25.07.17, Frankfurt am Main, Batschkapp
Konzertbericht: 16.07.17, Bornich, Freilichtbühne Loreley, XII. Night Of The Prog Festival
Rezension: “Sounds That Can’t Be Made” (2012)
Rezension: “Best.Live” (2012)
Rezension: “Less Is More” (2009)
Rezenison: “The Thieving Magpie (La Gazza Ladra)” (1988/2009)
Rezension: “Live From Loreley” (1987/2009)
Rezension: “Recital Of The Script” (1983/2009)
Rezension: “Early Stages” (2008)
Rezension: “Happiness Is The Road” (2008)
Rezension: “Somewhere Else” (2007)
Rezension: Marbles” (2004)
Rezension: “The Best Of” (2003)
Rezension: “Anorak In The UK Live” (2002)
Rezension: “Anoraknophobia” (2001)
Rezension: “marillion.com” (1999)

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Veranstalter: MFP-Concerts
Venue: Jahrhunderthalle