Interview: Buster Odeholm von Humanitys Last Breath und Vildhjarta

Buster Douglas Odeholm von Humanity’s Last Breath und Vildhjarta über gigantische Riffs und das Komponieren von extremer Metal-Musik

Das Interview beginnt mit einem langen Moment, in dem “Betreuer” Gilles Iachelini die Musik lobt und seine tiefe Bewunderung für Odeholms musikalisches Schaffen zum Ausdruck bringt. Er gibt dem jungen schwedischen Wunderkind nur die Möglichkeit zu nicken, “ja” und “danke” zu sagen und hier und da ein kleines Lachen auszustoßen.

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Du bist schon sehr früh in deinem Leben mit Musik in Berührung gekommen. Ich habe gehört, dass du dein erstes Meshuggah-Konzert im Alter von fünf Jahren besucht hast (scherzhaft in Anspielung auf die Tatsache, dass er eigentlich so um die 12 war, was aber auch verdammt früh ist)?

(Lautes Lachen) Nicht wirklich. Aber ich war tatsächlich jung. Nicht so jung. Aber, Dude, ich mochte die Band damals nicht so richtig. Ich ging zu den Konzerten mit dem Schlagzeuger von Darkane, und ich mochte Darkane eigentlich viel mehr als Meshuggah. Zwar hatte ich eine gute Zeit, aber ich glaube, mein Gehirn war noch nicht bereit für diese Art von Musik.

Die Riffs, die man nicht wirklich vorhersagen kann, sind die, die Note für Note entstehen. Sie sollen unmenschlich klingen.

VÄLDE Cover ArtworkAuf “Välde” scheint die Musik so wunderbar orchestriert zu sein (absolut nicht so, als würden nur 4 Jungs ihre Instrumente rocken, während jemand anderes sie aufnimmt). Es scheint, als gäbe es Einen (oder mehrere?) mit einem Masterplan, der all diese verschiedenen Elemente wie den cleanen Gesang, die atmosphärischen Klänge, das Absenken des Tempos, die dynamischen Tonhöhenverschiebungen und all die anderen verschiedenen Elemente, die ich vergessen habe zu erwähnen, zusammenstellt. Woher kommt das alles?

Die meisten der akkordbasierten Riffs oder Black-Metal-artigen Riffs, die ich durch Jammen gefunden habe, habe ich auf dem Album durchgehend aufgenommen. Die stakkato-artigen, eher technischen Riffs sind konstruiert. Denn diese Art von Riffs werden besser, wenn man sie Note für Note aufbaut. Du hast keine Einschränkungen durch dein eigenes Spielvermögen. Es ist genau andersherum. Man muss sie lernen, wenn man sie einmal geschaffen hat. Und das ist der schwierige Teil. Also diese Art von Riffs, bei denen man nicht wirklich weiß, was als nächstes kommt. Die Riffs, die man nicht wirklich vorhersagen kann, sind die, die Note für Note entstehen. Sie sollen unmenschlich klingen. Ich benutze also Werkzeuge, um das zu erreichen. Ich bin ein Mensch, also brauche ich diese Werkzeuge, um über mich als Mensch hinauszuwachsen (lacht).

Also machst Du im Grunde die ganze Arbeit?

“Välde” und eigentlich auch die meisten Alben davor sind von mir gemacht. Es gibt etwa einen Song und ein Riff, das Calle (Calle Thomer, Gitarre seit 2016) gemacht hat. Aber das war eher so, dass ich alte Riffs gefunden habe und ihn gefragt habe, ob er sie verwenden will oder nicht. Und wir hatten Randy Slaugh (Produzent/Komponist, der mit Devin Townsend, Periphery, TesseracT, Thy Art Is Murder, …), der Synthesizer und Orchestrierungen gemacht hat…

(Betreuer unterbricht hysterisch) Er hat also “Väldet” gemacht? Das ist mein absoluter Lieblingssong auf dem Album. Ich höre ihn mir (mindestens) einmal am Tag an, mit hoch erhobenem Kopf, ausgebreiteten Armen und nickend wie Jens Kidman.

(Lautes Lachen) Schön! Das ist auch das Lieblingslied meines Vaters.

Für mich ist HLB die Definition eines sehr modernen, progressiven Bandkonstrukts, bei dem ein führender Kopf (du) die Richtung vorgibt, aber auch andere um sich schart, die ihm helfen, sein Ziel zu erreichen. Das erfordert echte Teamplayer an deiner Seite.

Auf jeden Fall. In Zukunft werde ich mich wirklich bemühen, Calle mehr einzubeziehen. Wir werden ihn sogar dafür bezahlen, Songs zu produzieren. Ich mache den Song, ich schicke ihn ihm, er macht, was er will, und schickt ihn dann zurück. Und das alles passiert, weil ich es wirklich satt habe, alles alleine zu machen. In der Vergangenheit wollte ich wirklich die Kontrolle über jeden einzelnen Aspekt der Musik haben. Und jetzt, nachdem ich das drei Alben lang gemacht habe, bin ich offen für einen neuen Weg.

Wie entstehen die Texte und Gesangsarrangements? Es ist ein bisschen schwierig, sich gemütliche Lagerfeuersitzungen vorzustellen. Oder dass Du am Klavier sitzt und Filip steht direkt neben dir.

Definitiv nicht. Ich verwende Notizen auf meinem Handy (er meint die App “Notizen” von Apple), in der ich eine riesige Datei mit Liedtexten habe. Wann immer mir etwas in den Sinn kommt, schreibe ich es auf. Das Ding ist verdammt groß. Wenn es dann an der Zeit ist, die Vocals für ein Album zu schreiben, gehe ich dieses Dokument durch und suche nach Ideen, aus denen ich Texte machen kann. Dann treffe ich mich mit Filip (Filip Danielsson, Vocals)
Ich spreche die Texte zur Musik und Filip hört sich das in einer Schleife an und singt dazu. Wir machen das Phrase für Phrase. Wenn wir einen guten Take haben, gehen wir zum nächsten über. Während dieses Prozesses verlange ich auch verschiedene Arten von Growling und Filip liefert. Je mehr wir haben und je mehr ich mir das anhöre, kann ich meine Shouting-Vocals, die melodischer sind, darüber legen. Ich bin eigentlich derjenige, der die Clean Vocals auf “Välde” singt. Aus welchen Gründen auch immer (lacht) – ich glaube, ich habe einfach beschlossen, es zu tun, weil Filip mal nicht im Studio war.

Du meinst diesen DadDadDannDuDann-WonkWonk-Teil?

Ich bin selbst ein (kompletter Amateur-)Musiker, deshalb vielen Dank für diese Playthroughs. Es hilft so sehr dabei, sich in die Musik hineinzuversetzen und zu sehen, wie sie aufgebaut und strukturiert ist. Bei dem Playthrough zu ‘Tide’: Was sind das für Sounds zwischen den Rhythmen, die auf den tiefen Saiten gespielt werden? Das klingt so künstlich, wie ein Synthesizer. Ist das alles mit einem Midi-gesteuerten Whammy-Pedal gemacht?

Du meinst diesen DadDadDannDuDann-WonkWonk-Teil? Ja, da spiele ich einfach sehr schnell und auf den mittleren Saiten, und es wird eine oder zwei Oktaven höher gestimmt und mit einer automatischen Stummschaltfunktion kombiniert, was diesen künstlichen Klang ergibt. Ich spiele also kontinuierlich schnell und es wird abgehackt. So habe ich das gemacht. Und wenn ich das live spiele, muss ich das automatisieren.

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Wenn aber Musik über Midi gesteuert und automatisiert wird, wird dann nicht der Computer zum Schöpfer und der Mensch zum Diener des Arrangements und der Maschine?

Klar, Mann. Ich benutze die Technologie viel mehr als andere. Ich versuche nicht, Musik zu machen, die wie eine Band klingt. Wie Menschen, die zusammen sind und etwas spielen. Ich versuche, etwas anderes zu machen. Deshalb setze ich Effekte ein, um uns unmenschlich klingen zu lassen.

Für mich klingt die Musik enorm gigantisch. Die Riffs wirken auf mich wie Wellen von kolossaler Größe.

Das ist großartig zu hören, denn das ist das Wichtigste bei HLB. Es ist Musik, die groß klingt.

Ich sehe, du spielst die Gitarre mit links (wie Jimi Hendrix), aber…

(unterbricht und imitiert eine satanische Stimme): Er macht es nicht, er macht es nicht wie ich…

…äh, sorry, ich dachte…

Nein, er spielt eine Rechtshändergitarre, aber mit normalen Saiten (tiefe  E-Saite oben, hohe e’-Saite unten). Er hat die Gitarre im Grunde nur neu bespannt. Aber ich habe die tiefe Saite unten (die Gitarre also im Prinzip einfach umgedreht). Schreib’ das bitte in das Interview, damit die Leute es lesen können.

OFFIZIELLER HINWEIS: Buster Odeholm SPIELT NICHT GITARRE wie JIMI HENDRIX.

Ich glaube, der eine Typ von “Bloodbath” … und ich persönlich kenne noch mindestens zwei Leute, die so wie ich Gitarre spielen.

…(um bei der ursprünglichen Frage zu bleiben) …aber haben Kristoffer Nillsson oder Calle Thomer die Saiten auch auf “upside-down” gestellt? Denn als ich mal versucht habe, “Animal” zu spielen, habe ich manchmal gedacht, dass es vielleicht einfacher wäre, wenn die Saiten in der richtigen Reihenfolge sind (also so wie du sie hast) und nicht in der normalen Reihenfolge, wie sie viele andere haben.

Das Problem, das Calle hat, ist, dass ich die verdammt größten Hände der Welt überhaupt habe. (Betreuer Einwurf: und auch die längsten Arme) haha, Ja! Die Sache ist, dass ich Akkorde spielen kann, deren Töne auf dem Griffbrett extrem weit auseinander liegen, was er nicht kann. Und weil ich die Saiten umgedreht habe, funktionieren einige Akkorde bei ihm einfach nicht. Wenn ich also Riffs kreiere und sie für ihn aufschreibe, sagt er mir manchmal, dass es unmöglich zu spielen ist. (Zeigt mir einen unmöglich zu spielenden Akkord) Er muss stattdessen mit der Hand hin und her hüpfen, um das zu spielen.

Und klingt es ähnlich, wenn Ihr beide zusammen spielen?

Das hängt wirklich von den Riffs ab. Manche Riffs klingen einfach gleich, aber andere passen besser zu meiner Spielweise.

Marcus Rosell wird als “Live-Drummer” erwähnt. Wie bekommst du das Schlagzeug beim Komponieren und Aufnehmen der Songs hin? Ich weiß, dass du selbst Schlagzeuger bist (Buster Odeholm ist Drummer Schlagzeug bei Vildhjarta).

Ja, er war der alte Live-Schlagzeuger von HLB. Wir haben jetzt einen Neuen, aber wir wissen nicht, wie sich das entwickelt, weil wir (Corona-bedingt) noch nicht live gespielt haben. Bei Vildhjarta bekomme ich ein Skelett der Schlagzeugparts, und dann setze ich es so um, dass es für mein Gehirn Sinn macht. Dann schicke ich das an sie zurück und bringe Korrekturen und Ideen ein. Und bei HLB bin ich ganz allein für die Drum Tracks verantwortlich.

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Lass uns ein bisschen über die veröffentlichten Videos reden. Das ‘Vittring‘-Video handelt anscheinend von Drogenmissbrauch. Hattest Du eine bestimmte Substanz im Sinn (nicht wörtlich), die zu solchen massiven, schrecklichen Halluzinationen und Taten führt? Oder ist das eher ein Symbol für etwas anderes?

In dem Song geht es um Instinkte. Tierische Instinkte. Die Menschen vergessen oft, dass sie Tiere sind, und wenn man sie in die richtige Situation bringt, werden sie animalische Dinge tun. Darum geht es auch in dem Video: Es gibt diese Droge, die dich glauben lässt, dass jemand anderes dich töten wird oder du jemanden töten musst, um zu überleben. Da ist es dann egal, ob es dein Freund ist, wie in dem Video. In dem Lied geht es also eher darum, seine Beute zu finden. Wie ein Raubtier, das sich Orte sucht, an denen sich andere sicher fühlen. Der Sound des Liedes erinnert ein bisschen an eine Savanne, in der ein Löwe langsam durch das Gras schleicht und versucht, leise und tödlich zu sein.

Das Video zu ‘Earthless‘ erinnert mich an ein Ritual, bei dem der Mann von mystischen Kreaturen getrieben wird, die sich außerhalb seiner Realität befinden, aber dennoch die volle Kontrolle über seine Handlungen haben. Er scheint vollständig von diesen Kräften kontrolliert zu werden. Betritt er eine neue Bewusstseinsebene? Was passiert mit ihm und was ist der Bezug zum Text?

Nun, das Video basiert auf den Ideen von Riivata Visuals. Alles wurde von ihnen gemacht. Im Grunde habe ich zu ihnen nur gesagt: Ich will Blut und ich will Schnee. Und das Video ist dann das, was sie mir zurückgegeben haben. Was den Text angeht, so geht es eher darum, eine neue Dimension zu betreten, zu sterben oder zu reisen. Etwas schwer zu erklären.

Die Leute sagen, die Musik von HLB sei trostlos, fast traurig. Bist du ein trauriger Mensch?

Was die Atmosphäre angeht, so klingt sie für mich definitiv trostlos, fast leer. Und ob ich ein trauriger Mensch bin? Ja, nun, ich habe meine Kämpfe, jeder hat seine Kämpfe. Ich spiele Metal-Musik und ich bin der Meinung, dass ich mich genau so ausdrücken muss. Vielleicht habe ich eine düstere Sicht auf meine Umgebung und die Welt. Ich glaube, das haben viele Leute. Und ich denke: Wie kann man das nicht haben (lacht). Es mag jetzt etwas seltsam klingen, aber für mich ist es schon fast unaufrichtig, zur Zeit fröhliche Musik zu machen. Versteh’ mich nicht falsch, ich sage nicht, dass es nichts gibt, worüber man glücklich sein kann und vielleicht versuchen diese Leute, etwas anderes auszudrücken, aber  ganz sicher nicht, wie die Welt im Moment ist. Ich habe das Gefühl, dass ich mich auf eine negative Art und Weise ausdrücken muss. Oder sagen wir: Ich habe eine Menge von diesen Dingen in mir, die ich gerne ausdrücken möchte.

Die Leute sagen (scherzhaft), dass du der Grund bist, warum wir kein neues Vildhjarta-Album bekommen. Stimmt das? (die Frage wurde vor der Veröffentlichung des Albums vorbereitet und gestellt, nachdem das Album bereits drei Wochen auf dem Markt war)

HAHA, fick dich! *lacht* Ich bin der Grund, warum es überhaupt ein Vildhjarta-Album gibt.

Wenn ich mir die Zeitleiste und die Mitglieder von HLB anschaue, frage ich mich, was zwischen 2012/2014 und 2016 passiert ist.

Ich denke, es gab eigentlich immer Aktivität. Es braucht halt Zeit, um neue Sachen für HLB zu schreiben. Ich denke, dass ich bei HLB nie untätig war. Nach der Veröffentlichung des selbstbetitelten Albums hat sich die damalige Band irgendwie aufgelöst. Ich habe zwar weitergemacht, aber wir haben nicht mehr live gespielt. Dann habe ich “Detestor” (das zweite HLB-Album) gemacht und den alten Sänger (Marcus Hultqvist) für die hohen Schreie und den neuen Sänger (Filip Danielsson) für die tiefen Schreie auf diesem Album eingesetzt. Aber Filip konnte später die Vocals auf Abbyssal nicht  mehr fertigstellen, weil er mit medizinischen Problemen zu kämpfen hatte. Das hat die Aufnahme in die Länge gezogen.

Tourpläne?

Oh ja, wir werden im April 2022 mit Oh yeah, we are going on tour in April 2022 with Reflections. auf Tour gehen.

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Rezension “Välde” (2021)

Die Abbildung wurde uns vom Künstler selbst zur Verfügung gestellt