Grobschnitt, 19.09.19, Bonn, Harmonie

»Zeige mir den Weg doch bitte, den Weg zur Harmonie«


Bonn, Harmonie, 19.9.19, 19:00, Grobschnitt. Foto: Klaus Reckert

Wir schrieben den 19.09.19. Und es werden um die 299 teils deutlich grauzauselige, teils überraschend junge und offensichtlich in zweiter Generation angetretene Fans gewesen sein, die zu dieser frühen Stunde die ausnahmsweise mal bestuhlte Harmonie bis auf den letzten Platz füllten.

So früh und mit Gestühl nicht etwa wegen angenommener Gebrechlichkeit der Künstler und ihres Publikums. Sondern weil man von gut drei Stunden Spieldauer munkelte. Oder wusste – der Autor hatte bereits am 21.06. dieses Jahres das Privileg genossen, einen der beiden “Vorlauf-Termine” wahrnehmen zu können, bei denen die aktuelle Inkarnation der deutschen Band-Legende Grobschnitt ihr neues Konzept sozusagen in öffentlicher Probe im urigen Keller des Kulturzentrums Werkhof in Hagen Limburg ausgetestet hatte. Damals schon mit rauschendem Erfolg, nämlich buchstäblich Lach-, Freuden- und Rührungstränen hervorrufend. Und köstlich lang!

Da versteht es sich von selbst, dass ein Ortstermin vorgenommen wurde, als die von BetreutesProggen.de mit Stolz präsentierte Tour im Heimatstädchen gastierte. Übrigens in fröhlicher Runde, umgeben von nicht zuletzt der besten Ehefrau von allen, weiteren Betreuern, Freunden und Bekannten wie z.B. dem Label-Chef von Adansonia Records.

Uns alle erwartete ein atmosphärisch etwas anders als die Generalprobe gelagertes – dazu weiter unten mehr -, aber ähnlich schönes Erlebnis.

Das in spannungsfördernder Dunkelheit und mit voll ins Publikum gerichteten “Blindmachern” begann. Sowie natürlich dem Intro und ‘Vater Schmidts Wandertag’. Die alten Grobschnitt-Fans, die überwiegend Meistergitarrist “Lupo” (bürgerlich Gerd Otto Kühn-Scholz) an die 30 Jährchen nicht mehr (mit den Schnitten) auf einer Bühne erlebt hatten, hielt es allein schon wegen diesem Anblick kaum auf den Sitzen. Mittig und nicht weniger im Interesse: “Willi Wildschwein” (bürgerlich Stefan Danielak, Gesang, Gitarre), links flankiert von seinem Sohn “Nuki” (bürgerlich Stefan Danielak jr., Hintergrundgesang, Gitarre, Percussions).

Spätestens mit der ‘Wonderful Music’ war auch dem letzten Skeptiker klar, dass dies hier keine abgespeckte Lagerfeuer-Sparversion des teils recht symphonischen Werks der Hagener Kultband werden würde. Sondern durch ausgefuchste Arrangements auf die Essenz verdichtete und dadurch teils nochmals intensivere Versionen, die gleichberechtigt neben den Studio- und kanonischen Live-Versionen bestehen können.

‘Traum und Wirklichkeit’ brachte uns schließlich alle gemeinsam auf ‘Den Weg zur Harmonie’.

Erneut zeigte sich die ungebrochene Magie von Willis Stimme und vom atemberaubenden Fingervibrato auch auf Nylonseiten seitens Lupo – gemeinsam mit dem virtuos, aber unauffällig bedienten Volumenpedal entstehen hier teils Cello-artige Klänge und “Violining”-Effekte, die Stars des Genres wie Steve Howe ganz schön alt aussehen lassen. Doch auch Nukis Backing Vocals, Gitarrenparts und vor allem die Einlagen auf teils winzig kleinen Percussion-Instrumenten wie Triangel, Wind Chimes u.v.m. begeisterten die Gemeinde.

Bei ‘Magic Train’ zeigte der sicherer als in Hohenlimburg agierende Lupo hinreißendes Flageolett-Spiel, Bendings, Hammer-ons und Pull-offs beim Solieren. Natürlich bildete ‘Rockpommel’s Land’ dann den ersten besonderen Höhepunkt, wofür wir uns mit Standing Ovations bedankten. Und die Band mit einer buchstäblichen Verschnaufpause von rund zwanzig Minuten, die gerne für Socialising, Besuch von Merch-Stand und ähnlich wichtigen Örtlichkeiten genutzt wurden.

Der zweite Teil des Konzerts brachte zunächst ein willkommenes Wiederhören von ‘Merry Go Round’ und vor allem ‘Snowflakes’, das es doch nicht ganz auf den European Song Contest geschafft hatte. Unbegreiflicherweise. Apropos – die launigen Ansagen der beiden Original-Sahneschnitten machen einen so großen Teil der Attraktivität des Abends aus, dass man Lupos Scherz “Wir kommen demnächst dann auch mal auf Lesereise” fast ein wenig ernst nehmen könnte.

Seit wann sieht Willi eigentlich John Malkovich so ähnlich?

Ab dem besonders anspruchsvollen ‘Silent Movie’ wurde allerdings auch deutlich, dass der arme Herr Wildschwein zunehmende Probleme mit Krämpfen in der Griffhand hatte. Allerdings schmiss er trotz offensichtlicher Schmerzen nicht etwa das Handtuch, sondern zog das Konzert auf hohem Niveau bis zum Ende durch – ein Superheld wie John Malkovich halt, dem er auch sonst zunehmend ähnlicher zu werden scheint.

Was bleibt noch zu sagen? Genau wie Lupo an diesem Abend könnte man minuten-, ja stundenlang vom Konzert erzählen. Erwähnt werden muss natürlich noch die Akustik-Fassung von ‘Solar Music’, die u.a. aufgrund von Lupos Flamenco-Einlage und dem Bouzouki-artigen Flirren seiner Soli unvergesslich ist, während Willi das magische “Sonnentanz”-Thema übernahm und zupfte.

‘Wir wollen leben’ beendete amtlich ein außergewöhnlich schönes, ja kostbares Konzerterlebnis.

PS – gönnt Euch das auch!
Grobschnitt “Acoustic Party”:

27.11. Neuss, Zeughaus
19.12. Arnsberg, Sauerland-Theater
21.12. Hagen, Johanniskirche
2020
18.01. Achim (b. Bremen), Cato Bontjes van Beek Gymnasium

Setlist
Intro
Vater Schmidts Wandertag
Wonderful Music
Morning Song
Drummer’s Dream
Magic Train
Traum und Wirklichkeit
Rockpommel’s Land

Merry-Go-Round
Snowflakes
Silent Movie
Raintime
The Sniffer
Könige der Welt
Solar Music (Sonnentanz) Acoustica Version
Wir wollen leben

Surftipps zu Grobschnitt:
Homepage
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Umusic
Interview: Lupo und Eroc zu “Solar Movie” (2016)
Interview: Lupo und Eroc zur Lebenswerkschau „79:10“ (Grobschnitt-Boxset, 2015)
Wikipedia
Wikipedia (Eroc)

Grobschnitt: Marabu. Foto: Klaus Reckert

Live-Fotos: Klaus Reckert