Interview
(Progressive Newsletter Nr.35 05/01)
Ausschnitte eines Interviews mit Thomas Thielen (Gesang, Gitarre, Keyboards) und Udo Gerhards (Keyboards)
Thomas: Die Reaktionen der Kritiker sind, wie erwartet, durchwachsen mit positiver Tendenz. Mit "Divorced Land" haben wir, was mich überrascht, anscheinend keine leichte Kost vorgelegt, jedenfalls merkt man in den Besprechungen deutlich, wer die Platte einmal gehört hat, um sie dann wegzuwerfen, und wer sich die Mühe gemacht hat, nach Konzepten, Motiven, Melodien usw. zu suchen. Ab und zu gibt es auch Rezis, die komplett und auch noch falsch aus den Liner Notes abgeschrieben sind... Allermeistens gibt es aber immer ein positives Fazit. Das Kontroverseste ist immer meine Stimme gewesen, und das hat sich auch auf "Divorced Land" nicht geändert. Ich werde abwechselnd zu den besten und schlechtesten Sängern des Genres, der Welt, von Klein-Hubscheid o.ä. gezählt, aber das ist mir eigentlich auch ganz lieb so - stell' dir vor, jemand sagt so ‘was wie "Welcher Sänger?", damit hätte ich Probleme!
Udo: Die Fans (alle 3!) haben durchweg positiv reagiert. Es gibt zwar keines der 10 Lieder, das nicht schon mal als bestes Stück vom einen und gleichzeitig als schlechtestes vom anderen bezeichnet worden wäre, aber den Daumen haben bis jetzt eigentlich alle hochgehalten.
Seid ihr selbst zufrieden mit dem Ergebnis? Was werdet ihr das nächste Mal anders machen?
Udo: Wir sind sehr zufrieden! Natürlich gibt es im Nachhinein immer Kleinigkeiten, die man gerne anders oder besser gemacht hätte, aber in diesem Fall sind es wirklich nur Details. Beim nächsten Mal werden wir vor allem eines anders machen: wir werden uns noch mehr Zeit gönnen, um an allem zu feilen.
Thomas: Durch mein HomeStudio und die räumliche Distanz innerhalb der Band werden wir diesmal wohl etwas anders arbeiten als vorher; die Stücke werden mehr den Stempel der Komponisten als den der Band tragen, denke ich, aber lassen wir uns mal überraschen. Auf jeden Fall können wir durch die Eigenproduktion eine Menge freier und zeitlich ungebundener arbeiten, zumindest bei den Aufnahmen; bei den Vocals z.B. sind 2 1/2 Tage einfach zu wenig für 74 Minuten... Was den Mix angeht, so wird der sicher wieder mit Wolgi zusammen stattfinden - Pro Tools ist einfach unschlagbar. Angedacht ist für das nächste Album auch eine Edition in Dolby Surround, aber davon habe ich noch zu wenig Ahnung, da müsstest du Wolgi fragen.

Glaubt ihr, dass eine deutsche Band bei einem Schweizer Label (Galileo) gut aufgehoben ist? Der Kontakt zu eurem Labelboss Patrick Becker ist ja wohl eher virtuell, oder?
Thomas: Über Patrick und Galileo kann ich nur Positives vermelden: 100% musikalische und gestalterische Freiheit, große Unterstützung, guter Vertrieb, gute Promo, ein Mastering bei Bob Katz... was will man mehr? Außerdem ist auch menschlich der Kontakt zu Patrick sehr gut, so dass wir mit Sicherheit beim nächsten Album wieder mit Pat arbeiten werden - wenn er uns noch will!
Udo: Der virtuelle Kontakt ist kein Problem, das ist heute eigentlich der Normalfall, oder? Wenn Galileo in Köln angesiedelt wäre, würden wir trotzdem eMails verschicken, daher macht das eigentlich keinen Unterschied.
Noch schwieriger muss der Kontakt zu Bob Katz gewesen sein, der euer Album gemastert hat. Seid ihr mit dem Ergebnis zufrieden? Hat sich diese "transatlantische Connection" für euch gelohnt?
Thomas: Eigentlich war der Kontakt äußerst freundlich und ungezwungen, und wir reden hier von einem der Ingenieure in der Branche! Was Bob mit unseren Files gemacht hat, ist unglaublich, aber das kennt man ja von ihm; was mich noch mehr überrascht hat, war die Down-To-Earth-igkeit, mit der er uns behandelt hat, er hat für jedes Fitzelchen nach unserer Meinung gefragt und am Schluss sogar kostenlos nachgebessert, als ich mit einer Stelle nicht zufrieden war - das ist nicht normal! Den Sound von DL kann jeder selbst beurteilen; der Mix war schon sehr gut, wie ich fand, aber Bob hat mit Bandsimulatoren und ein paar Stereo- Widenern einiges verbessert, was jetzt einfach nobeler und fetter klingt. Wir sind sehr zufrieden mit seiner Arbeit.
Stimmt es, dass ihr schon am Material zum neuen Album arbeitet? Wie weit sind die Konzepte denn hier gediegen? Und was können wir vom neuen Album erwarten?
Thomas: Ja, das stimmt. Udo hat mir 2 Midi-Files geschickt, die sehr gut zu meinem Material passen: Düster, schizophren, verspielter. Ich arbeite gerade an einem Longtrack namens "Psychanorexia", der wohl 25-30 Minuten füllen wird, wenn mich die anderen lassen. Ansonsten sind gerade in den Arrangements ein paar Abenteuer geplant, die ich aber noch nicht verraten will.
Udo: Na, ich will aber verraten... Das nächste Album wird sicher wieder sehr spannend, und ich denke, es werden ein paar weitere Elemente und Einflüsse erscheinen, die bei "Divorced Land" noch nicht so deutlich zu hören sind. Weiterhin würden wir gerne mehr mit zusätzlichen Musikern arbeiten, um die Arrangements noch farbiger und abwechslungsreicher zu gestalten. Es würde mich nicht überraschen, wenn auf dem nächsten Album auch ein paar Streicher und/oder Bläser und noch ein paar exotischere Instrumente zu hören sein werden, aber natürlich sind dies im momentanen Stadium noch Wunschträume...

Gerüchten zufolge arbeitet Thomas auch an Material zu einem Soloalbum? Ist etwas an dem Gerücht dran - und in welche Richtung wird das Album gehen?
Thomas: Hmm, ja, das ist was dran. Ich habe gerade mein Examen gemacht und werde mich jetzt eine Zeitlang der Musik widmen. Zuerst habe ich ein bisschen als Werbekomponist gearbeitet, um mir das Geld zu verdienen, die nächste Zeit mein Solowerklein aufnehmen zu können. Ich habe einiges in der Schublade liegen, das man sehr gut als "Prog meets Trance" bezeichnen könnte: Drumloops und E- Drums, Synthies und Melodien, relativ schräg, aber, hoffe ich, melodiös. Wann ich damit fertig werde, steht aber in den Sternen, es ist durchaus möglich, dass das nächste Scythe- Album vorher rauskommt, zumal es für mich eigentlich wichtiger ist.
Eure Band ist eng mit der Prog- Community im Internet verbunden. Neben eurer musikalischen Meriten gehört ihr zu den tragenden Persönlichkeiten der deutschsprachigen Mailing List [progrock-dt]. Wie wichtig waren diese Kontakte für eure Entwicklung?
Thomas: [progrock-dt] ist für uns mehr als nur Forum. Wir haben da eine Menge Freunde kennen gelernt, die uns mit Kritik (Hallo Fix!) und Lob sehr geholfen haben, uns Mut gemacht haben, uns auf dem Boden gehalten haben... Es macht auch einfach Spaß, sich da die Köppe einzuschlagen!
Udo: Abgesehen davon kann man den Einfluss der Prog-Welt, insbesondere via Internet, auf unsere musikalische Entwicklung gar nicht überschätzen. Ich habe über das Netz unheimlich viel fantastische Musik kennen gelernt, von der ich ansonsten nie gehört hätte, und diese neuen Hörerfahrungen spiegeln sich natürlich auch in meinen Kompositionen.
Welche Fragen haben Interviewer euch bisher nicht gestellt, für die ihr euch schon im Voraus eine Antwort zurechtgelegt hattet?
Thomas: Seltsamerweise hat uns noch niemand wirklich nach musikalischem Inhalt gefragt - nach dem Motto: "habt ihr euch bei den Taktwechseln um Minute 32 in "The history of the whole world (roughly)" eigentlich was gedacht?" ich hätte mehr Nachfragen erwartet, vor allem, da Denied gerade rhythmisch doch einigermaßen komplex ist... hat das überhaupt schon jemand mitbekommen?
Udo: "Warum hast Du kein Aquarium?"
Sal Pichireddu © Progressive Newsletter 2001