Interview


(Progressive Newsletter Nr.45 08/03)
Ausschnitte eines Interviews mit Steve Hackett (Gitarre, Gesang)


Wie lange hast du an dem neuen Album gearbeitet, bzw. komponiert? „Mechanical bride“ und „Serpentine song“ spielst du ja schon seit drei Jahren live.

Ja, auf dem neuen Album sind diese schon live gespielten Stücke zu hören. Ich war mit den Live-Versionen nie ganz zufrieden, so dass ich im Studio noch an ihnen arbeiten wollte. Ein Vorteil dabei und auch für das ganze Album war, dass die Band durch das Touren sehr gut eingespielt war. So wurde das Saxophon-Solo auf „Mechanical bride“ noch aggressiver. Es hört sich an wie eine kratzende Nadel auf einer LP. Beim „Serpentine song“ haben sich die Flöten, ja die Parts der Holzblasinstrumente insbesondere beim Chorgesang erheblich verbessert. Sie machen für mich jetzt die Qualität des Liedes aus. Es hört sich an, als ob eine ganze Thinwhistle-Band spielt. Wir haben drei Monate im Studio gearbeitet. Längere Zeit, ja Jahre, an einem Album zu arbeiten, frustriert mich. Ich liefe Gefahr den Faden zu verlieren. Die Arbeit im Studio muss für mich wie eine leidenschaftliche Liebesaffäre, an deren Ende, hier nach drei Monaten, eine Baby geboren wird.


Planst du eine Single - z.B. „This world“ z. B. - auszukoppeln?

Ich weiß nicht mehr, was eine Hit-Single ist. Früher, als ich Kind war, war die Musikindustrie ein kleiner, überschaubarer Club, in den man leicht hereinkam. Das ist heute nicht mehr der Fall. Ich mache Alben. Es gibt auf meinen Alben schon ein paar potentielle Singles. Ich nenne sie kraftvolle Balladen. Aber, sich auf Singles bei der Komposition eines Album zu konzentrieren, wäre für mich ein zu großer Kompromiss. Ich möchte den Freiraum des Experiments ein Album zu entwickeln, dafür nicht aufgeben.


Ich habe bisher noch nie einen derartigen Jazz-Einfluss auf einem deiner Alben herausgehört wie diesmal. Warum jetzt ?

Nun, ich nutze auf eine entfremdende Art die Jazzmusik für mich. Jazz eröffnet Dir die Möglichkeit, dein Innerstes zu erfüllen, diesen leeren Raum zu erobern. Ich mag es, wenn das Können der Musiker die Musik bestimmt. Ich mag den Einfluss der Elektronik auf die Musik allgemein und insbesondere auf den Jazz. Ja, da sind ein paar jazzbeeinflusste Stücke auf dem Album - „Frozen statues“ oder „Mechanical bride“ z. B.. Der Rest jedoch, wo siehst du da den Jazz? Viele Stücke werden mit akustischer Gitarre gespielt. Für sie war nicht der Jazz, sondern die Improvisationskunst der Flamencospieler Vorbild. Normalerweise mache ich Musik, die beruhigend und friedlich ist. Ich schlage die Gitarre nicht sehr hart an. Das habe ich hier ein bisschen verändert. Das neue Album ist nicht mehr so romantisch und verträumt. Es ist doch sehr von spanischer Musik beeinflusst. .


Ein anderer deutlicher Einfluss ist King Crimson. Ist das Folge deiner Zusammenarbeit mit Ian McDonald ? Bist du ein Fan ?

Ich war 1969 ein großer Fan von Ihnen. Vier begabte Leute führten unterschiedliche Musikstile zusammen. Der Kontrast von Aggression, Angst und Dunkelheit zu pastoralen, lyrischen, schönen Stücken war faszinierend. Es ist wie die Everly Brothers mit Strawinsky zu kombinieren. Das war sehr schlau. Ich wollte eine ähnliche Band, Musiker, ähnlich offen für Einflüsse. Da habe ich in der Vergangenheit immer Glück gehabt. So sind meine Einflüsse weitreichend: Folk, Klassik, Jazz, Pop, Humor. Es sind immer die Kontraste gewesen, die mich interessiert haben. Ich bin da offen, wenn die Musik gut klingt, bin ich zufrieden. Ich denke dann nicht, das klingt wie der oder der. Natürlich bin ich nicht traurig, originell, einzigartig zu klingen. Vielleicht klingt dein Spiel in deiner Jugend einzigartig, im Alter beeinflussen dich all die gesammelten Informationen und Erfahrungen. Vor King Crimson gab es John Coltrane und Stan Kenton. Wer hat nun von wem gecovert? Die Ideen sind ähnlich, nur die Instrumentierung ist anders. Das ist doch die Musikrichtung, die die Leute heute Progressive Rock nennen. Du findest all die alten Komponisten wieder: Bartok, Strawinsky, Chambourg. Die Elektronik hat die Musik verändert - jedoch nur ihr Äußeres, nicht ihr Inneres.


Erzähle bitte etwas über die Inhalte der Lyrics.

Als ich klein war, verliebt ich mich in Verstecke, heute sind es Plätze, Orte mit Verstecken. Natürlich verliebe ich mich auch in Menschen, aber Orte faszinieren mich genauso. So ist das Stück „Stratton Grand“ eine Aneinanderreihung von Orten mit erinnerungsträchtigen Namen, z. B. „Fisherman´s Wharf“ in San Francisco. Ich habe diese Orte aneinandergereiht, wie eine Kette von Urlaubserinnerungen aus meiner Kindheit - vielleicht nostalgisch. Wenn ich Probleme mit den Lyrics habe, erstelle ich solche Listen - „The virgin & the gypsy“ z.B. beinhaltet eine Liste von Blumennamen. Der Klang der Worte macht dann den Inhalt aus. „Mechanical bride“ ist ein Protest Song, „Cirkus of becoming” hat keinen beson - deren Inhalt - er besteht aus einer Verknüpfung von Träumen. „Frozen statues“ liegen die Bücher von Oliver Sax zu Grunde. Er arbeitete mit schwerkranken Menschen, die unter Immobilität, Katatonie, Autismus leiden, zusammen. So berichtet er über eine Frau, die sich nur unter Einfluss von Musik bewegen kann. „This world“ erzählt über den Verlust der Liebe und des Paradieses. „Rebecca“ liegt der gleichnamige Roman Von Daphne du Maurier, bzw. die Stimmung des Hitchcock-Films zu Grunde. „Come away“ beinhaltet auch eine Erinnerung: Früher habe ich oft meine Mutter zum Spazieren gehen abgeholt. Ihre Nachbarin war eine alte Dame. Oft habe ich gedacht, sie mal mitzunehmen. Es aber nie getan und plötzlich war sie verschwunden. Was wäre, wenn ich es je getan hätte? „Serpentine song“ ist nach dem gleichnamigen See im Hydepark benannt. Er beschreibt die Stimmung des See während der verschiedenen Jahreszeiten. So liegt dem Album ein Konzept zu Grunde: Eine Traumreise zu verschiedenen Orten, die In London beginnt und endet.


Im November gehst du das erste Mal nach 15 Jahren durch Deutschland auf Tour. Welche Erwartungen knüpfst du daran?

Ich habe keine großen Erwartungen, ich hoffe aber auf Überraschungen. Ich habe es vermisst hier zu spielen. Finanzielle, ökonomische Probleme verhinderten es. Ich habe nun einen guten Plattenvertrieb in Kooperation mit meinem eigenen Label, ein gutes Management, ein eigenes Studio und eine gute Band. So ist jetzt alles einfacher. Die Menschen hier erinnern sich noch an mich. Ich hoffe, sie akzeptieren, dass ich mich verändert habe. Viele sagen, „Spectral mornings“ wäre das beste, was ich je gemacht habe, andere, das, was ich bei Genesis getan habe. Nun, ich bin aber nicht in einer Richtung stehen geblieben. Ich mache viel Neues.


In den letzten Jahren hast du immer wieder Konzerte mit Band gegeben. Dabei spieltest du fünf Genesis - Titel. Können wir damit auch im Herbst rechnen?

Das sind Favoriten der Fans, wie auch meine. Sie hören sich gut mit der Band an. Ich denke, dass wir auch ein paar davon hier spielen.


Planst du das komplette neue Album live zu spielen?

Ich werde mich mit ein, zwei Leuten hinsetzen und sehen, was möglich ist. Ich bin nicht glücklich damit, ein ganzes Album zu spielen. Vor Jahren haben wir „The lamb lies down on Broadway” komplett gespielt. Es hatte nun mal diese komplexe Geschichte. Viele Zuschauer waren enttäuscht, nicht noch andere Dinge zu hören. Ich möchte neues und altes Material zusammen bringen.


Du hast auf dem letzten Gordian Knot - Album mitgespielt. Bitte erzähle uns davon.

Sie sandten mir die Tapes und baten um meine Mitwirkung. Ich spielte meine Parts zu Hause ein. Drei - oder vier Soli, waren es fünf? Ich habe die anderen Musiker nie getroffen.


Andreas Schütze © Progressive Newsletter 2003