Interview


(Progressive Newsletter Nr.68 03/10)
Ausschnitte eines Interviews mit Thomas Glönkler (Gitarre, Bass, Keyboards)


Komischer Zufall, dass dieses Interview am 23.2. stattfindet, genau an jenem Tag, der auch eine essentielle Bedeutung für Dein aktuelles Konzeptwerk „Goldstadt“ hat. Wie bist Du auf das Thema der Bombardierung von Pforzheim gekommen?

Ja, der heutige Tag ist wirklich bedeutsam für Pforzheim und mir liefen heute schon mehrmals eiskalte Schauer über den Rücken, als ich mich erinnerte, was vor 65 Jahren hier passiert ist. Konkret kam ich auf das Thema, als ich ein Buch über Alt-Pforzheim in die Hand bekommen habe. Da hat mich erst mal umgehauen, welch eine schöne Stadt das einmal war. Und da ich Pforzheim kannte, kamen in mir viele Fragen auf, denen ich dann nachgegangen bin. Dabei habe ich z. B. herausgefunden, dass die Stadt zu den im Bombenkrieg prozentual meistzerstörten Städten überhaupt gehört, auch was die Opferzahlen angeht, so eine radikale und absolute Zerstörung kann man sich heute kaum vorstellen. So entstand langsam die Grundidee zur CD. Aber der innere Drang, etwas über die deutsche Städtelandschaft zu machen, war schon lange vorher da und hat sich so nur kanalisiert.


Hattest Du die Möglichkeit, mit damaligen Zeitzeugen zu sprechen bzw. wie intensiv und lange hast Du Dich mit dem Thema dieses Albums beschäftigt?

Meine Schwiegermutter hat den Angriff erlebt. Sie lebte damals in der Friedensstraße, was Luftlinie etwa 100 Meter vom Bombenteppich entfernt lag. Sie wollte lange nicht über den Angriff sprechen, irgendwann war sie dann doch bereit. Auch mein Schwiegervater, der nach dem Krieg nach Pforzheim heimkehrte, - und im Originalton auf der CD zu hören ist - war mir eine große Hilfe. Ansonsten hab ich viel gelesen und mich die letzten Jahre über intensiv eingearbeitet. Mittlerweile bin so etwas wie ein Experte, was den 23. Februar angeht, ich kenne wirklich jeden alten Stein in der Stadtmitte Pforzheims, der noch übrig ist.


Welches Gefühlsspektrum hat dieses Thema bei Dir ausgelöst, gerade auch, dass einem durch solche Ereignisse einmal mehr die Sinnlosigkeit eines Krieges deutlich gemacht wird?

Ich möchte es mal so formulieren: Es war eine emotionale Reise, die auf und ab ging. Mir war ja – wie den meisten Menschen - anfangs nicht klar, wie solch ein Angriff damals ablief. Da hat sich nach und nach ein Bild ergeben, das mich erst mal schockiert hat. Auch die vielen Zeitzeugenberichte der Menschen, die dem Inferno entkamen, waren schwer verdaulich. Da konnte ich oft nicht weiterlesen, so schrecklich war das. So wurde mir die Tragweite erst langsam bewusst und mir stellte sich die Frage: Kann man das Thema überhaupt in dieser Form behandeln? Also musikalisch umsetzen. Die Frage stand für mich öfter im Raum. Aber mein Ansatz war ja nicht, in erster Linie den Schrecken des Angriffs darzustellen, vielmehr wollte ich einen nachdenklich-fragenden Blick zurückwerfen. Ein Freund prägte hierfür den Begriff „Schreckenstrauer“, die kann sich musikalisch durchaus in ruhigen Passagen äußern, als ein melancholischer Blick zurück auf das, was einmal war und leider für immer verloren ist. Und das ja nicht nur in Pforzheim, sondern in nahezu jeder deutschen Stadt.


Wie schwierig war es, zu diesem sensiblen Thema die passende Musik und vor allem die passenden deutschen Texte zu finden?

Wie bereits angesprochen, war ich, aufgrund dieser Sensibilität des Themas, nicht immer frei von Zweifeln an dem ganzen Vorhaben. Schließlich kam ich zur Erkenntnis, dass ich im künstlerisch-musikalischen Bereich sehr wohl etwas dazu zu sagen habe und es eben auf meine Art durchziehen muss. Die Entscheidung war, es herauszubringen und dann die Leute urteilen zu lassen. Ich denke, man kann bei einem solchen Thema zwangsläufig nur einzelne Aspekte herausgreifen und diese dann beleuchten. Das habe ich versucht. Textlich wurde ich unterstützt von meinem alten Freund Detlef Schwieger, der schon zu ICU-Zeiten Texte beigesteuert hat.


Am Anfang stand nur die Idee für ein 20-minütiges Musikstück, wie entstand das weitere Material?

Das knapp 18minütige „Inferno“ ist nun auch das Herzstück der CD, ganz klar. Mir wurde aber schnell deutlich, dass ich das Thema nicht in diesen 18 Minuten abhandeln kann. Vielmehr reicht es weit in die Gegenwart hinein, zumal es in Pforzheim immer wieder politischen Ärger über die Form des Gedenkens gibt. Die weiteren Songs entstanden auf diesem Hintergrund und behandeln z. B. das Gedenken, aber auch das Verdrängen der Vergangenheit. Das Lied „Der Sturm bricht los“ handelt beispielsweise von angestauter, nicht gelebter Trauer. In „Mahnung“ geht es konkret um das Glockengeläut zum Gedenken an den Angriff. Stört dies manche Leute in Pforzheim? Was geht im Einzelnen dabei vor? Was will uns das Geläut sagen? Solchen Fragen wollte ich nachgehen.


Die Aufnahmen dauerten knapp drei Jahre. Hast Du Dir einfach so viel Zeit gelassen, bis Du wirklich mit dem Endresultat zufrieden warst?

Das liegt teils an meiner Arbeitsweise, in der ich gerne Ideen reifen lasse, um zu sehen, was bestehen kann, teils an meiner beruflichen Situation. Es gab Wochen und Monate, da ging nur wenig vorwärts. Und natürlich spielt auch das hinein, was du sagtest, denn auf diese Weise liefere ich keinen unbedachten Schnellschuss ab, den ich nachher bereue. Du siehst mich also sehr zufrieden mit dem Endresultat, auch was die optische Umsetzung der CD angeht. Da haben wir uns sehr Mühe gegeben, dass die Geschichte im Booklet auch transparent wird. Und ich weiß, das klingt jetzt abgedroschen, aber „Goldstadt“ muss man wirklich von Anfang bis Ende am Stück hören, nur so erschließt es sich dem Hörer. Am besten mit dem Booklet und einem Gläschen Wein bei der Hand.


Während dein erstes Soloalbum „Auszeit“ eher von ruhigen, akustischen Tönen geprägt ist, ist „Goldstadt“ eine Rückkehr zum progressiven Rock aus Deiner Zeit mit ICU. Woher kam der Anstoß für diese musikalische Wende?

Das war schon länger angedacht. „Auszeit“ war hier eher die Ausnahme, eine Art Bestandsaufnahme und ein Zusammentragen vieler Ideen aus alten Zeiten. Das war ein anderes, noch viel reduzierteres Arbeiten, denn viele der verwendeten Tracks auf „Auszeit“ entstanden ursprünglich noch auf meinem 4-Spurgerät. Daher auch der Verzicht auf ein Schlagzeug. Insofern kann man nicht von einer Wende sprechen, ich sehe „Goldstadt“ eher als mein erstes richtiges Album seit ICU. Auch sind alle noch folgenden Projekte Bandprojekte, also mit voller Besetzung geplant.


Gibt es auch Pläne, die Musik von „Goldstadt“ live aufzuführen, evtl. ähnlich zu den Konzerten von ICU mit entsprechender optischer, filmischer Unterstützung?

Die Pläne gibt es in der Tat und ursprünglich war schon zum heutigen 23. Februar eine Aufführung geplant gewesen. Leider hat sich die Aufnahme der CD verzögert, so dass dies nicht zu realisieren war. Ich hoffe, dass es zum nächsten Jahr klappt. Die Songs würden live sicher anders klingen als auf der CD. Dadurch würden andere Aspekte offenbar, was reizvoll wäre. Und sollten wir die CD auf die Bühne bringen, wird es sicherlich mehrere Konzerte an verschiedenen Orten geben, allein um den Aufwand zu rechtfertigen. Wie du schon sagtest, habe ich eine visuell-filmische Umsetzung bereits im Kopf. Die bietet sich bei dem Thema ja an. Mal sehen, was hiervon realisierbar ist.


Wie bist Du mit dem Feedback zu „Auszeit“ zufrieden bzw. welche Resonanz gab es auf die in kleinen Auflagen herausgebrachte „Now & here“ Livemitschnitte?

Die Reaktionen zu „Auszeit“ waren ok. Mehr konnte man für diese Art Album nicht erwarten. Was die „Now and here“ -Liveaufnahmen angeht, hier war die Resonanz durchweg positiv. Die Nachfrage hielt sich aber in Grenzen, was wohl auch mit daran liegt, dass ich wenig Werbung dafür gemacht habe. Für mich sind die Live-Scheiben aber nach wie vor eine bessere Alternative zur „Now and here“ -Studioversion, sie klingen gut und sind noch immer zum Schnäppchenpreis auf meiner Homepage www.weltenblau.de erhältlich.


Kristian Selm © Progressive Newsletter 2010