CD Kritik Progressive Newsletter Nr.81 (09/2014)
Uhl - Discoboys
(49:32, gligg Records, 2013)
Und sie sehen so jung aus! Uhl aus Saarbrücken spielen elektrischen Avantgarde Jazz. Das Trio machen voll: Martial Frenzel am Schlagzeug (und an den martialischen Zigaretten), Lukas Reidenbach mit elektrischem Bass (und gefährlichem Tanzen) sowie Johannes Schmitz mit Gitarre (und sonst nichts). 10 Songs sind auf der CD, die zusammen 49:32 Minuten füllen. Alle Drei komponierten, wobei der Tänzer die meiste Inspiration verarbeitete und der Raucher die wenigste. Fast schon metalhart, schön extra schräg, progressiv komplex, experimentell abgefahren und ausgelassen stürmisch geht das selbstbewusste Trio vor. Aus der Schublade Avantgarde Rock könnten diese Krachbrocken stammen, wenn sie kompositorisch nicht eher Jazz sind. Aber wie immer: Schubladen sind gut für Socken, Musik für die Weite abseits des Mainstream. Und da tummeln Uhl sich ausgelassen. Ein kurzes Stück wie "Go home" nimmt ein schräges Rotzriff und rast die Töne schnell hoch und runter. Anderes klingt erwachsener, etwa Opener "Das Pille-Palle-Obst", in dem Verspieltheit fast schon fröhlich, auf alle Fälle dynamisch forsch und sehr lässig präsentiert wird. Trotz der zugänglichen Spielweise wirkt der Song - wie die folgenden - etwas unnahbar, was an der kratzbürstigen Einspielung, den schräg-harten Gitarrensounds, der nicht leicht verdaulichen Komplexität und insgesamt anspruchsvollen kompositorischen Sprache liegt. Selbst "Go home" als Holterdipolter-Avantjazzrock mit düsterer Note und rauem Sound sperrt sich leichtem Genuss. Als Vergleich könnten etwa Frühsiebziger King Crimson herhalten, in ihrer harschen Livearbeit. Zudem Podsdarapomuk, die es 1995 auf nur ein Minialbum brachten (dessen humorvolle Hochwertigkeit bis heute Qualität beweist). Uhl sind nicht so rockbetont wie Podsdarapomuk, aber nicht nur eigentlich sehr ähnlich. Ganz andere Qualitäten weisen balladeske Stücke wie "Tales" auf. Der Song läuft über 7:48 Minuten, der Vibe braucht die Zeit, die Band nutzt jede Sekunde. Ambient kantige Schräglage in harmonisch sanfter Note findet zu melodischem Ausdruck, der mit minimalistischen Mustern arbeitet, ohne Alternative Rock-Staatsgebiet zu streifen. Sehr anmutig, die wohl gelungene Idee. Kein bisschen kitschig, nicht fad, sondern kraftvoll, lasziv und verspielt. Wie die Ostsee nach dem Sturm. Drei lange Tracks sind auf der CD, und allesamt haben sie dieses episch sanftmütige Flair. Ebenso gut gefallen mir die kurzen krassen Sachen. Witzige, schräge Ideen gehen mal in harsch krachige Richtung, mal in verspielte Humorentspanntheit. Schön zu hören, dass jede Idee sitzt, dass es keinen Mangel an Inspiration gibt und das Trio Spaß an der Sache hat. Zweifellos haben die Uhlen jede Mange Krachmetal, heftigen Avantjazz und progressiven Avantrock gehört und verarbeitet. Es ist bereits ein neues Album angekündigt. Bin schon neugierig! Empfehlung!
Volkmar Mantei
© Progressive Newsletter 2014