CD Kritik Progressive Newsletter Nr.80 (04/2014)

Caillou - Caillou
(60:33, Soleil Mutant, 2013)

Hört euch nur diesen Opener an. Wie verträumt und sanft "Hum Hum" dahinzieht. Kühl und nüchtern wie ein Sonntagabend, mit weitem Blick und lichtem Gemüt. Auch wenn das Schlagzeug etwas überreagiert und das stets gleiche Gitarrenriff eher seltsam und nervig als einlullend ist. Am Ende des Tracks bleibt es eine Weile still. Dann legen die 7:33 Minuten des folgenden "Victor F." los, und auch wenn der Anfang noch in leichter Elegie schwingt, ist doch schon bald klar, wo es hier lang geht. Caillou spielen harschen, disharmonisch geprägten, zuhöchst intensiven Jazzrock vom Allerfeinsten. Nicht alle Tracks sind auf gleich hohem Niveau, aber das Konzept nutzt sich über die CD nicht im Ansatz ab. Caillou sind sagenhaft - und wenn ihr glaubt, dass sie schon gut unterwegs sind, dann legen sie noch Kohlen auf und mahlen und fräsen sich durch zähestes Jazzrockgestein, dass der Sound nur Wahnsinn ist. Rudy Blas (g), Philippe Gleizes (dr, Chef, nebenberuflich Mitarbeiter in Christian Vanders neu reformierten Offering), Matthieu Jérôme (p, keys, rhodes) und Charles Lucas (b) ackern sich wie Furien durch gnadenlos heftigen elektrischen Jazzrock, ähnlich wie die Labelkollegen One Shot, ähnlich wie die Esten Phlox und ähnlich wie die großen Avant Jazzrocker der Siebziger. Über 60:33 Minuten wühlt sich das 10 Song Album durch das progressive Genre. Typisch französische Disharmonie-Tastenorgien stehen im Mittelpunkt, die schneidend scharfe Gitarrenarbeit spielt die zweite Geige, strukturell wie solistisch, und ist doch kaum weniger extrem unterwegs. Die auch vertretenen balladesken Jazzmonster sind zwar sehr intensiv, doch Caillou machen die brachialen Rocker weitaus wilder und expressiver, weil, wie bei Phlox, kompromisslos gerockt wird. Der Schwergewicht-Jazzrock schaufelt sich aus seiner Grundkomposition frei und löst sich in höheren instrumentalen Sphären, wo die Energie plötzlich eine Dimension erreicht, die nicht nur aus dem Zusammenspiel der Musiker entsteht, sondern einen deutlich höheren Puls hat. Enorm und kaum zu glauben, wie die Maschine hier abgeht und wie, etwa in "Tomahawk" über 8 Minuten brodelnde Jazzrockmagie wie Lava kocht. Dieser Level ist bei sehr vielen Bands selten nur erreicht, und wenn der süchtig vegetierende Freak eine dieser Musikdrogen in die Hände und Ohren bekommen kann, werden emotionale Hörgefühle erreicht, die zu wenig nur angesprochen und doch immer angestrebt werden. Dies nur ganz nüchtern gesagt...

Volkmar Mantei



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