CD Kritik Progressive Newsletter Nr.80 (04/2014)

Brand X - Missing period
(50:40, Gonzo Multimedia, 1975/76)
Brand X - Is there anything about?
(34:17, Gonzo Multimedia, 1982)
Brand X - Live at the Roxy LA
(70:54, Gonzo Multimedia, 1979)

Einmal abgesehen von "Missing period"", das erstmals 1997 das Licht der Welt erblickte und auf Buckyball Music veröffentlichten Alben (Brand X Trilogy 2003) ist der Backkatalog der englischen Jazzrocker mit dem markanten, großartigen Bassisten Percy Jones bislang in einem grauenhaften Zustand. Dabei ist die Band nicht unbekannt (gewesen), zudem war mit dem genialen Schlagzeuger Phillip Collins ein bekannter Rockstar an Bord, der alsbald noch viel bekannter werden sollte, als er begann, erfolgreich Popalben auf den Musikmarkt zu schmeißen. Längst sind weitaus unbekanntere, erfolglosere Bands ausführlich damit beschäftigt gewesen, ihre originalen Alben nach dem Digitalisieren soundtechnisch zu überarbeiten, die Dachböden nach Bonusmaterial zu durchforsten, zur Musik umfangreiche Booklets mit Bandstory, Interviews, historischen Rückblicken etc pp zu geben. Nicht so Brand X. Zwar sind alle offiziellen Alben seit bereits 1989 auf CD erhältlich (gewesen) und billig bei üblichen Zweit- und Drittverwertungsanbietern zu bekommen, aber kaum qualitativ überzeugend. Quantitativ schon gar nicht, mal abgesehen von Boni ist selbst die Überraschung "Missing period" nur äußerst dürftig mit Hintergrundinformationen ausgestattet. Die offiziellen Alben: zero information in den Booklets. Jetzt gibt es (endlich) Neuauflagen einiger ihrer Alben und: die Informationsdürre setzt sich wie gehabt fort. "Missing period" ist - bis auf die Labelangabe - quasi identisch, das betrifft neben dem leider sehr kurzen Text auch den Sound, der einfach hinreißend ist, wie jeder einzelne Ton in allen sechs Songs. 1975 gegründet, sollte Brand X zuerst kein professionelles Projekt sein. Gitarrist John Goodsall und Bassist Percy Jones wollten Schlagzeuger Bill Bruford (King Crimson, Yes, Genesis, etc.) für ihre Band gewinnen, da kam ihnen Phil Collins in die Quere. Die drei nahmen an der Einspielung zu Robin Lumleys und Jack Lancasters "Peter and the Wolf" teil (wo sich zahlreiche, darunter wohlbekannte Musiker austobten), gleich darauf an "Marscape" (1975) des gleichen Gespanns. Robin Lumley wurde Brand X Keyboarder und nach den ersten Demo-Aufnahmen folgte bald das erste Album "Unorthodox behaviour" (1976), das sich für alle Beteiligten überraschend gut verkaufte, über 100.000 Stück gingen über die Ladentheken. Und Brand X spielten weder Pop noch Symphonic Rock, waren weit von Collins Mutterband Genesis entfernt, dennoch hat da wohl der große Name Gutes getan. "Missing period" enthält Aufnahmen, die 1975 / 76 kurz vor der Einspielung zum Banddebüt entstanden und lange in John Goodsalls Familie aufbewahrt wurden. Gut komponierter, komplexer Jazzrock der feinen englischen Art. Sehr empfehlenswerte Scheibe! "Is there anything about?" von 1982 war das letzte Album der ersten Bandphase, an die erst 1992 wieder angeschlossen werden sollte. Der kernige, kraftvolle und strukturiert komplexe Sound der ersten Alben war leichtfüßigem, pop-beeinflussten Entspannungsjazzrock gewichen, der zwar immer noch markant war (auch ohne Percy Jones) und wenigstens im Titelsong zu alter Stärke fand, aber in gerade einmal 34 Minuten Spielzeit kaum an frühere Großtaten reichte. Der Klang des Albums ist erstklassig, aber am Produkt ist nichts weiter dran ist, keine weitere Aufnahme, kein Bonus, keine Bandstory. Insofern: etwas dürr, das Ding. Wenigstens das 70:54 Minuten lange, sechs Songs umfassende ehemalige Bootleg "Live at the Roxy LA" kommt mit Informationen, von Robin Lumley geschrieben. Der muffige Sound ist nach vier käsigen, anstrengend öden Einstiegsminuten (Lumleys Keyboardgesäusel) für Neugierige und Süchtige gut zu ertragen, für Einsteiger ist dieses Album nicht gedacht. Eher als komplettes Bonuswerk zu verstehen (Bootlegs gibt es einige mit Aufnahmen von Brand X, bessere und, klar, klangtechnisch kaum zu ertragende), zeigt die Band sich gut drauf. Am 23. September 1979 im Roxy Theater in Los Angeles eingespielt, beweisen die Musiker sich zwischen den Songs als humorvoll, es wird viel 'gequatscht'. Angenehmer Weise sind die talks den Songs angehängt, so dass die Tracks mit Musik beginnen. Wer keinen Bock drauf hat, der Band beim Reden zuzuhören, kann weiter skippen und hat so schnell die pure Musik. Das Publikum macht ordentlich mit, trotzdem sind auch leise Passagen ganz gut zu hören. Empfehlung: nur für Brand X Süchtige. Der Backkatalog von Brand X wird hoffentlich vollständig aufgelegt, so wie diese drei CDs, doch besser mit umfangreichen Informationen. Immerhin wichtig, dass diese Neuauflagen endlich gut und aktuell produziert werden. Möglicher Weise hat die Band selbst heute keine Ambitionen, ihr Werk so gut zu präsentieren, wie es viele andere Musiker / Bands tun. Um die Webpräsenz der Band ist es ebenfalls schlimm bestellt. Schade, denn Brand X und ihre Alben sind längst nicht Geschichte.

Volkmar Mantei



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