CD Kritik Progressive Newsletter Nr.78 (08/2013)

Møster! - Edvard Lygre Møster!
(46:35, Hubro, 2013)

Was Møster! betrifft, gehen die 'herkömmlichen' stilistischen Beschreibungen beim besten Willen in die Sackgasse, denn was dieses illustre Quartett am 03. Dezember 2011 im Victoria - Nasjonal Jazzscene in Oslo, Norwegen, spielte, ist wahnsinnig verwegen, nicht mit Worten einzufangen und durch keine Vorbilder eindeutig geprägt. Kjetil Møster (ts, bs, electronics), Ståle Storløkken (Tasten, Supersilent), Nikolai Eilertsen (b, electronics, Elephant 9, Big Bang) und Kenneth Kapstad (dr, Motorpsycho) sind das Dream Team der aktuellen norwegischen Rock- und Jazzszene. Die Musik ist fürwahr progressiv, radikal unangepasst, weder eindeutig Jazz noch Rock, am ehesten passen die wilden, fast kriegerischen Tracks zum Jazzrock, eher zum Avant Jazz Hardrock Core - oder so. Am schönsten ist Ransom bird (11:01), als zweiter Track. Die Band donnert mit Lust und Verve durch diese extrem gefährliche Komposition. Wäre der Song ein Tier, spräche man von der Bestie. Das Teil ist abgefahren laut, krachig geradezu, unbeherrscht energisch, radikal in seinen berstenden Improvisationen, dabei schnell und von der Rhythmuscrew angestochen, als müsse das nächste Ziel nur schnellstens erreicht sein. Keyboards, Electronics, Saxophon, Bass und Schlagzeug machen vor, wie viel Jazz in düsterem Rock stecken, wie abstrakt und brutal wilder, freier Rock sein kann. Ohne Fitness ist der Job für keinen der vier Beteiligten zu absolvieren, aber was Kenneth Kapstad am Schlagzeug macht, muss per Video nachgewiesen werden. Der Mann ackert die 11 Minuten pausenlos durch, stets höllisch extrem schnell, hart und komplex, wie hat er das angestellt, wie mag er sich danach gefühlt haben? Kein Wunder, dass im Anschluss mit "Composition Task #1" (07:00) die einzige Ballade gespielt wird, die Energie wird heruntergefahren, die Intensität bleibt auf höchstem Niveau. So startet die CD bereits mit "Plastic Disco" (12:20) äußerst illuster. Das kurzweilige Stück lässt sanfte Electronics vorweg laufen, um alsbald den Motor hochzutouren. Das epische Motiv mit hochmelodischer, führender Basslinie hat psychedelischen Charakter, und schon hier ist die Schlagzeugarbeit doppelt aktiv: zum einen schwer komplex und differenziert, zum anderen mit stetem Stampfen wie es einst die teutonische Krautszene gern drauf hatte. Die Fusion-Keyboards geben dem Opener eine zudem spacige Note. Sinn des Ganzen: den Song hochtouren, abstrakt ausimprovisieren, wilder und hektischer werden, brutal überfahren und in höchster Ekstase radikal enden lassen. Kaum ist Song drei, die Ballade ausgelaufen, und sie ist keineswegs Ballast, längst nicht überflüssig, sondern intensiver Teil der höchstintensiven Platte, da geht es mit "The boat" (16:10) wieder einmal in höchste Gipfel. Zwar wird hier nicht der Extremstschnellst-Core geübt, dafür in allerfreiester Radikalität nur wahnsinnige Intensität, die in diesem Energielevel für innere Erregung und Sucht sorgt. Der raue Saxophon-Sound ist so aus Canterbury-Bands bekannt, findet hier aber leidenschaftlicher, härter, metallischer, wilder statt. Und obschon die Band stets auf höchster Intensität läuft, ist die Handschrift, die alles ausführt, doch nur unbedingt technisch. Fehler? Sind sympathischer Teil des Ganzen. Aber da sind nur Fehler, die dazugehören. Die Band spielt wie in Trance, alles klappt - von ganz allein. Die Hände, der Mundansatz, die Technik, das melodische Spiel - verselbständigt, von der Musik, der gemeinsamen Einspielung, dem Bühnenerlebnis geleitet, nur so konnte diese stillste Intensität nur so rasant und mitreißend werden. "The boat" endet nicht. Die endlose Sehnsucht nach der Muse führt weiter und weiter. Die Beteiligten werden, wenn sie die Songs heute hören, sich wohl fragen, wie sie das gemacht haben, damals. Für uns Hörer gilt: "Edvard Lygre Møster" von Møster! ist ein niegelnagelneues Monsterwerk für suchtgebeutelte Jazz-Rock-Sklaven. Das hätte ich gern live gesehen. Norwegen entpuppt sich immer wieder als Pool extrembegabter Musiker, die in verschiedenen Bandkollaborationen zu äußerst interessanten, den Kopf wegblasenden Arbeiten in der Lage sind, und zum Glück CDs einspielen. Welch Glück zudem, dass mit Hubro Music ein Label am Start ist, das diese Intensiv-Monster für die breite Masse auflegt. Also: Lust auf besten Jazz / Rock? Die Erben von Frank Zappa / King Crimson / Mahavishnu Orchestra / Zeuhl heißen Møster!

Volkmar Mantei



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