CD Kritik Progressive Newsletter Nr.78 (08/2013)

Liquid Rain - Bright obscurity
(63:33, Privatpressung, 2012)

Gehörig kracht es im Gebälk der Schweizer Band Liquid Rain, darauf schwöre ich jeden Eid, Genossen! Der Sound ist für eine Eigenproduktion bestechend, klar und sehr druckvoll. Geboten wird Progressive Metal der gehobenen Sorte, allerdings nicht gänzlich klischefrei; die fabelhafte Instrumentalarbeit erinnert wieder und wieder an die in diesem Genre üblichen Verdächtigen: Dream Theater, Symphony X, Pagan's Mind und so weiter und so weiter. Immer, wenn die Band längere Instrumentalparts einbaut, gewinnt sie an Originalität. Klingt widersprüchlich? Ist es aber nicht, denn die meines Erachtens schönsten und ergreifendsten Passagen sind stimmlos. Ich überlege mir, wie es wohl wäre, wenn die Band es beim nächsten Studioaufenthalt ohne Sänger (siehe bzw. höre "Colored darkness") probierte und ihre instrumentale Varianzbreite mittels Vibraphon, Saxophon, Geige, Flöte, Cello, Harfe, Fagott etc. erhöhte, wie sie dies bereits auf "Bright obscurity" bei der Komposition "So far away" tat oder mehr Stücke in der Art von "So far away" schriebe, bei denen "klassisches" Instrumentarium wie auch Gesang zum Einsatz kommen; "So far away" ist in der Tat ein Hammerteil - Gänsehaut pur - und eine der besten Balladen, die ich jemals gehört habe. (Normalerweise mag ich überhaupt keine Balladen, aber in dieses Stück kann man sich verlieben. Wer mir nicht glaubt, hört sich das Lied selbst an, ist das klar?!) Janine Hulliger singt diese Nummer fantastisch, sehr emotional und technisch absolut fehlerfrei. Talent hat die Band Liquid Rain auf alle Fälle in enormem Maße, sowohl was die Handhabung der Instrumente betrifft als auch in kompositorischer Hinsicht. Sie sollte aber während des Komponierens nicht nach den "Großen" schielen, da kriegt man nur Stielaugen und Musiker-In-Sekten, das geht gar nicht. In diesem Kontext muss ich an den Film "Die Fliege" denken - lieber bezüglich des Kopierens eine Fliege machen als am Ende ohne Ich-Identität zusammenkrachen. Der Sänger Norbert Suppiger, der als "Hired Gun" das Mikro schwingt, macht seinem Nachnamen alle Ehre - suppiger (Komparativ von "supi") geht es fast nicht mehr. Da würde selbst Russell Allen ins Schwitzen kommen, wenn er mit dem Rau(h)di Norbert um die Wette singen müsste. Endlich mal keiner der üblichen Jodel-Eunuchen, die dem Prog-Genre ständig die Bälle klauen. Auch der dreizehnminütige Longtrack "System of illusions" verdient Beachtung, einerseits wegen seiner mit orientalischen Schlenkern (Myrath!!!) versehenen Gitarrenarbeit und andererseits wegen des Weltklasse-Gesangs von Janine Hulliger und Norbert Suppiger. I will'em tell!!!

Frank Bender



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