CD Kritik Progressive Newsletter Nr.78 (08/2013)

Forgas Band Phenomena - Acte V
(52:19, Cuneiform Records, 2013)

Das aktuelle Line-Up der Forgas Band Phenomena, die ein wahrhaftes Phänomen ist, veröffentlicht Patrick Forgas heute doch viel mehr Alben als in seiner kreativen Jugend, besteht aus: Patrick Forgas (dr), Igor Brover (key), Kengo Mochizuki (b), Benjamin Violet (g), Karolina Mlodecka (vi), Sébastien Trognon (sax, fl) und Dimitri Alexaline (tr, fl-h). Patrick Forgas gilt als die 'französische Antwort auf die Canterbury-Szene', was für die gewachsene, gereifte Canterbury-Szene gilt. Der Canterbury-Sound zu Zeiten der späten Sechziger bis Mitte / Ende der Siebziger war weitaus heftiger, extremer und komplexer als das, wofür die Forgas Band Phenomena, FBP, heute steht. Und doch sind die Franzosen im Canterbury-Erbe unterwegs. So sind ihre (überwiegend langen) Songs komplex, jazzbetont und rockheftig. Allerdings haben FBP weitaus mehr Funk und 'gerade' Rockstrukturen im Sound, als dies von den Heiligen der alten Canterbury-Szene angestrebt war. Und zudem ist der, ja, altersgereifte Sound der FBP weitaus dezenter und gemächlicher als die alte Szene dies zuließ. Kaum macht sich der Eindruck breit, dass in den sechs Stücken auf "Acte V" leidenschaftliche Intensität verirrt hat, die Arrangements klingen trotz aller handwerklichen und kompositorischen Raffinesse und Virtuosität nüchtern, akademisch und ernsthaft. Diesem Hang folgte Patrick Forgas schon immer, nur scheinen seine exzellenten Ideen mit den Jahren stets in Ernsthaftigkeit und Kühle zu wachsen, und Leidenschaftlichkeit ist eines der letztlichen Opfer seiner Musik. Und ob die weiteren Bandmitglieder auch jung und energetisch sind, die Tracks wirken vom Blatt gespielt, konzentriert, brav, und trotz diverser solistischer Brillanz (vor allem Geigerin Karolina Mlodecka) und einiger (ins Off gemixte) Rockhärte im Gitarrensound von Benjamin Violet stecken die Songs nicht an, weder die Band, noch das Publikum. Keine Frage, 'schräge' Ideen und rasante Soli finden statt, die Songs stampfen und hämmern, bleiben stets aber emotional kühl und reserviert. Vielleicht ist das alt gewordener Canterbury-Sound: die Erhaltung der Komplexe; virtuoses Handwerk und technische Brillanz; akademisch, schöngeistig steril und nüchtern präsentiert. Das Publikum sitzt im Abendkleid vor der Jazzbühne und erfreut sich eines illustren Abends geistvoller Unterhaltung. Nun ja, besser als früh sterben.

Volkmar Mantei



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