CD Kritik Progressive Newsletter Nr.78 (08/2013)

Sanguine Hum - The weight of the world
(45:55, Esoteric Antenna, 2013)

Wenn eine Band selbst im nicht gerade Prog-freundlichen Szenemagazin Visions mit den Worten "Komplexen Songstrukturen und ambitionierten Instrumentalparts zum Trotz: Sanguine Hum schaffen sich mit ihrem poppigen Progrock eine Nische, die selbst hartgesottenen Genre-Verweigerern zusagen dürfte" positive Berücksichtigung findet, diese Formation sich auch noch im Line-Up des diesjährigen Night Of The Prog Festivals auf der Loreley wieder findet, dann sollte man wohl eben doch mal ein oder zwei Ohren riskieren. "The weight of the world" ist das zweite Album nach dem 2010er Debüt "Diving bell", mit dem die Band aus Oxford einen überaus interessanter Longplayer zwischen verzwirbeltem Rock moderner Prägung und leichtfüßigem Art Rock abliefert. Die Band besticht durch ihre Songschreiberqualitäten und zelebriert unterschwellig verschachtelte Musik mit verspieltem, direktem Anspruch, der jedoch immer locker und nie zu kopflastig wirkt. Das Quartett streut ganz selbstverständlich komplexere Passagen ein, die aber mehr schmückendes Beiwerk sind, als zu dominante Stilistik. Der Ansatz der Briten setzt zuerst auf Melodie und Kompaktheit, doch die kurzen Soloausflüge setzen souveräne Kontrastpunkte. Während andere aktuelle Formationen vor allem auf sphärischen Flächensound setzen und meist schrammelende Gitarrenakkorde und ausufernde Keyboardlandschaften für ihren progressiven Sound verwenden, gelingt Sanguine Hum ein gekonnter Brückenschlag zwischen Gestern und Heute. Die moderat eingesetzte, sehr souveräne Instrumentalakrobatik erinnert deutlich an die 70er und 80er, der verspielte Kunstrock lässt aber genauso moderne Tendenzen erkennen, wobei der Gesang eindeutig im Vordergrund steht. Das hat mal ganz entfernt leichten 80er Jahre Crimson Touch, zappaeskes Augenzwinkern, wirft daneben gleichzeitig riffigen Rocktouch in die Waagschale, überzeugt aber vor allem durch sehr luftige Interpretation im modernen Soundgewand. Sanguine Hum ist mit ihrem aktuellen Album mehr als nur ein Ausrufezeichen gelungen. Doch sollte man ihrer Musik Zeit geben, denn nicht immer funktioniert alles sofort beim ersten Durchgang, noch wird man von totaler Begeisterung mitgerissen. Wenn es jedoch einmal geklickt hat, dann merkt man, welch versierte Künstler hier ihr Tagewerk verrichten.

Kristian Selm



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