CD Kritik Progressive Newsletter Nr.77 (03/2013)
Phlox - Vali
(51:23, MKDK Records, 2013)
Auf ihrer offiziellen dritten CD (und insgesamt fünften) gehen Madis Zilmer (dr), Kalle Klein (sax), Kristo Roots (g), Raivo Prooso (b), Pearu Helenurm (keys) und Allan Prooso (perc) etwas lyrischer, leiser und intimer zu Werke. Der canterburyanisch geprägte Jazzrock hat indes immer noch die explosive Sprengkraft, die aus disharmonisch mäandernen Jazz-Themen schwere Rockattacken entwickelt. Die 7 Songs, für das estnische Klassikradio Areaal am 25.04.2012 live im Konzert aufgezeichnet und in der Überzahl von Schlagzeuger Madis Zilmer komponiert, drei Stücke schrieb Pearu Helenurm, eines davon in Zusammenarbeit mit Kalle Klein, sind stark von Keyboards und Saxophon geprägt. Düstere, in sich pulsierende Tastenläufe geben jazzdisharmonische, schwebende Themen vor, auf denen das Saxophon illustre Melodiearbeit leistet. Die Rhythmusarbeit arbeitet perfekt, heftig knüppelnd, intensiv und unglaublich spannend, dem melodischen Geschehen einen dichten, kraftvollen Teppich gebend. Wenn eines der balladesk beginnenden Stücke aus der sanften Lyrik des Anfangs in heftiges Beben übergeht, wühlt der Orgelsound sich wie ein Gewitter durch das Thema, die komplette Band arbeitet plötzlich heftiger, wilder, leidenschaftlicher, lauter und die Dramatik hat eine Intensität und vitale Schönheit, die einzigartig und kaum vergleichbar ist. Die ausgedehntesten Soli spielt Saxophonist Kalle Klein. Mal ganz allein, mal auf einer leisen Passage, auf dem wilden Höhepunkt. Und wie die Band und ihre Songs legen seine Soli melodisch und eingängig los, um im Laufe ihrer Zeit auszuflippen, emotional hochzufahren und rasantes, extremes Spiel an den Tag zu legen. Das nicht allein ist wahnsinnig gut. Wenn Gitarrist Kristo Roots sich überwiegend auch am Rhythmusgeschehen festhält und die Basis kraftvoll und geschmeidig macht, haben seine wenigen und kaum ausgedehnt langen Soli doch ungemein Kraft und Flair. Melodischer Mittelpunkt der Band und ihres neuen Albums "Vali" ist Pearu Helenurm, der sein übersichtliches Tastenensemble nicht nur perfekt zu bedienen weiß, sondern melodische Stille und expressive Wildheit mit größter Wucht donnert. Unvergleichlich, der Mann! Das Ensemblespiel ist intensiv verzahnt, die Songs haben grandios Energie und dramatische Dichte. Komplexität der Kompositionen auf der einen Seite, intensives Spiel aller Beteiligten auf der anderen, der Reiz könnte kaum größer sein. So unprätentiös und völlig klischeefrei manches der 7 instrumentalen Stücke beginnt, über die Reizüberflutung in brachiale Vitalität bricht, so leise und still läuft der letzte Song und damit die CD aus. Die 51:23 Minuten sind in aller anspruchsvollen Komplexität wahnsinnig beeindruckend. "Vali" ist ein Meisterwerk für geübte Hörer des zeitlos modernen Jazzrock canterburyanischer Prägung und nur unbedingt zu empfehlen.
Volkmar Mantei
© Progressive Newsletter 2013