CD Kritik Progressive Newsletter Nr.77 (03/2013)
Elephant 9 with Reine Fiske - Atlantis
(60:42, Rune Grammofon, 2012)
Nach zwei CDs und einem limitierten Vinyl-Release ("Live at the BBC") treten die Powerrocker elephant9 mit einem neuen Release an. Aufgenommen wurden die 7 Songs bereits vor über einem Jahr, 08. bis 10. September 2011, Mix im Mai 2012, Mastering Juli, Veröffentlichung im November. Unglaublich, dass die hochenergetische Songs mit Verve und düsterer Melancholie einspielende Band diese enorme Inspiration hochprozentig mit sich herumschleppt, nach der Menge Alben, die alle Beteiligten bereits eingespielt und veröffentlicht haben. Und "Atlantis" klingt nicht blass oder leer, sondern grandios dynamisch und lebhaft, vital und inspiriert, birst vor Ideen und ist in seiner brachialen Polterpräsenz ungemein einnehmend und überzeugend. Zu Ståle Storløkken (Hammond Organ, Fender Rhodes, Minimoog, Grand Piano; Supersilent, Humcrush, Motorpsycho, Terje Rypdal), Nikolai Hængsle Eilertsen (e-b, acc-g; Big Bang, The National Bank) und Torstein Lofthus (dr; Shining) ist ein weiterer Bekannter gestoßen: Reine Fiske (g), als Gast gelistet, einst bei Landberk, später Dungen, The Amazing, Träd, Gräs och Stenar. Alle Beteiligten sind geübte Handwerker, technisch wohlgeübt, mit eigener Handschrift, eigenem Klang. Was heute selten ist: Reine Fiskes Gitarrensound ist aus tausenden zu erkennen, das war schon bei Landberk so, sein Gitarrenklang hat Charakter, etwa wie der von Terje Rypdal oder Carlos Santana, auf seine Weise. 7 Songs sind auf der CD, überwiegend sehr lange Tracks, an vieren hat Reine Fiske mitgearbeitet, nicht als partieller Solist, sondern komplett ins Gruppenarrangement integriert. In dreien spielt er elektrische Gitarre, in einem akustische. Und nicht weniger intensiv und markant als sein Gitarrenspiel und -sound ist die erlesene Arbeit der Bandmembers. Ståle Storløkkens aggressiv-melancholische Tastenarbeit hat ungemein Düsternis und gibt stets dramatische Töne, wilde, dunkle Akkorde und berstend enervierend radikales Spiel, als würden seine Instrumente unter seinen Händen explodieren, er holt alles aus den Keyboards heraus und die Sounds, die er nutzt, sind kraftvoll und erlesen. Die "Rhythmuscrew" ackert stets mit Hingabe und stoischer Aggressivität. Aller Rhythmus ist komplex und hochdynamisch, wahnwitzig in jazziger Intensität und rockhartem Sound. Nikolai Hængsle Eilertsen lässt seinen Bass pulsieren; oftmals mit ruhigem Ton als Basis die Band erdend, geht er in emotionalen Höhenflügen derart los, dass seine Melodiearbeit im impulsiven Mittelpunkt steht, und die Töne schrauben sich höher und höher, intensiver und intensiver. Torstein Lofthus indes ackert wie besessen, drückt nicht nur auf die Tempotube, zeigt mit hartem Anschlag extreme Intensität und kann in den wilden psychedelischen Orgien zu stoischer Trance finden, die wohl die ganze Band nur bannt. Intensität steht im Vordergrund, so sind die 'Songs' kaum eingängig und leicht nachvollziehbar. Kein Folklüftchen (außer vielleicht im 6 Minuten kurzen "A foot in both"), nur tiefe Schwermut, wilde Aggression, explodierend gefährliche Emotionalität, handwerkliche Finesse und eine große Portion Humor, um den anarchischen Krach so ungemein lebhaft, rasant und intensiv zu erschaffen. Den offensichtlichsten Humor präsentiert die Band im Zweiminüter "A place in neither", die dramatische Nummer stolpert über den Polterrhythmus wie von Stein zu Stein und fließt doch akkurat, schon anschaulich und frappant, wie Stakkatogewitter und fast schon Funky Keyboardspiel in mählichen Fluss geraten und kaum hat sich die Struktur entwickelt - endet die Nummer. Hat wohl Spaß gemacht. Die letzten 13 Minuten kriegen die "Freedom's children". Düstere Keyboards, kratzige Gitarre, fetter, komplexer Rhythmus - hat Jimi Hendrix einst in Schweden Aufnahmen zurückgelassen? Nur, wenn er diese mit elephant9 und Reine Fiske eingespielt hat. Silent life? Low battery? elephant9!
Volkmar Mantei
© Progressive Newsletter 2013