CD Kritik Progressive Newsletter Nr.77 (03/2013)

Camera - Radiate!
(52:25, Bureau B, 2012)

Wenn ein Album in den allgemeinen Medien geradezu hofiert wird, dabei Kommentare wie "Kein Neuland, aber Neu!-Intepretation...ein Debüt zwischen energischer Affektivität und Kontemplation", "Elefantenhochzeit aus Harmonia und Hawkwind, Klaus Dinger gegen Huw Lloyd Langton" oder "die In-Krauts" fallen, dann ist natürlich der urzeitliche Jäger- und Sammlerinstinkt geweckt. Wenn zudem selbst Krautrock Legenden wie Michael Rother (u.a. Neu!, Harmonia, Kraftwerk) und Dieter Moebius (u.a. Harmonia) bereits zusammen mit Camera auf der Bühne standen, dann spricht dies ebenfalls für eine gewisse Qualität und Reputation. Die offensichtliche Werbemaschinerie zur Seite gekickt, ist "Radiate!" eine sehr tiefe Verbeugung vor den krautigen 70ern und wirkt wie ein bisher unveröffentlichtes Meisterwerk aus jener Zeit. Mit meditativer Eindringlichkeit und umspült von monotoner, hypnotischer Intensität wird hier der Klangkosmos neu (unvermeidbares Wortspiel!) belebt. Das eindringliche, geradlinige Schlagzeugspiel, die sich in die Hirnwindungen fräsende Gitarrenarbeit und die sphärischen Tonwirrungen haben so viel anachronistischen Charme, dass trotz sehr viel "retro", alles frisch und unheimlich relaxt erscheint. Verspielt und versponnen zwirbeln sich die drei teutonischen Musiker durch krautige, mäandrierende Instrumentalnummern, die einfach typisch deutsch klingen. Der Minimalismus der selbst betitelten Krautrock Guerillas hat so viel offensichtlichen Charme und auch klangliche Eindringlichkeit, dass man dabei komplett vergisst, dass hier einfach nur auf perfekte Weise die Vergangenheit neu (huch, da war schon wieder dieses Wort!) zelebriert wird. Großer Krautrock Sport!

Kristian Selm



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