CD Kritik Progressive Newsletter Nr.77 (03/2013)

Barrock Project - Coffee in Neukölln
(64:04, Musea, 2012)

Um es vorweg zu nehmen: den jungen Italienern ist ein tolles Album gelungen! Aber der Reihe nach. Barock Project führen einen recht "klassischen" Ansatz "im Schilde", soll heißen, dass bereits der Name gewisse Hinweise gibt. Die auf dem zweiten Album zu hörenden Stücke stammen stark überwiegend von Tastenkünstler und Allroundgenie Luca Zabbini (*1984), der immerhin einen Hochschulabschluss am Konservatorium von Modena vorzuweisen hat. Auf der Rückseite des Booklets erklärt die Band, wie es zu dem Album kam. Interessant ist dabei, dass man dabei auch offenbar bestehende Probleme im Miteinander nicht verschweigt. Nur die "Leidenschaft für Musik" und ein gegenseitiger Grundrespekt scheint das Trio zusammen zu halten. Die Songs geben in ihren Texten eigene Erlebnisse der jüngsten Vergangenheit wider, was darauf hindeutet, dass eine Reise nach Berlin überaus nachhaltige Eindrücke hinterlassen haben muss. Die Lyrics selbst geben dabei stellenweise allerdings nicht allzu viel her, sie sind bisweilen sogar eher banal ("Streets of Berlin"). "Coffee in Neukölln" - übrigens schon Album Nr. 3 der Italiener - zeigt deutliche Reminiszenzen an den klassischen Prog der britischen Szene. Kein Wunder, wenn man liest, dass Zabbini außer seiner Liebe zur klassischen Musik (JS Bach) sich vor allem von Keith Emerson inspiriert fühlt. Modernisiert, kraftvoll und doch mit sehr viel Gefühl umgesetzt und sehr intelligent bis intellektuell kommt diese Mischung beim Hörer an. Das klingt dann schon mal nach ELP, mal nach Genesis ("The lives of others"), Flower Kings ("Starfull Jack") oder Van der Graaf (schräge Pianopassagen) und sogar Queen (Schluss von "Fool's epilogue"). Barock Project können scheinbar alles, verbinden Elemente des klassischen Prog spielerisch leicht mit Jazz verschiedener Couleur oder klassischen Strukturen ("Fool's Epilogue"), tupfen etwas Folklore auf, sind mal schräg, mal höchst emotional melodiös bis hin zu balladesk-kontemplativen Momenten, spielen bombastischen Italo Prog mit modernen Zwischentönen - es ist eine Freude, derart vielfältige Stimmungen und Rhythmen in solch genialer Weise kombiniert zu hören. Nicht zu vergessen, dass dies alles trotz kleiner Anleihen bei den genannten Vorbildern äußerst eigenständig klingt. Zabbini zaubert nicht nur geschmackvolle Keyboardflächen und spielt gekonnt Piano, sondern fällt auch durch sauber gespielte Parts auf der Akustischen auf. Luca Pancaldi hat eine wohl klingende, sehr angenehme Stimme mit stets sicherer Intonation, da passt alles, und bei GB Giorgi hört man am Bass gerade in den jazzigeren Parts gut heraus, dass dies seine musikalische Heimat ist. Perfektes Zusammenspiel - wegen des gegenseitigen Respekts - ist dabei Ehrensache! Das sehr variable, effektvolle und dynamische Drumming gilt es extra zu loben. Eingespielt ebenfalls von Zabbini, da man keinen Trommler als Bandmitglied zur Verfügung hatte. Das Booklet erwähnt leider diese Details nicht, auch bei den Angaben der eingesetzten Gastmusiker und Instrumente ist man etwas "nonchalant" - na ja, was soll's... Die beiden Stücke zu Beginn warten mit einer Reihe von Gimmicks auf, so findet auch Kennedys "Ich bin ein Berliner" - Zitat Verwendung, gefolgt von "Bombast-Chören" und einem (Wut?) - Schrei. In der "Klassik-Sektion" des Albums, mit der kurzen Orgel-Etüde "Kyrie" und dem anschließenden Longtrack "Fool's epilogue", der bisweilen auch mit Orffschen Chorklängen aufwartet und hymnisch endet, lebt Zabbini seinen Hang zum Keyboard- und Klavierspiel à la Emerson aus. Empfehlenswert für Ersthörer ist vor allem der Zweiteiler "Inside my dreamer's eyes" und der ohne Pause anschließende Schluss"hammer" "The lives of others". Diese Songs bieten einen Querschnitt durch all das, was Barock Project's Musik ausmacht: perlende Klavierläufe mit folkloristisch angehauchter akustischer Gitarre, härtere Momente mit etwas Bombast, eingängige Melodien mit griffigen Gesangslinien. Man muss beileibe kein ausgewiesener Italo Prog-Fan sein, um dieses Album nicht nur zu mögen, sondern es über eine Vielzahl vergleichbarer Outputs der letzten zwölf Monate zu stellen. Großartiges Niveau, eine weitere Bereicherung der jungen italienischen Prog Szene neben "Former Life", die mit einem ganz ähnlichen Ansatz operieren!

Jürgen Wissing



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