CD Kritik Progressive Newsletter Nr.77 (03/2013)

Zauss - notturno / leise im Wind
(68:18, Fazzul Music, 2012)

Wie schlimm waren die Jahre der Popmusik ab (spätestens) 1977, als die Progressive Rock Szene sich verbog, um zu gefallen, bis sie nicht mehr zu erkennen war. Die Größen gingen in die Knie, ein paar begeisterte Neubands legten, oftmals nur für kurze Zeit und ein oder wenige Alben los, und als 1980 kam, war die Landschaft brach und tot. Tot? Never! No Wave war ein kurzer Pfad. Und aus der Asche stieg Rock in Opposition und in seiner Folge Avantgarde Rock und Jazz, experimentelle und atonale Musik, Noise, liberalisierte Neue Musik - immer weiter gingen die Möglichkeiten extravaganter, außergewöhnlicher Musik auf. Mit der CD kam Progressive Rock, lange geschmäht und ignoriert, für blöd, tot und elitär erklärt oder justament für nie jemals existent gewesen ab- und weggeschrieben, wieder auf - und trat einen zweiten Höhenflug an, der in vielfache Stile aufging. Und nicht nur ein Progressive Rock Faden verknüpfte sich (erneut) mit Jazz und Avantgarde, bis inspirierte Musiker und Bands Alben einspielten, die so manchen Klassiker alt aussehen ließen (und für immer alt aussehen lassen). Zauss stehen wie jede andere Band im Erbe der Popkultur. Francesco Zago (e-g, loops) und Markus Stauss (Saxophone, Extras) haben ihre Spuren hinterlassen und tun dies noch jetzt, in diversen Ensembles und Stilen, und gemeinsam in Zauss. 12 Stücke sind auf der neuen Zusammenarbeit "notturno - leise im Wind" zu hören. Freie Kompositionen, frei in jeder Hinsicht: stilistisch, kompositorisch, im Arrangement wie der Spielweise. Die Aufnahmen fanden am 02.06.2012 statt, je 6 Stücke teilen sich das Thema. Die ersten 6 Tracks sind unter "notturno" zusammengefasst, sind einzeln anwählbar, haben einzelne Namen - und einzelne Charaktere. Die beiden Akteure vergraben ihr Spiel ineinander - Gitarre und Saxophon ergänzen den Raumklang, Loops und Extras umspielen, unterheben, volumisieren atmosphärisch beider Einsatz. Weniger krass und hektisch als vielmehr ambient und abstrakt arbeitet das Duo. Die sich aus beider Improvisation ergebenden Klänge streben keine harsche, extreme Aussage an, werden nicht schrill und anstrengend, sondern bauen erhabene, illustre Stimmung, die partiell wie Krimi wirkt. Dramatische Düsternis trifft auf scharfkantige Tonberge, düsterer Tonwald lässt eindrucksvolle Felsen hervorstreben, schöngeistige Lyrik wird von disharmonischer Stille angebissen, unterschwellige Töne greifen epische an. Der impulsive Rhythmus ist langsam und schwebend orientiert, kann allerdings ebenso in fast Comic-hafter Weise angetrieben werden. Schön, wenn nach der idyllischen Sphäre von "Morgenröte" das verspielt kindliche, kunstvolle und äußerst ansprechende "Make a Zauss noise here" stammt. Anhören! Manches klingt ethnisch beeinflusst. Gewiss eher unterschwellig beeinflusst, denn keiner strengen folkloristischen Vorgabe verpflichtet oder nacheifernd. "Tribal music" hat wohl deshalb auch den Namen bekommen, weil sein Thema sich fernöstlichen Gebirgen ebenso zusehnt, wie es europäisch avantgardistischen Neu Jazz vorbaut. Die längeren Stücke sammeln sich unter "leise im Wind". Da gilt es, genau zuzuhören. Eine solche Musik baut aus Stille und Abstraktion extravagant lyrische Stücke, die nicht einlullen oder kitschiger Schmus sind, sondern aus Strenge, Komposition, Witz und Inspiration mutige Songs basteln (die gewiss keine 'Songs' im näheren Sinne sind). Über weite Strecken zieht das Duo mit sanftem Sinn über neblige Gesteinsbrocken, bis sich doch noch anarchischere Strenge findet, die lauter und dramatischer arbeitet. Das letzte Stück, "Big breath", mit 9:12 Minuten der zweitlängste Track auf der CD, fängt so an. Scharfkantig, laut, wild, erregt und mit forschem Drang. Und dann zerfasert die kraftvolle Struktur zu abstrakter Lyrik - eindrucksvoll! Die jüngste Zusammenarbeit von Markus Stauss und Fancesco Zago zeigt, wie gut das Duo aufeinander eingespielt ist, wie wirkungsvoll beider Inspiration ist - und wie ausdrucksstark beide ihre Instrumente zu spielen wissen. Interessant ist ein Blick hinter die CD, nehmt sie aus dem Case und schaut euch die Bilder dahinter an: nicht nur, aber zumindest von dem riesigen (Bass?-)Saxophon bedarf es einer hochauflösenden Großaufnahme!

Volkmar Mantei



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