CD Kritik Progressive Newsletter Nr.76 (11/2012)

Rhys Marsh And The Autumn Ghost - The blue hour
(44:14, Termo Records, 2012)

Mitunter entsteht der etwas falsche Eindruck, dass anscheinend irgendwie alle Bewohner Skandinaviens ein Instrument spielen bzw. in irgendeiner Band beteiligt sind. Es ist jedoch immer aufs Neue erstaunlich, wie viel qualitativ hochwertige Musik und versierte Künstler aus diesen relativ gering besiedelten Breiten kommen. Ein weiterer interessanter Vertreter aus nördlichen Gefilden, ist der aus dem norwegischen Trondheim kommende Rhys Marsh, der zusammen mit seiner Band The Autumn Ghost deren drittes Werk "The blue hour" als ein recht intimes, zurückgehaltenes Album präsentiert. Auf gewisse Weise ein typisches Album aus den düsteren, melancholischen Hemisphären des europäischen Kontinents, das dennoch mit zaghaften Dynamiksprüngen für gelegentliche Umorientierung sorgt. Rhys Marsh ist ein bekennender Progressive Rock Fan und bediente sich in Vergangenheit und Gegenwart bei seinen Gastmusikern von Bands wie u.a. Jaga Jazzist, Anekdoten, Änglagård, White Willow und Wobbler. Trotzdem ist seine eigene Musik recht weit von sofort erkennbarem, progressivem Gedankengut entfernt. Er orientiert sich mehr an einer relaxten, aber auch irgendwie nordisch verschroben wirkenden, keineswegs alltäglichen Popkultur. Weder zu aufbrausend, mitunter sogar leicht jazzig, verfügt diese kunstvoll arrangierte Musik über einen ganz eigenen Charakter. Das ist mitunter sparsam, zurückgenommen musiziert, aber gleichzeitig anspruchvoll, hin und wieder sogar leicht euphorisch und nicht gerade alltäglich in der Präsentation. "The blue hour" ist nicht von ungefähr dem poetischen Begriff zwischen Dämmerung und Sonnenaufgang angelehnt. Der Spannungsbogen zwischen Aufwachen und Schlaftrunkenheit ist hier musikalisch auf zerbrechliche, hin und wieder sogar verstörende Weise in edler Form umgesetzt.

Kristian Selm



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