CD Kritik Progressive Newsletter Nr.76 (11/2012)

I And Thou - Speak
(60:43, Privatpressung, 2012)

Ich habe eine Vorliebe für schöne, Piano-lastige Singer / Songwriter-Mucke. Für Joe Jackson lass ich fast alles stehen und liegen, Billy Joel ist ein Gott und selbst Elton John (der nun mal auch ein vorzüglicher Sänger ist) kann mich begeistern. Irgendwann 2006 oder 2007 hörte ich von einem gewissen "Jason Hart", dessen Solo-Album "If I were you" zwar ein wenig süßlich ist, doch selbst die religiösen Texte (ohne Holzhammer) konnten mich nicht davon abbringen das Teil zu mögen. Schöner, eingängiger, melodiöser Piano Pop Rock mit angenehmer Stimme vorgetragen. Eher kein "Crocodile Rock", sondern ein "Be my number two", wenn ihr versteht was ich meine... Meanwhile: Jason Hart ist Live-Keyboarder bei der wiederauferstandenen Prog-Legende Renaissance... Jason Hart gründet das Projekt "I And Though"... Jason Hart lässt sich von Annie Haslam ein delikates Cover-Artwork zeichnen. Jason Hart fragt John Galgano, Paul Bremner und Laura Meade (IZZ, bzw. Ex-IZZ), ob sie bei einem klassischen Prog-Album mitarbeiten möchten. Sie möchten. Jason Hart trifft auf die Marillionäre um Steve Hogarth und unterbreitet eben jenem H, einen Rufus-Wainwright-Song auf seinem Album zu interpretieren. Wainwright hat nichts dagegen, Hart ist ein alter Kumpel... So kann es manchmal gehen. Und ich glaube ich bin an die CD geraten, weil ich die "If I were you" damals direkt bei Jason Hart bestellt habe. Zumindest habe ich I And Though's "Speak" direkt bei ihm bestellt. Und was das ganze Gequatsche soll werde ich jetzt auch aufklären. "Speak" ist ein Spitzen-Album geworden! Das ist so dermaßen Retro und in der Genesis-Schiene, dass man nahe an dem Eindruck hängt, dass es sich hier um ein verschüttetes Demo-Album des Originals handelt. Aufgepimpt durch die jungen Protagonisten. Hart mimt den Banks wo er nur kann. Ein gewisser Jack Petruzzelli schüttelt sich eine Hackett-Melodie nach der anderen aus dem Ärmel, Drummer Matt Johnson spielt so gefühlvoll und mit Verve, dass Phil Collins (mindestens aber Nick D'Virgillio) vor dem geistigen Auge erscheint. Mike Rutherford ist in Form von John Galgano vertreten. Nur gesanglich ist Hart weder ein Gabriel, noch ein Collins. Aber das fällt innerhalb dieser Attitüde auch nicht mehr auf, zumal er ein guter, eher zurückhaltender Sänger ist. Hinzu kommen ein paar "exotische" Momente mit Banjo, Glockenspiel, Violine, Trompete, was das schlechteste ja nun auch nicht ist. Und Laura Meade sowie eine Keren Ann bieten ein paar sehr schöne Background-Momente an. Ich gehöre nicht zu den Freunden alberner Nachäfferbands, keinesfalls. Aber Hart gibt sich überhaupt nicht die Mühe etwas anderes zu sein als eine tiefe Verneigung vor Genesis. Mit Herz, Hirn und ganz viel Liebe. Und das zieht mich dann schon mal in Bann. Zumal man Stil nicht in Tüten kaufen kann. Und Stil hat das Projekt ohne Ende. Angefangen bei dem attraktiven Cover, über die akustische, zurückgenommene, eloquente und melancholische Musik (mit nur sehr wenigen Quietschmomenten), bis hin zum Bonus Track, gesungen von Steve Hogarth. Zu einem "Entangled" Piano-Arpeggio interpretiert Hogarth den Text und die Melodien von Rufus Wainwright und macht die Illusion perfekt. Seine Stimme erinnert tatsächlich an Phil Collins, zumindest aber scheint sie auszudrücken, was Collins damals ausdrücken wollte... "Speak" atmet die Melancholie, die herbstliche Stimmung von "Wind and wuthering" und ist einfach toll gemacht. Identität sucht man hier vergeblicher als bei den Flower Kings, aber das macht nichts. Wer eine musikalische Lobhudelung so geschmackvoll in Szene setzt, der darf das mal. Ein Mal! Das Album ist vergleichbar mit der "Edel-ness" von Big Big Train, doch an dieser Stelle ein bisschen mitreißender, oder vielleicht auch rührender als das zeitgleich erschienene "English electric (Part One)". Und dabei sind Hart und seine Kumpanen Amis... Amis die sich scheinbar britischer geben, als die Briten selbst. I am amused, aber so was von!

Fix Sadler



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